Bevor ich jetzt einen Blogartikel schreibe mit meiner – umfangreichen – aktuellen Sammlung „die Deutsche Bahn und wir“ mit Kuriosem und Empörendes hier zum Besten gebe, ein Blick zurück.
Denn es ist zu einfach „die Bahn“ für das aktuelle Desaster verantwortlich zu machen, ohne sich die Ursachen dafür ins Gedächtnis zu rufen. Und diese Ursachen sind – genauso wie zum Beispiel im Gesundheitswesen – in den Entscheidungen der Politik zu suchen und bei denen, die diese „wissenschaftlich“ vorbereitet haben, nämlich „den Experten“. Näherhin im Neoliberalismus, in dem Aberglauben, „der Markt“ würde – egal wo – zu besseren Ergebnissen führen (billiger und effizienter!).
Wie so oft wird dann auf den Sack geschlagen, während der Esel – „die Politik“, „die Wissenschaft“- außen vor bleibt: Bei der Bahn regt man sich über ausfallende Züge auf, im Gesundheitswesen darüber, dass man monatelang auf eine Untersuchung warten muss, dass die Krankenschwester oder die Altenpflegerin pampig ist … usw.. Statt die Systemfrage zu stellen, wird das Versagen „privatisiert“. Die Antwort auf die Systemfrage ist: in Bereichen wie Infrastruktur und Gesundheitswesen hat marktwirtschaftliches Denken wenig bis nichts verloren. (Nachzulesen beispielsweise in „Zur Privatisierung von Infrastruktur. Staat im Ausverkauf“ oder – fürs Gesundheitswesen: „Wir dürfen unser Gesundheitssystem nicht dem freien Markt überlassen!“)
Unser Gedächtnis ist zu kurz. Dem soll abgeholfen werden!
Die Deutsche Bahn wurde 1994 mit den Stimmen einer übergroßen Mehrheit des Bundestages privatisiert: Am 02.12.1993 votierten 559 Abgeordnete für die Privatisierung, es gab 12 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen. (Wenn ich Zeit hätte, würde ich versuchen herauszufinden, wer diese 16 Abweichler waren.)
Zum 20-jährigen Jubiläum dieser Bahnreform, also 2014, wurde ein üppiger Sammelband herausgebracht, in dem man sich vor allem selber lobte.
Angela Merkel steuerte ein Grußwort bei:
„Heute wissen wir, dass die Weichen vor 20 Jahren richtig gestellt wurden. Doch an Herausforderungen wird es gewiss auch weiterhin nicht mangeln.[…] Die Deutsche Bahn AG fährt hervorragend damit, wirtschaftliche, soziale und umweltbezogene Belange miteinander zu verbinden.[…]
Nun gilt es, an den hart erarbeiteten Erfolgen der vergangenen 20 Jahre anzuknüpfen. Ob mit Blick zurück oder mit Blick nach vorn – aus vielen guten Gründen können wir uns über die gelungene Bahnreform von 1994 freuen. Allen Beteiligten herzliche Glückwünsche zu einem Jubiläum, das
mit einer Bilanz der Bestätigung und des Ansporns aufwartet.
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin
„Die Bahn sollte ihr Geld am Markt verdienen und nicht im Parlament abholen.“
So zu lesen in „Die Gründung der Deutschen Bahn AG“. Das leuchtete nicht nur Lieschen Müller ein, sondern auch Lieschen Müller MdB. Das fand auch ein Text von 1998 (in: Volkswirtschaft in 15 Fällen (S.195 -220) Markt- oder Staatsversagen? Regulierung und Deregulierung der deutschen Bahnen. Einer der Verfasser – Jens Köke – macht jetzt in Insolvenzverwaltung , was ich doch hübsch finde und nicht vorenthalten will.
In der Zusammenfassung heißt es: „Nachdem die Bundesbahn den Staat im Laufe der Jahre mit steigender Tendenz über 300 Milliarden DM an Zuschüssen und Subventionen gekostet hatte, wurde mit der Bahnreform Anfang Januar 1994 ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Beendigung eines staatlichen Monopols unternommen.“
Hier kann ich mir nicht verkneifen eine andere Zahl einzufügen: am 12.09.2018 titelte die Süddeutsche Zeitung „Banken: Jede Familie zahlt 3.000 Euro für Finanzkrise“ und führte aus: „Bis Ende 2017 summieren sich die Kosten der öffentlichen Haushalte auf 59 Milliarden Euro. Darin enthalten sind ausgereichte Garantien, Kredite und Kapitalspritzen. Diese Summe ist nur vorläufig, weil die Hilfen nicht abgeschlossen sind. Neue Zahlen weisen darauf hin, dass die Kosten auf mehr als 68 Milliarden Euro steigen werden… Bund, Länder und Kommunen sind also zehn Jahre nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise weiter damit beschäftigt, heimische Banken zu stützen.“
Mit anderen Worten: im Ernstfall ist es nicht weit her mit der Behauptung „wenn etwas privatrechtlich organisiert ist, kann sich der Staat getrost raushalten. Bankrott ist unternehmerisches Risiko“. Vielmehr: „To big to fail“ oder „Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert“.
