Corona: Was wir von Uruguay lernen müssen

Gegen kurzatmige Schlussfolgerungen!

Die Empörung über die die Verantwortungslosigkeit des POTUS (President oft he United States) schlägt derzeit hohe Wellen. An dem katastrophalen Verlauf der Pandemie in den USA (einem angeblich hochentwickelten Staat, was ich schon länger bezweifle) sei Präsident Trump schuld, dieser rücksichtsloser Superspreader, Maskenverweigerer, Maßnahmenverhinderer, egomanischer Verharmloser. Alles richtig. Aber es greift zu kurz. 

Bei aller Vorsicht gegenüber Zahlen…

Zwar ist Vorsicht geboten beim Gebrauch des Wortes „Corona-Tote“ und es ist erst Recht Vorsicht geboten beim Vergleich mit anderen Ländern:  Wenn die neuseeländische Ministerpräsidentin sagt, es gäbe keine neuen Coronafälle in ihrem Land, dann glaube ich das. Wenn der nordkoreanische Herrscher dasselbe sagt, glaube ich kein Wort. So wenig wie ich den russischen und den chinesischen Zahlen Glauben schenke.

Trotzdem macht der folgende Satz über die über 200 000 Toten, die in den USA an oder mit Corona gestorben sind, mehr als nachdenklich: „Der Anteil der Vereinigten Staaten an der Weltbevölkerung liegt bei weniger als fünf Prozent, aber die USA stehen für etwa 20 Prozent aller weltweit bekannten Todesfälle. Solche Vergleiche sind schwierig, weil bei der Pandemie sehr viele Faktoren eine Rolle spielen. Doch der Blick auf die Opferzahlen in anderen Ländern lässt eine klare Tendenz erkennen.“   (21.9.20  https://rp-online.de/panorama/coronavirus/donald-trump-unter-druck-usa-beklagen-fast-200000-tote-wegen-corona_aid-53481749)

Genauer hinschauen!

Aber die US-Corona-Zahlen einfach auf das Missmanagement (höflich ausgedrückt)  eines bösartigen Grenzdebilen (unhöflich ausgedrückt) – das reicht nicht: Sondern es kommen viel grundsätzlichere Faktoren dazu. (Ich kann mal wieder nicht umhin, mich selbst zu zitieren. Stammt vom April!) Für die Aufrechterhaltung und Verschärfung dieser Faktoren steht Herr Trump natürlich genauso – aber bei weitem nicht nur er, sondern das  US-amerikanische System, in dem ein vernünftige allgemeine Krankenversicherung, überhaupt ein halbwegs vernünftiges Sozialsystem oder ein humanes Arbeitsrecht als Ausbund des Sozialismus gilt und somit als absolut unamerikanisch. Denn jeder ist seines Glückes Schmied und deshalb zahlt Herr Trump auch nicht so gern Steuern, weil ihn das am Schmieden hindert und deshalb gibt es keine angemessene Besteuerung hoher Einkommen oder Vermögen, das würde nur das verfassungsmäßig garantierte „pursuit of happiness“ erschweren, wobei Happiness und Dollarvermögen ziemlich ineinander zu fallen scheinen.

Last not least gehört zum US-amerikanischen System keineswegs nur die traditionelle rassistische und soziale, sondern seit wenigstens dreißig Jahren eine ideologische Spaltung der Gesellschaft. Wahrscheinlich schon viel länger und ich habe es nur vor lauter Flowerpower nicht bemerkt.

All das sind Faktoren, die den „Erfolg“ von Corona begünstigen. Zugespitzt gesagt: Corona kann nur dort töten, wo der Boden bereitet ist: Wenn ich mit 10 Leuten in einer kleinen Wohnung leben muss, wenn ich aufgrund meiner Rasse oder meiner finanziellen Lage keinen vernünftigen Zugang zur Gesundheitsversorgung habe, wenn ich – bestenfalls!!!! – nur so lange krankenversichert bin, wie ich zur Arbeit gehe, habe – dann bin ich ein leichtes Opfer für jedwede Krankheit, momentan eben für Corona.

Gegenbeispiel Uruguay

Wie komme ich jetzt auf Uruguay? Das ist ein sehr, sehr kleines südamerikanisches Land mit 3 Millionen EinwohnerInnen. Es hat 1050 km gemeinsame Grenze zu Brasilien (die ARD sagt 700 km, egal), jenem Land, das in Sachen Pandemie ähnlich wie die USA (und auch aus vergleichbaren Gründen) einen Spitzenplatz einnimmt. Dagegen ist Uruguay unglaublich gut und erfolgreich mit der Pandemie umgegangen:    

Corona-Pandemie In Uruguay von Krise keine Spur 

titelte tagesschau.de am 7.9.20 und Matthias Ebert vom ARD Studio Rio de Janeiro schreibt

Als einziger Staat Lateinamerikas hat Uruguay die Corona-Pandemie so gut wie problemlos bewältigt. Das Land nimmt nicht zum ersten Mal eine Vorreiterrolle ein – und die kommt nicht von ungefähr.

