Ich sag’s mal mit meinen Worten: Fehlschlüsse bei Covid-19-Mortalitätsraten

Der Artikel von Prof. Ingrid Mühlhauser (Risikokommunikation von COVID-19- Mortalitätsraten), auf den ich mich beziehe, ist zwar schon bald ein Jahr alt, ich möchte seine Lektüre doch sehr ans Herz legen.

Er macht deutlich, wie notwendig, aber besonders für Laien schwierig es ist, Zahlen in einen korrekten Kontext zu stellen und richtig zu interpretieren. Es geht nicht um „Lügen mit Statistik“ (wobei ich glaube, dass es durchaus „interessierte Kreise“ gibt, die Zahlen tendenziös in ihrem Sinn benutzen), sondern es geht darum, dass wir alle anfällig sind, an sich korrekte Zahlen falsch zu interpretieren.

Die wichtigsten Punkte fasse ich hier zusammen:

  1. Zunächst ruft die Autorin den Bezugsrahmen ins Gedächtnis: „Pro Jahr versterben in Deutschland etwa 950.000 Menschen…. Das ergibt durchschnittlich pro Tag 2600 …und pro Woche 18.000… Menschen, die an irgendeiner Todesursache versterben.“ Was die Menschen zwischen 80 und 85 Jahren betrifft (also die Generation, in der es die meisten Fälle gab und gibt, die in Zusammenhang mit Corona gebracht werden, ist zu bedenken, dass „die Wahrscheinlichkeit, im folgenden Jahr zu versterben, für Männer durchschnittlich 7%, für Frauen 5% mit einer erheblichen Schwankungsbreite in Abhängigkeit vom Gesundheitszustand“ beträgt.“ Die meisten Menschen würden hier sagen: Ein Jahr oder zwei Jahre länger leben – das macht schon einen Unterschied. Das ist wahr. Aber wahr ist eben auch, dass die Wahrscheinlichkeit zu sterben, ganz unabhängig von Corona mit 80 höher ist als mit 30. Die Rechnung sähe außerdem nochmal anders aus, wenn man diese Altersgruppe aufschlüsseln würde zwischen „fitte Alte“ und „gebrechliche Alte“.   
  2. Besonders kritikwürdig beim Vorgehen des RKI ist aus meiner Sicht: „Das RKI wertet alle gemeldeten labordiagnostischen Nachweise von SARS-CoV-2 unabhängig vom Vorhandensein oder der Ausprägung der klinischen Symptomatik als Covid-19-Fälle… Personen mit positivem Testergebnis, die versterben, gelten als Covid-19-Todesfälle, selbst wenn die eigentliche Todesursache eine schwere Grunderkrankung oder ein anderes akutes Leiden ist.“
  3. Um die Tödlichkeit einer Krankheit realistisch bewerten zu können, muss man ins Verhältnis setzen: Gesamtzahl der Erkrankten/ an der Krankheit Verstorbene. Das würde voraussetzen, dass die gesamte Bevölkerung getestet wird. Da aber viele Covid-Erkrankungen symptomarm verlaufen, auf alle Fälle keinen Arztbesuch erforderlich machen, wird das Bild verzerrt, weil diese Fälle mindestens über viele Monate nicht getestet werden. So wurden zunächst nur (überwiegend ältere) Menschen mit ausgeprägter Symptomatik getestet. Da war das Verhältnis zwischen positiver Testung und Todesfall 100 : 7. Aber hier einfach zu sagen, wer an Corona erkrankt ist, stirbt mit siebenprozentiger Wahrscheinlichkeit, ist  Unsinn. Zur Veranschaulichung: Wenn man bei Frauen zwischen 18 und 35 Jahren, die unter morgendlichen Übelkeit leidet, einen Schwangerschaftstest durchführt, dann sind möglicherweise fünf Prozent von ihnen schwanger. Daraus aber den Schluss zu ziehen „fünf Prozent der gesamten bundesdeutschen Bevölkerung sind schwanger“ wäre denn doch ein bisschen verfehlt.
  4. Während im März 2020 nur 3% der positiv Getesteten ohne Symptome waren, waren es im August 2020 35%. Der Grund liegt darin, dass im August eher eine „Zufallsstichprobe“ – nämlich z.B. Reiserückkehrer –  getestet wurde, während zuvor anlassbezogen getestet wurde. Das macht aber einen gewaltigen Unterschied in der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit schwerer und leichter Verläufe.   
  5. Ein seriöser Vergleich zwischen dem Risiko an Corona oder an Grippe zu sterben, ist nicht möglich weil entsprechende Zahlen für Grippe nicht erhoben werden: „Laut RKI liegt für Influenzaviren eine erhebliche Untererfassung vor, sowohl für Erkrankungen als auch Influenza-assoziierte Todesfälle.“ Hier gibt es keine „allgemeine Meldepflicht“. So heißt es auf der Website des RKI zu Influenza: „Die offizielle Todesursachenstatistik ist nicht aussagekräftig, sie beruht auf den Angaben auf dem Totenschein, auf dem die Influenza praktisch nie als Todesursache eingetragen wird, sondern zum Beispiel die bakterielle Lungenentzündung oder eine vorbestehende Grunderkrankung wie Diabetes oder eine Herz-Kreislauferkrankung, die die Wahrscheinlichkeit eines schweren bzw. tödlichen Krankheitsverlaufs erhöht.“
  6. Dass man keineswegs nur an Corona sterben kann, bringt die Autorin nebenbei ins Gedächtnis: „Nosokomiale Infektionen [also z.B. durch Noroviren] ziehen sich Patientinnen und Patienten im Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen zu, überwiegend in stationären Einrichtungen (Krankenhaus, Pflegeeinrichtung). Die höchsten Infektionsraten kommen auf Intensivstationen vor. Das RKI schätzt die Zahl nosokomialer Infektionen in Deutschland auf etwa 400.000 bis 600.000 pro Jahr und die Todesfälle auf 10.000 bis 20.000.“

Kommentare

  1. Marion Battke
    31. Oktober 2021

    Aber warum ändert das RKI seine Strategie nicht, wo diese Unverhältnismäßigkeit doch OFFENSICHTLICH ist?

    Antworten

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