Superspreader Söder und Herrmann oder: Ministerieller Rufmord

Einige Artikelüberschriften, die Telepolis zusammengestellt hat :

„Eine Superspreaderin auf Kneipentour“ Die Welt
Bayerns Innenminister fordert Konsequenzen für Superspreaderin. Eine infizierte Frau hat die Corona-Fälle in Garmisch-Partenkirchen sprunghaft ansteigen lassen.“ Zeit Online
„‚POTENTIELLE KILLERIN‘! Superspreaderin feierte beim Karaoke-Abend. Der heftige Corona-Ausbruch in Garmisch-Partenkirchen geht auf das Konto einer feierfreudigen US-Amerikanerin (26). Bild.de

FAZIT: Ganz Garmisch ist sauer auf Superspreaderin“ titelte der österreichische Kurier am 14.9.20

Nein, es war nicht nur „ganz Garmisch“ sondern es war ziemlich ganz Deutschland, wobei ich mich einschließe. Nach allem, was ich dazu gelesen hatte, fand ich das Verhalten der jungen Dame rücksichtslos. Zwar wurde in fast allen Medien korrekt davon gesprochen sie „soll“… dies und das getan haben und nicht sie „hat“ dies und das getan. Aber (ich schließe mich ein!) solche Petitessen gehen in der Hitze des Gefechts unter. Zumal wenn es empörte Stellungnahmen des bayerischen Ministerpräsidenten Söder und seines Innenministers Herrmann gibt.

Was war angeblich geschehen:

Eine 26-jährige (!) US-Amerikanerin(!) soll trotz Symptomen und ohne das Testergebnis abzuwarten nächtens durch „verschiedene Kneipen“ Garmischs gezogen sein und dabei mehrere Menschen angesteckt haben. Und „es werden viele neue Fälle befürchtet“ (Zeit vom 14.9.)

Der Kurier zitiert Innenminister Joachim Herrmann (CSU): Der fordert Konsequenzen für die mutmaßliche Verursacherin, und zwar deftige. „Sollte sich bestätigen, dass die Frau bewusst trotz eindeutiger Corona-Symptome die Quarantäne ignoriert hat, muss sie mit einem empfindlichen Bußgeld rechnen“, sagte Herrmann dem Münchner Merkur (Montag).„Gegen so eine Rücksichtslosigkeit sollte ein klares Signal und ein mahnendes Beispiel gesetzt werden, dass jeder mit empfindlichen Sanktionen rechnen muss, der in dieser besonderen Situation der Pandemie gegen die Regeln verstößt und andere vorsätzlich in Gefahr bringt.“… Das zuständige Landratsamt geht davon aus, dass der Ausbruch auf eine sogenannte Superspreaderin zurückzuführen ist. Die 26-Jährige soll durch verschiedene Kneipen in der Marktgemeinde am Fuße der Zugspitze gezogen sein und dabei mehrere Menschen angesteckt haben. Nach Angaben der Behörde hat sie auf der Kneipentour schon Symptome gehabt….

Die ZEIT  zitiert ebenfalls am 14.9.Ministerpräsident Markus Söder (CSU) der harte Konsequenzen fordert und bei dem die Möglichkeitsform doch schon ziemlich dem Indikativ gewichen ist: „‘Garmisch-Partenkirchen ist ein Musterfall für Unvernunft‘, sagte Söder. Der Fall sei ein Beispiel dafür, wie schnell sich Corona-Infektionen verbreiten könnten. ‚Dieser Leichtsinn muss auch Konsequenzen haben.‘ Es sei deshalb sinnvoll, mit entsprechend ‚hohen Bußgeldern‘  zu agieren.

Und die Staatsanwaltschaft wurde gegen die „Superspreaderin“ in Marsch gesetzt: „Dabei gehe es um den Verdacht der fahrlässigen Körperverletzung, sagte Oberstaatsanwältin Andrea Mayer.“

Was sind die Folgen?

Ich habe mir mal die LeserInnenkommentare der Zeit zu diesem Artikel angeschaut. „DIE ZEIT“ ist ja nun nicht gerade als Revolverblatt mit entsprechendem Revolver-Klientel bekannt. Damit will ich sagen: Ich möchte nicht wissen, wie die Resonanz in anderen Medien war.

Es gab abgewogene, kritische Kommentare aber nicht wenige ziemlich brutale (wobei die Redaktion – wie man sehen konnte – die schlimmsten schon gelöscht hatte).

Und damit komme ich zurück auf meine Überschrift: Söder und Herrmann haben sich als Superspreader und Brandstifter betätigt. Sie haben ihre Position verwendet um zur Hexenjagd aufzurufen (die Bezeichnung „Hexe“ tauchte übrigens in einer Leserzuschrift der ZEIT auf….).

