Corona: Geballte Information statt geballtem Zorn

Söder fordert – markig wie immer – ein einheitliches 250-Euro-Bußgeld für Maskenverweigerer. Vermutlich müssen die, die die Nase freilassen, nur die Hälfte zahlen. Gespannt bin ich, welche Lösung er vorschlägt zur Überprüfung der sorgfältigen Desinfektion der Masken, die ja wenigstens täglich erfolgen sollte.

Und natürlich beschließt er in einer Nacht-und Nebel-Aktion ein Beherbergungsverbot für Leute aus Berlin, Hamburg Köln, Essen oder Hamm. Nicht aber für Gäste aus bayerischen „Hotspots“, die im schönen Bayern mal woanders übernachten wollen.

„Hotspot“ setze ich in Anführungszeichen, weil sich meiner Meinung nach darüber streiten lässt, ob 50 Infizierte bei 100 000 Menschen jetzt wirklich so hot sind. Egal: aktuelle bayerische „Hotspots“ sind – wenn ich es richtig sehe Memmingen, Landkreis Regen, Landkreis Fürstenfeldbruck, Rosenheim.

Söders Begründung ist nur noch putzig zu nennen: Menschen aus bayerischen Corona-Hotspots beträfe die neue Regelung nicht. Begründung: Dort könne der Freistaat bei hohen Infektionszahlen selbst Maßnahmen ergreifen.

 

Aber aus Bayern kommen auch andere Nachrichten!

„Die Bayerische Landesärztekammer fordert von der Staatsregierung, dass Quarantäne-Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie stärker auf besonders infektiöse Menschen beschränkt werden. Dazu solle die Aussagekraft der Corona-Tests vom Typ RT-PCR erhöht werden, heißt es in einem Beschluss, den die Kammer beim diesjährigen Bayerischen Ärztetag am Samstag in München gefasst hat.

Diese Tests enthalten nicht nur Hinweise darauf, ob jemand infiziert ist, sondern auch wie wahrscheinlich es ist, dass er die Infektion weitergibt…

Nach einer Umfrage von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, die am Donnerstag veröffentlicht wurde, berücksichtigen Gesundheitsämter bei ihren Entscheidungen über eine Quarantäne derzeit oft nicht, welche Informationen über die Infektiosität in einem positiven Corona-Test stecken. Viele Gesundheitsämter bekämen von den Labors auch gar keine entsprechenden Daten übermittelt, hieß es.“

Vereinfacht gesagt: Ein Test weist Viren nach. Wenn er das tut, nennt man das Ergebnis „positiv“… mit allen negativen Quarantäne-Folgen, die das für die betroffene Person hat. Aber erst ab einer gewissen Menge von Viren ist diese Person überhaupt ansteckend. Das wird derzeit nicht berücksichtigt. Sondern alles kommt in denselben Quarantänetopf.    

Da geh ich doch lieber in die Schweiz!

Unter den (ausschließlich positiven) Kommentaren dieses Beschlusses im änd (Ärztlicher Nachrichtendienst) fand ich den Hinweis auf den Artikel von Prof. Dr. med. Pietro Vernazza, Chefarzt der Infektiologie in am Hospital St. Gallen:

Covid-19: Zeit die Strategie zu überprüfen:

Ich lege Ihnen den Artikel ans Herz, denn ich darf ihn natürlich nicht komplett zitieren. Aber ein bisschen daraus zitieren, das darf ich doch schon?

