WARUM haben wir uns an diese Zahlen gewöhnt?

Es gibt eine merkwürdige Diskrepanz unserer tagtäglichen Akzeptanz von vermeidbaren Todesfällen und das Entsetzen, die Panik, das Gefühl von Katastrophe angesichts der täglich in den Nachrichten kommunizierten Todesfällen „an oder mit Covid 19“.

Der Spiegel brachte am 1.12. 20 einen Kommentar von Claus Hecking mit der nur zu berechtigten Frage angesichts von 127 000 jährlichen Toten in Deutschland „an oder mit“ Tabakkonsum: „Warum haben wir uns an diese Zahlen gewöhnt?“

Es ist eine Banalität: ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, Alkohol- und Tabakkonsum sind entscheidende Faktoren, die bei uns das Leben der Menschen um Jahre verkürzen und zuvor über Jahre ihre Lebensqualität vermindern. (Übrigens sind das auch genau die Risikofaktoren für einen schweren bis tödlichen Verlauf einer Corona-Erkrankung.)  Wir nehmen das hin. Niemand kommt auf die Idee, zu fordern, „alles“ müsse getan werden, um so viel unnötiges Leid zu vermeiden.

Kann mir das jemand erklären?

Gestern, am 17.12.2020 starben 698 Menschen „an oder mit“ Corona.

Ich habe mir die Mühe gemacht, andere „alltägliche“ Todesursachen pro Tag auszurechnen, und zwar solche die wenigstens mitbedingt durch Faktoren, die sich vermeiden ließen.

  • Täglich sterben in Deutschland 907 Menschen an Herz- und Kreislauferkrankungen
  • Täglich erleiden 720 Menschen einen Schlaganfall, täglich sterben 173 Menschen daran
  • Täglich sterben etwa 200 Menschen infolge von Alkoholabhängigkeit, etwa 3 durch illegale Drogen
  • Täglich infizieren sich in Deutschland 1370 Menschen am „Krankenhausvirus“ (MRSA), täglich sterben ca. 40 Menschen daran.
  • Täglich sterben ca. 120 Menschen an Lungenkrebs
  • Täglich sterben etwa 370 Menschen „an und mit Diabetes“
  • Täglich sterben etwa 27 Menschen durch Suizid
  • Täglich sterben 8 Menschen durch Verkehrsunfälle.

Auf meine Frage, warum der Vermeidung dieser Todesfälle nicht dasselbe Engagement entgegengebracht wird, entgegnete mir eine Kollegin: Die Entscheidung, ungesund zu leben, zu rauchen, zu saufen sei eine freiwillige. Während Corona einem gewissermaßen „nicht schuldhaft“ trifft. Mal abgesehen davon, dass dies so nicht stimmt: Ob man sich gesund ernährt, ob man sich ausreichend bewegt, ob man raucht ist zu einem beträchtlichen Teil geprägt durch das Vorbild der Eltern, der gesellschaftlichen Schicht usw.

Aber selbst wenn es so wäre! Was ist das für eine ethische Haltung: Wir kümmern uns nur um die „schuldlosen“ Kranken! Was dann allerdings auch heißen würde: Wer sich z. B. auf einer Party… oder beim Singen in einem freikirchlichen Gottesdienst angesteckt hat, wird an der Krankenhaustür abgewiesen.         

Ich schließe mit zwei Meldungen der letzten Tage  

Die Tagesschau am 15.12.20

Chemiewaffen in Deutschland Giftiges Erbe lässt Bundesregierung kalt

Sarin, Tabun, Phosgen oder Senfgas: Chemiewaffen gehören zu den grausamsten Waffen, die es gibt. Für den Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden Hunderttausende Tonnen Giftgasbomben und Granaten in Deutschland hergestellt und gelagert. Die Bundesregierung interessiert sich weiterhin kaum für das immer größer und gefährlicher werdende Problem.

Demnach erklärt das Ministerium, dass es in den 1990er-Jahren eine Ermittlung von Verdachtsstandorten durch das Umweltbundesamt gegeben habe, seitdem sei allerdings nichts mehr geschehen. Denn: „Die Bearbeitung dieser Thematik ist schon vor vielen Jahren eingestellt worden.“

„Giftwirkung bleibt bestehen“

Diese Gefahr sieht .. Wissenschaftler Preuß….  Politik und Behörden reagierten oft nur dann, wenn etwas Schlimmes passiere, beklagt er. Und auch dann nur, bis das Thema wieder in Vergessenheit gerate… Von alleine löse sich das Problem aber nicht. „Da viele der Schadstoffe in Rüstungsgütern sehr stabil sind, kann die Natur sie nicht schnell beseitigen. Ihre Giftwirkung bleibt bestehen.“ Und so würden sie zunehmend zur Bedrohung für Grundwasser, Böden, Tiere und Menschen.“

Es gibt anscheinend Bedrohungen, bei denen kann man sich Zeit lassen. Ich weiß nicht, warum mir gerade Beirut einfällt.

Die zweite Meldung der Tagesschau stammt vom 16.12.

Urteil in Großbritannien:Luftverschmutzung löste Tod von Mädchen aus 

„Die britische Justiz hat ein wegweisendes Urteil gefällt: Eine Neunjährige sei nachweislich an den Folgen einer zu hohen Luftverschmutzung in ihrem Viertel gestorben. Das Gericht rügte das Verhalten der Behörden als „Versagen“

Ella war neun Jahre alt, als sie im Februar 2013 an einer schweren Asthma-Attacke starb…. Sie sei „exzessiver Luftverschmutzung“ ausgesetzt gewesen, erklärte Barlow vor Gericht. Der Stickstoff-Dioxid-Wert dort habe über den Vorgaben des Landes, der EU und der Weltgesundheitsorganisation gelegen….

27 Mal musste das Asthma-kranke Kind ins Krankenhaus eingeliefert werden….  Im Jahr 2012 wurde sie schließlich als behindert eingestuft…Im Jahr darauf starb sie…..

Nach der Messung der schlechten Luftqualität dauerte es drei Jahre, bis der Stadtteilrat einen Aktionsplan entwickelte und dann nochmal vier Jahre, bis dieser formal verabschiedet wurde.“ [Hervorgehoben U.N.]

Jaja, Eile mit Weile!

Die Zahl der weltweiten Todesfälle durch dreckige Luft wird übrigens auf 400 000 geschätzt.

Mir scheint, mein Artikel vom 25.März „Unsere tägliche Triage“ ist nicht veraltet. 

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