Zurück zum Text über die Gründung der Deutschen Bahn AG von1998:
„Diese faktische Kostendeckungsgarantie schaltete die Anreize zum effizienten Betrieb aus und trieb die Kosten in die Höhe. Die betrieblichen Ineffizienzen waren zuletzt so groß, daß nicht einmal die Personalkosten gedeckt wurden. Die behördliche Struktur verhinderte zudem eine klare Kundenorientierung als Dienstleister. Die Bahn war trotz aller Protektion immer weniger der zunehmenden Konkurrenz durch Straßen- und Luftverkehr gewachsen, hat dramatisch an Marktanteilen verloren und untragbare Defizite verursacht.“
Und nun das Versprechen:
„Die Bahnreform soll diese Probleme durch Privatisierung und Deregulierung lösen. Die privatwirtschaftliche Organisation verbunden mit unternehmerischer Freiheit in der Gestaltung von Preisen und Streckenangebot soll die Konkurrenzfähigkeit der Bahn erhöhen.“
Wir können heute überprüfen, wie haltbar diese Prognose aus dem Jahr 1998 ist und Sätze wie „Freundliches Personal gab es natürlich auch früher schon, so ist es nicht. Aber insgesamt hat man schon gemerkt, dass der Fahrgast nicht mehr nur ein Beförderungsfall ist, er ist ein Kunde, auch in der Konkurrenz zum Flugzeug und zum Bus.“ (Peter Naumann, Fahrgastverband pro Bahn im Jahr 2019 in der Sendung des Deutschlandfunks „Erfolgreiche Weichenstellung? Die Privatisierung der Bahn 1994″)
Oder die 1994 von damals amtierenden Verkehrsminister Wissmann aufgestellte Behauptung (Zitat in derselben Sendung des Deutschlandfunks): „Wir können vor allem den Menschen die Hoffnung vermitteln, dass sich ein modernes Dienstleistungsunternehmen immer mehr entwickeln wird. Das eben befreit ist von den Fesseln der Behördenstruktur. Und daher auch mehr Verkehr auf die Schiene ziehen kann. Ein verkehrspolitisches Jahrhundertwerk hat mal jemand gesagt.“ Nebenbei: Herr Wissmann war von 2007 bis 2018 Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA).
Wie die Bahn schlechtgeredet wurde „Wer nix is und wer nix kann, der geht zu Post und Bundesbahn““
Am 19.8.2019 schrieb ein „jgobond“: in der Reihe „Gute Frage“:
„Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus in Europa begann eine Ära des Neoliberalismus. Staatsbetriebe galten als ineffizient, zu schwerfällig, zu kostenintensiv und schlicht nicht mehr zeitgemäß. Die innovativen und selbstregulierenden Kräfte des freien Marktes wurden als allein und universal zum Erfolg führend und zukunftsfähig gepriesen. Das Beamtentum der Bähnler und Pöstler und auch die damit verbundenen Privilegien wie Unkündbarkeit, kostenloses Bahnreisen, subventionierte Kantinen, Wohnsiedlungen und Schrebergärten war den Anhängern dieser Ideologie ein Dorn im Auge. Was mit der Post begann wurde mit der Bahn fortgeführt und endete mit dem Verkauf kommunaler Infrastruktur. Und so sollte auch die Bahn auf Teufel komm raus auf Profitabilität getrimmt und „marktfähig“ gemacht werden.
Bei aller berechtigten Kritik wurde aber immer ausser acht gelassen daß Infrastruktur nicht dazu da ist profitabel zu sein, sondern um denen die sie nutzen Profitabilität zu ermöglichen. In diesem Zuge hat man den ganzen Laden langsam aber systematisch auf allen Ebenen runtergerockt. Ländliche Gebiete, werden nicht mehr bedient, Züge fahren nicht weils im Sommer zu warm und im Winter zu kalt ist. Das Konzept „Mehr Güterverkehr auf die Schiene“ floppte. Als man merkte, dass man mit einem Börsengang und der damit verbundenen völligen Freigabe für den Markt inklusive Hedgefonds und Co auf eine Vollkatastrophe zusteuert die das gesamte Bahnsystem zum erliegen zu kommen droht, hat man die Reissleine gezogen und verharrt seither in Apathie..[…]“
Fazit
(Entnommen: Zwölf Argumente gegen eine Privatisierung der Deutschen Bahn AG ohne Netz“ aus dem Jahr 2006):
„Die Alternative zur Privatisierung heißt nicht ‚Weiter so‘ mit der Deutschen Bahn AG und meint schon gar nicht ein Zurück zu einer starr-zentralistischen Staatsbahn. Vielmehr ist die Alternative eine Bahn in öffentlichem Eigentum, die bei den grundlegenden Standards (wie Fahrplan, Tarife, Sicherheit) so zentral wie nötig und in den Eigentumsformen so dezentral und bürger- und kundennah wie möglich organisiert ist. Die Bahn in der Schweiz (SBB) ist diesbezüglich ein Vorbild.“
Sag ich ja schon immer! ( Als Beleg zum Beispiel mein Blogbeitrag und 2020: „Bahnkilometer einst und heute“)