„In den letzten Tagen hat sich eine gewisse Nervosität breitgemacht. Plötzlich werden neue, dringliche Massnahmen, eine Ausweitung der Teststrategie, ja sogar ein Lockdown gefordert. Lassen wir uns etwas Zeit, die Lage gründlich zu analysieren! So können wir allfällige Schlussfolgerungen interdisziplinär ziehen und Massnahmen im Konsens umsetzen. Dabei sollten wir Fragen zur Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit unserer Massnahmen einbeziehen. Und auch Fragen zur Akzeptanz in der Bevölkerung….. Bei den [aktuellen] hohen Fallzahlen handelt es sich mehrheitlich um milde oder symptomlose Fälle, die während der der ersten Welle in der „Dunkelziffer“ untergingen. …. Dennoch müssen wir nun auch Europaweit erkennen, dass die Strategie [gemeint: des Einschließens] längerfristig kaum aufrechtzuerhalten ist. Das Ziel des „Einschliessens“ wird unrealistisch. … Es ist deshalb an der Zeit, einen Strategiewechsel zu prüfen. Denn der Aufwand für die Containment-Strategie wächst ins Unermessliche. …Die Quarantäne-Massnahmen werden Arbeitsausfällen im Gegenwert von mehreren Milliarden Franken verursachen. Sie sind nicht wirtschaftlich und – schlimmer noch –  sie sind nicht wirksam. Von allen Reiserückkehrern in der Quarantäne bleiben über 99 Prozent ohne Erkrankung. Ein ineffizienter Ressourcenverschleiss…. Ein Verzicht auf die Aufrechterhaltung der Containment Strategie bedeutet: Keine umfangreiche Testung und keine grossangelegten Quarantänemassnahmen mehr – dies zugunsten der neuen Strategie der Abschwächung („Mitigation“). Das heisst, wir wollen nicht mehr jede Infektion verhindern, sondern wir wollen die Häufigkeit der Infektionen reduzieren…. Covid-19 wird nicht verschwinden. Es wird Teil unseres Lebens werden…. Letztendlich bin ich überzeugt, dass unser Immunsystem uns mehr hilft, als alle Plastikwände, Masken und Desinfektionsmittel.“

 

Tags zuvor, am 9.10.20, hatte Professor Vernazza einen anderen Artikel geschrieben:

Covid-19: Alle wollen testen und getestet werden. Wozu?

Ich bitte, mein Zitieren als „Appetizer“ zu betrachten und sich den gesamten Artikel zu Gemüte zu führen.  

Die Theorie des mehr oder minder flächendeckenden Testens ist: wenn die Diagnose früh da ist, kann man durch Isolation der positiv Getesteten eine Übertragung verhindern. Aber das hat Konsequenzen – wobei die finanzielle nur eine ist.

„ Das heisst, möglichst jede Person mit milden Symptomen muss sich testen lassen und bis zum Erhalt des Testresultates zu Hause bleiben, bei positivem Resultat mindestens 10 Tage. Personen mit Zeichen einer milden Infektion der Atemwege wird es im Winter viele geben. Das kennen wir alle. Im Durchschnitt haben wir ein- bis dreimal pro Winter eine Erkältung, Kinder vielleicht häufiger. Das macht eine grosse Zahl von Tests nötig.“

Für die Schweiz – so führte Prof. Vernazza im oben zitierten Artikel „Zeit, die Strategie zu überprüfen“ aus, dass sich solche Art des Testens allein in der Schweiz auf einen Milliardenbetrag summiere. Da sollte man vielleicht doch verlangen dürfen, dass eine gewisse Effizienz dieser Strategie nachweisbar oder mindestens plausibel ist. ABER:   

„Erfolgloser praktischer Test in Luxemburg
Luxemburg, ein Land mit 626.000 Einwohnern… hat eine besonders aktive Teststrategie versucht. Das Land schlug im Sommer eine Covid-19-Testung der ganzen Bevölkerung vor, begleitet von einer Strategie des Contact Tracing und der Quarantäne. Pro Woche wurden etwa 9 Prozent der Bevölkerung getestet. Kein anderes Land in Europa war so aktiv.

Die Folge war, nicht überraschend, ein deutlicher Anstieg der Fallzahlen: In den letzten drei Monaten 5.360 neue Fälle oder 50 Prozent mehr als in den 5 Monaten zuvor. Dies hievte Luxemburg im Sommer zwar in die Schweizer Liste der Quarantäneländer. Doch die Sterblichkeit betrug kaum drei Promille (16 Todesfälle) im letzten Quartal. Bemerkenswert jedoch, dass der Anstieg der Fallzahlen ungebremst linear weiter nach oben verläuft (Abbildung Worldometer)… Mit anderen Worten, auch die aggressive Testaktivität in Luxemburg konnte die Ausbreitung der Erkrankung nicht stoppen. Kürzlich ist die Regierung zurückgekrebst und auf eine Testung von Stichproben zur epidemiologischen Überwachung umgestiegen….“

Das aus solchen Erkenntnissen gezogene Fazit sollte nicht nur für die Schweiz gelten:

„Es ist Zeit, unser Covid-Präventionskonzept auf den Prüfstand zu setzen. Wir leben in einem reichen Land. Dennoch sollten wir uns bemühen, das zur Verfügung stehende Geld möglichst sinnvoll einzusetzen. Insbesondere, da es möglich ist, dass die ganze Strategie Schiffbruch erleidet.“

Und weil aller guten Dinge drei sind, der Artikel von Prof. Vernazza vom 6.10.20: 6. Oktober 2020

Lockdown: Überschätzten wir uns selbst? 

