Das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx

Corona scheint out zu sein – wenden wir uns endlich wieder anderen Themen zu!

Heute im Schwimmbad wollte man noch nicht mal mehr meine Impfbescheinigung sehen, nachdem man vor einer Woche noch rumgezickt hatte, dass mir ein paar Tage zu der 14-Tage-Frist fehlen, die nach der Impfung verstrichen sein müssen, und mich zum Testen schicken wollte.

Das ist ein deutliches Zeichen! Das Thema „Corona“ rutscht so allmählich von Platz 1 weiter nach hinten… und ich muss, ich kann mich auf andere Themen konzentrieren. Nämlich die, um die ich mich in diesem Blog eigentlich kümmern wollte.

Da kommt mir das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx als Erzbischof von München und Freising durchaus gelegen. 

Wann war „Kirchliches“ zum letzten Mal durchgängig Topthema auf allen Kanälen? 

Da muss man lange nachdenken. Sehr lange. Genau das sagt aber etwas Wichtiges aus: Wenn der 1. FC Bayern in jeder Zeitungsausgabe und Nachrichtensendung mehr Treffer bekommt als eine Meldung aus dem kirchlichen Raum, dann lässt das auf das Interesse des Publikums schließen, aber auch darauf, welches gesellschaftliche Gewicht den Kirchen heute zukommt.

Ich bin alt genug, um mich an andere Zeiten zu erinnern: „Das Wort zum Tage“ im Südwestfunk (es hieß sicher damals anders) dauerte zehn Minuten. Heute reichen drei Minuten, aufgeteilt wird immer noch sauber zwischen Evangelen und Katholen. Aber unübersehbar ist das Bemühen, bloß nicht als christliche Sendung erkennbar zu sein.

Auch Nebensächliches darf mal zum Zuge kommen!

Der Hype um Kardinal Marx muss also eingeordnet werden. Er bewegt sich vielleicht nicht ganz exakt auf derselben Ebene wie Meldungen über das Erscheinen eines Wolfs in der Eifel, die Scheidung des Ehepaares Gates, das Auftreten der afrikanischen Schweinepest – aber so groß ist der Unterschied nicht: man liest oder hört es und geht dann wieder seinen Geschäften nach. Es bleibt folgenlos. Ich werde – als gelernte Theologin – nicht müde diesen Umstand zu betonen, weil ich immer wieder genervt bin von Leuten, die meinen, sich „gegen die Kirche“ verkämpfen zu müssen. „Spare deinen Atem, um die Suppe zu kühlen“, sagte George Bernard Shaw. Das Problem erledigt sich von alleine!

Sexueller Missbrauch in der Kirche“ – bestenfalls Auslöser, nicht Ursache des Bedeutungsverlusts

Nun, natürlich könnte ich auch meinen Atem sparen, um die Suppe zu kühlen. Aber da ich seit vierzig Jahren die Entwicklung des Verhältnisses von „Gesellschaft und Kirche“ recht genau beobachte, möchte ich gegen einen Kurzschluss argumentieren: Der „tote Punkt“ an dem die Kirche in Deutschland nach Meinung von Kardinal Marx angekommen ist, ist keine Folge des Offenbarwerdens der „Katastrophe des sexuellen Missbrauchs“. Das mag den Prozess des Weges in die Bedeutungslosigkeit beschleunigen, genauso wie die offiziellen Weigerungen, ernsthaft für die Gleichstellung der Frauen in der Kirche was zu tun, die Haltung zur Homosexualität zu korrigieren oder die verquere Sexualmoral, an der offiziell eisern festgehalten wird… und so vieles andere.    

Seit 1993 sind die Kirchenaustrittszahlen mit zwei Ausnahmen (2010 und  2018) in der evangelischen Kirche signifikant höher als in der katholischen – obwohl hier viel größere Liberalität herrscht (ob weniger sexueller Missbrauch vorkommt, lasse ich mal dahingestellt).  

1947 (gut, das ist lange her!) schrieben die deutschen Bischöfe „Wir erwarten von den Abgeordneten, denen das katholische Volk seine Stimme gibt, ein mannhaftes Eintreten für die kirchlichen Forderungen.“ (Hirtenbrief der deutschen Bischöfe vom 23.2.1947). So war das – auch noch 10, 20 Jahre später. Heute wäre die Reaktion selbst in sehr kirchlichen Kreisen auf so ein merkwürdiges Ansinnen ein „Wie bitte?“ So ein Satz fällt nicht mehr, wird nie mehr fallen in einem Hirtenbrief. Das macht die Entwicklung deutlich, die seither zurückgelegt wurde. 

Ich gönne mir das Vergnügen, ein weiteres Zitat anzufügen. Aus dem Jahr 1997, also exakt 50 Jahre später.