Zur Veranschaulichung zitiere ich eine Leserstimme:

„Viel interessanter als die Frage nach strafrechtlichen Konsequenzen finde ich die nach Schadensersatz. Wenn sie Behandlungskosten, eventuelle Verdienstausfälle und Schmerzensgelder für von ihr angesteckte Personen berappen müsste, wäre sie möglicherweise für den Rest ihres Lebens finanziell ruiniert. Und das alles, weil man nicht ein paar Tage aufs Feiern verzichten kann. Hier sehen Leute ihr Lebenswerk über die Wupper gehen wegen der Corona-Auflagen, und diese *hier bitte Verbalinjurie eigener Wahl einsetzen* zieht um die Dörfer. Es ist nicht zu fassen.“

 

Drei Tage später: Der Faktencheck

So. Das war am 14.9. Gestern, am 17.9. brachte tagesschau.de einen Faktencheck: https://www.tagesschau.de/faktenfinder/superspreaderin-garmisch-corona-101.html

  1. Missachtung der Quarantänepflicht?

Die Behauptung, man habe der Frau gesagt, sie müsse in Quarantäne, bis das Testergebnis da sei, ist fraglich. Solches hatte der Sprecher des Landratsamts zwar keck behauptet: „Die Dame hat Symptome gehabt, war bei uns bei der Teststation und wurde aufgrund der Symptome aufgefordert, in Quarantäne zu bleiben. Das hat sie aber nicht getan“, sagte der Sprecher des Landratsamts, Stephan Scharf“ (Die ZEIT) .

Vielmehr (tagesschau.de): „Doch bereits diese Angabe ist umstritten: So konnte das Landratsamt auf Nachfrage nicht angeben, ob der Frau gesagt wurde, dass sie zu Hause bleiben muss oder ob es ihr nur angeraten wurde, wie der Bayerische Rundfunk berichtete. Das sei ‚aus Kapazitätsgründen bei Teststationen und Ämtern derzeit auch schwer nachzuvollziehen‘.“ Wie es um solche Aussagen bestellt ist, beschreibt auch ein Zeitleser:  “ …In meiner Familie wurden nun schon 2 Personen auf Corona getestet, da Erkältungssymptome aufgetreten sind. Keiner der Ärzte hat uns darauf hingewiesen, dass bis zu der Mitteilung des Ergebnisses eine Quarantäne einzuhalten wäre. Mir wurde überdies ausdrücklich mitgeteilt, dass ich weiterhin zur Arbeit gehen kann obwohl ich im gleichen Haushalt lebe.“

 

  1. Die „Kneipentour“ schrumpft zum Restaurantbesuch:

„Bekannt wurde außerdem, dass die Frau am Dienstagabend keineswegs auf ‚Kneipentour‘ war, wie Behörden, Politiker und Medien bis heute schreiben, sondern in einem Lokal. Zudem dürfen reine Bars, Kneipen und Betriebe des Nachtlebens in Bayern noch gar nicht öffnen. Streng genommen handelt es sich bei den Lokalitäten daher um Speiselokale. Einen anderen Betrieb besuchte die Frau vor ihrem Test – und damit auch vor einer möglichen Quarantäne, wie das Landratsamt, das die Frau zunächst als Hauptquelle vieler Neuinfektionen dargestellt hatte, der „Süddeutschen Zeitung“ mitteilte.“

 

  1. Wieviel Menschen wurden tatsächlich angesteckt – und von wem?

Ergebnis der Tests an ca. 1000 Personen, die bis zum Montag durchgeführt wurden: „….Drei Tests waren positiv. Bei diesen drei Neuinfizierten gebe es einen Zusammenhang mit der 26-Jährigen: Eine Person arbeite in dem Lokal, das die Frau am Dienstag aufsuchte, zwei waren in der Vorwoche gleichzeitig mit ihr Gäste eines Irish Pub… Von 32 Neuinfektionen, die man am Freitag registriert habe, stehe jedoch nur ein Teil im Zusammenhang mit der 26-Jährigen. Dies seien vor allem die Infizierten des Hotels, in dem die Frau selbst arbeitet. Allerdings: Das Landratsamt kann in keiner Weise sagen, ob die Frau ihre Kolleginnen und Kollegen angesteckt hat – oder schlicht selbst dort angesteckt wurde. Weitere Neuinfektionen hätten jedenfalls keinen Kontakt mit der Frau gehabt. Fazit des Faktenchecks: „Keine einzige Infektion definitiv zurechenbar.“

 

Ich wünsche der jungen Frau eine sehr, sehr tüchtige anwaltliche Vertretung… denn wie heißt es in dem zitierten Leserbrief: „Viel interessanter als die Frage nach strafrechtlichen Konsequenzen finde ich die nach Schadensersatz.“ Schadensersatz für das Leid und die Angst, die ihr aus ministerieller Vorverurteilung entstanden sind. Man kann nicht nur leichtfertig Viren verbreiten sondern auch vergiftete Worte. Die Wirkungen sind vergleichbar.  

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