Ich begrüsste das entschlossene Handeln des Bundesrats Mitte März: Der Lockdown sollte uns nach dem Beispiel der Spanischen Grippe vor grösseren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen bewahren….Doch als wissenschaftlich interessierter Arzt hatte ich natürlich immer auch Zweifel an meiner «Sicherheit»…  Gewohnt, jede Hypothese zu hinterfragen, mussten wir die Möglichkeit offenhalten, dass sich die Entscheidung auch als falsch erweisen könnte…..

Kritische Überprüfung hegt Zweifel an Lockdown Wirksamkeit
Drei Ökonomen aus den USA (A. Atkeson, K. Kopecky, T. Zha) aus dem National Bureau of Economic Research haben die Frage der Wirksamkeit von Lockdown Massnahmen basierend auf den Erfahrungen von 48 Staaten untersucht (Atkeson et al, 26.8.20). Dabei sind sie der Frage nachgegangen, inwieweit sich die Ausbreitung der Epidemie in den Staaten mit unterschiedlich aggressivem Vorgehen unterscheiden. Dabei haben sie sich grundsätzlich auf zwei wichtige Parameter abgestützt: tägliche Todesfallzahlen und die Entwicklung der Reproduktionsrate (durchschnittliche Anzahl Neuinfektionen, die von einer Person ausgehen) über die Zeit.

Mit diesen einfachen, aber systematisch ausgewerteten Beobachtungen kommen die Autoren auf eindrückliche Schlussfolgerungen:

  • Die Ausbreitung der Epidemie ist in allen Ländern mehr oder weniger uniform
  • Nach einem kurzen exponentiellen Anstieg der Todeszahlen folgt ein Abfall der Todesfälle innert rund einem Monat auf sehr tiefe Werte (in allen Ländern!)
  • Die Unterschiede des Abfalls der Fallzahlen zwischen den Ländern (Standard Abweichung) nach den ersten 10 Tagen der Epidemie sind überraschend klein.
  • Nach dem Abfall der epidemischen Kurve sind die Todeszahlen nicht mehr angestiegen, auch wenn die «Lockdown»-Massnahmen in zahlreichen Staaten massiv gelockert wurden.
  • In der Zeit nach einem Monat (nach Beginn der Ausbreitung) war die Reproduktionsrate in allen Staaten einheitlich tief und blieb auf diesen tiefen Werten.

….Mit anderen Worten: Auch wenn die Ausgestaltung der Präventionsmassnahmen in den untersuchten Ländern sehr unterschiedlich war, am Ende waren die Reff-Werte nach der ersten Welle in allen Ländern recht ähnlich. Dies lässt vermuten, dass die Wahl der Massnahmen wirklich eine untergeordnete Rolle gespielt haben dürfte….

Viele Entscheidungen ohne Grundlage
Das Beispiel des Lockdowns ist nur eines unter vielen. Auch andere Entscheidungen basieren auf unbelegten Annahmen…

Reiserückkehrer in Quarantäne: wozu?
Oder dann beschliesst der Bund eine Quarantäne von Reiserückkehrern. Da müsste es doch selbstverständlich sein, dass man diese Daten auch überprüft. Wie viele werden in Quarantäne tatsächlich krank, und zu welchem Zeitpunkt? Aber nein: Der Bund hat KEIN Instrument, das die Daten zur Quarantäne systematisch erfasst. Persönliche Informationen aus wenigen Kantonen weisen darauf hin, dass die Quarantäne bei Reiserückkehrern in weniger als einem Prozent der Betroffenen zu einer Infektion führt. Jede saubere Evaluation würde angesichts einer so lausigen Effizienz die Quarantäne bei Reiserückkehrern stoppen, subito!“

So… das wär’s für heute. Nicht, dass ich nicht noch mehr zu bieten hätte. Aber Corona beherrscht das Leben schon viel zu sehr… und um halbwegs autonom zu bleiben, entscheide ich: Schluss jetzt!

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