Wer weiß oder herausfindet, von wem es stammt, bekommt von mir eine Tafel Schokolade zugeschickt:

Wo ein Mangel an Glauben herrscht, gibt es weniger Hoffnung. Und wo Hoffnung schwindet, verbreiten sich Ängste und Unsicherheiten. Das ist der Preis der Säkularisierung unserer Gesellschaft. Es gibt in unserer Gesellschaft ein tiefes Bedürfnis, ja einen Hunger nach Sicherheit und Orientierung. Hier liegt die große Aufgabe gerade auch für die Kirchen. Das ist ihre große Chance.“ 

Gewiss: der Wunsch nach Sicherheit und Orientierung ist groß – aber kaum jemand klopft deswegen an Kirchentüren an. Dahinter erwartet man keine Antworten. Vielmehr: Menschen stellen die Kosten-Nutzen-Frage. Das meine ich nicht so dümmlich wie Kirchenkreise es tun, wenn sie über Ausgetretene sagen „die wollen ja nur die Kirchensteuer sparen“. Sondern wie beantwortet sich die Frage: Was kann ich von dieser Institution Kirche an Kraft, an Hilfe, an Orientierung, Einsicht und Erkenntnis erwarten? Die Antwort fällt unbefriedigend aus. Früher brauchte man den Pfarrer wenigstens für eine anständigen Beerdigung (das war übrigens gar nicht so selten ein ausschlaggebendes Motiv, Kirchenmitglied zu bleiben!). Selbst das hat sich geändert: TrauerrednerInnen machen das wenigstens genauso persönlich und würdevoll.   

     

Die Zwickmühlen des Kardinal Marx

Zunächst einmal finde ich es honorig, so die Konsequenzen zu ziehen, wie Kardinal Marx es in seinem Brief tut. Mir fallen etliche Leute ein, die sich daran ein Beispiel nehmen könnten (damit denke ich nicht an den unsäglichen Herrn Woelki, sondern z.B. an Minister Scheuer oder Kanzler Kurz, eventuell auch Minister Spahn).

Aber vor allem bin ich gespannt, wie es weitergeht: Kardinal Marx hat die HERRschaften in eine Zwickmühle gebracht.

Zunächst den Papst: Egal, ob er das Rücktrittsgesuch annimmt oder ablehnt – es wird Ärger, wenigstens Fragen geben. Ich vermute, Papst Franziskus ist nicht scharf darauf, über das Gesuch zu entscheiden, aber – wenn ich es richtig sehe – konnte sein Münchner Mitbruder nicht einfach seinen Bischofsjob an den Nagel hängen und den Heiligen Vater vor vollendete Tatsachen stellen, was diesem womöglich lieber gewesen wäre. Vielmehr schreibt das Kirchenrecht (CIC von 1983) can 401 §2 vor: Ein Diözesanbischof, der wegen seiner angegriffenen Gesundheit oder aus einem anderen schwerwiegenden Grund nicht mehr in der Lage ist, seine Amtsgeschäfte wahrzunehmen, wird nachdrücklich gebeten, den Amtsverzicht anzubieten.

So ist das eben, wenn man auf einer streng hierarchischen Verfassung seines Vereins besteht. In der Folge bedeutet das: Der Ball liegt im Spielfeld von Franziskus: Nimmt er das Rücktrittsgesuch an, wie blumig verbrämt auch immer als „respektable persönliche Entscheidung“ oder was man halt so sagt, dann folgt daraus die Frage: Und was ist mit den andern – und wie hältst du es eigentlich persönlich?  Lehnt er aber das Rücktrittsangebot ab, so wird die Frage sein: „Aha, Sie finden die Reaktion des Kardinals also übertrieben. So schlimm ist das alles wohl gar nicht in Ihren Augen?“ Fast möchte man Mitleid kriegen.   

Den diversen Woelkis hierzulande hat der Herr Kardinal auch ein Ei ins Nest gelegt. Um in dem Bild zu bleiben: Da gibt es sicher eine ganze Menge, die ihn als Nestbeschmutzer sehen. Image-schädigend, unsolidarisch, Wasser auf die Mühlen der Kirchenfeinde…  Bin gespannt, ob das jemand so laut zu sagen wagt. Abgesehen davon: Es lässt sich natürlich auch weiterhin rechtfertigen „wir sind allemal Sünder und wo käme man denn hin, wenn ich den Bettel auch hinschmeißen würde. Ich bleibe aus Pflichtbewusstsein und alles andere geht nur mich und den Herrgott was an.“

 

Institutionelles Versagen – eine (fast) sensationelle Aussage für einen Kirchenmann

Auf einen Punkt im Schreiben von Kardinal Marx möchte ich hinweisen – der ist in meinen Augen geradezu sensationell:

„Die Untersuchungen und Gutachten der letzten zehn Jahre zeigen für mich durchgängig, dass es viel persönliches Versagen und administrative Fehler gab, aber eben auch institutionelles oder „systemisches“ Versagen. Die Diskussionen der letzten Zeit haben gezeigt, dass manche in der Kirche gerade dieses Element der Mitverantwortung und damit auch Mitschuld der Institution nicht wahrhaben wollen und deshalb jedem Reform- und Erneuerungsdialog im Zusammenhang mit der Missbrauchskrise ablehnend gegenüberstehen. Ich sehe das dezidiert anders. Beides muss im Blick bleiben: persönlich zu verantwortende Fehler und das institutionelle Versagen, das zu Veränderungen und zur Reform der Kirche herausfordert.“

Hier wird von institutionellem und systemischem Versagen gesprochen. Das ist ziemlich neu, mindestens in dieser Deutlichkeit. Vielmehr galt bislang: „Tja, stimmt schon: Mitglieder der Kirche können sündigen – aber die heilige katholische Kirche bleibt heilig, unbefleckt. Da muss man sauber unterscheiden!“

Ich glaube nicht, dass daraus irgendwelche Konsequenzen gezogen werden… wollen wir wetten?

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