 Während Brasilien die weltweit zweitmeisten Toten in Verbindung mit dem Coronavirus verzeichnet [die meisten weisen die USA auf], sind es in Uruguay gerade mal 44 Tote. Nicht pro Tag, sondern insgesamt, seit Beginn der Pandemie. Von den nicht einmal 2000 Infizierten seit März sind die meisten wieder genesen. Uruguay hat es – fast wie durch ein Wunder – geschafft, die Corona-Krise problemlos zu bewältigen. …. [E]einer Ausgangssperre erteilte der Konservative Lacalle Pou eine Absage. Diese galt in Ländern wie Argentinien und Peru mehr als vier Monate lang ohne Ausnahmen. Dennoch steigen dort derzeit die Corona-Zahlen. Peru ist weltweit sogar der Flächenstaat mit der höchsten Sterblichkeit.“

Und wie erklärt sich das?

  • Kaum Slums, kaum informell beschäftigte Quarantänebrecher“

(zur Erklärung: “informelle Beschäftigung“ ist der vornehme Ausdruck für Schwarzarbeit. Also Arbeit ohne Absicherung. So jemand kann nicht mal eben „in Quarantäne“ gehen. Entweder man erscheint zur Arbeit oder man verdient nichts)

  •     Robustes Gesundheitswesen – und ein niedrigeres Sozialgefälle

Dazu kommt, dass Uruguays linke Vorgänger-Regierungen mehr als 15 Jahre lang in den Sozialstaat investiert hatten… Uruguay zeichnet sich innerhalb Lateinamerikas durch ein höheres Bildungsniveau, ein niedrigeres soziales Gefälle und ein robustes Gesundheitswesen aus,… Bei den Gesundheitsausgaben pro Kopf liegt Uruguay in Südamerika mit Abstand an der Spitze. Auch die Wissenschaft wurde strukturell gestärkt – und nicht kaputtgespart, wie es derzeit in Brasilien der Fall ist.“

  • Politische Stabilität, die in der Region ihresgleichen sucht

Uruguay ist nicht zum ersten Mal der Vorreiter in Lateinamerika: Das Land war zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der ersten laizistischen Staaten der Region. Das Wahlrecht für Frauen wurde damals eingeführt. ……

Während sich die gesellschaftlichen Gräben in Brasilien oder Chile gerade massiv vertiefen, gelang ein paar Wochen vor der Pandemie der Machtwechsel – nach 15 Jahren Mitte-links Regierung hin zu Lacalle Pous wirtschaftsliberaler Koalition – fast reibungslos. Der neue Präsident rief einen Corona-Hilfsfonds ins Leben, der auch durch einen substanziellen Gehaltsverzicht des Präsidenten, seiner Minister und gutverdienender Beamter finanziert wurde. Das half einkommensschwachen Bürgern und brachte dem Präsidenten Ansehen in der Bevölkerung. In keinem Land des Kontinents gibt es ein derart hohes Grundvertrauen der Bürger in den Staat wie in Uruguay.“

In einem Artikel der Deutschen Welle vom August wurde noch ein weiterer Aspekt genannt:

  • Beispielloser Konsens – Alle Schlüsselakteure kamen zusammen

Am Anfang war der Wunsch nach nationaler Einheit entscheidend. Alle Schlüsselakteure kamen zusammen, um die Pandemie umfassend anzugehen“, sagte Giovanni Escalante, Vertreter der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation in Uruguay, im DW-Gespräch. ……Gonzalo Moratorio, Professor an der Wissenschaftsfakultät der Universität der Republik, erklärt im Gespräch mit der DW, dass „es einen beispiellosen Konsens zwischen politischen Entscheidungsträgern, Wissenschaft und akademischer Welt des Landes gab“. Dies habe die Arbeit der Fachkräfte im Kampf gegen die Pandemie erleichtert, ein Aspekt, den andere Länder vernachlässigt hätten.“

So geht’s! Zur Sicherheit bin ich gerade noch auf die Seite der John-Hopkins-Universität gegangen.  Nicht dass die Situation heute anders aussieht als zur Zeit der oben referierten Berichte. die Gesamtzahlen seit Beginn der Pandemie lauten für den 9.10.20:

Uruguay

Cases: 2.251
Deaths: 49
Recovered: 1.917
Active: 285

 

 

 

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