Holpriger Weg: Gleichberechtigung – zurück in die „Fünfziger“?

Seit den achtziger Jahren war für mich die unterschiedliche Behandlung von Jungen und Mädchen / Männern und Frauen ein Thema. Manchmal durchaus mit der Folge, dass sich meine Kinder für mich in Grund und Boden schämten, wenn ich zum Beispiel in der Arztpraxis laut und deutlich darauf hinwies, ich sei kein „Erziehungsberechtigter“ sondern eine „Erziehungsberechtigte“.

Immerhin: bei der Sprache wird gegendert

Nun, bei der Sprache tut sich in der letzten Zeit was – teils gegen erbitterten (keineswegs nur männlichen) Widerstand, der bis vor die Schranken des Gerichts führen kann . Ein Audi-Mitarbeiter fühlte sich in seinen Persönlichkeitsrechten durch dieses neumodische Zeug beeinträchtigt, klagte – und verlor: „Audi darf weiter gendern“ Der urteilende Richter meinte, es gebe für den Kläger kein Recht, mit dem Gendern „in Ruhe gelassen zu werden„. Aber Berufung gegen diesen Entscheid ist möglich und auch zu erwarten.

Trotzdem: weithin scheint geklärt, dass sich Frauen mit der männlichen Version nicht einfach „mitgemeint“ fühlen müssen. Das war vor Jahrzehnten so eine der faulen Ausreden. Aber schon damals konnte man lesen, dass in Berufen, in denen mehrheitlich Frauen tätig waren, für männliche Vertreter keineswegs die Logik des „Mitgemeint-Seins“ galt: ganz selbstverständlich wurde in diesem Fall von „Krankenschwestern und Krankenpflegern“ gesprochen. Und falls sich mal ein Mann unter Hebammen verirrte, dann hieß es eben „Hebammen und Geburtshelfer“. Das war dann plötzlich nicht mehr „zu lang und unverständlich“.

Sprache schafft Wirklichkeit

Sprache soll die Wirklichkeit abbilden. Aber durch Sprache entsteht auch Wirklichkeit. Das lässt sich einfach überprüfen: was sehen Sie vor ihrem geistigen Auge, wenn die Rede ist von „Ministerpräsidenten“, „Grundschullehrern“, „Sportlern“ oder “Ärzten“? Aller Wahrscheinlichkeit eine frauenlose Runde!

Gerade bei „Ärzten“ hält sich die ausschließlich männliche Form besonders hartnäckig, in Formularen heißt es meistens noch ausschließlich „der Patient“. Jüngst konnte ich es mir nicht verkneifen, angesichts der offiziellen Bezeichnung „Zulassungsausschuss für Ärzte“ nachzufragen, ob ich davon ausgehen dürfe, dass  auch Ärztinnen „mitgemeint“ wären. Und natürlich auch Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen – für die der Ausschuss nämlich genauso auch zuständig ist, womit dann auch etwas über deren Bedeutung gesagt ist. (Ich stamme noch aus einer Zeit, da firmierten PsychotherapeutInnen unter ärztlichem „Heilhilfspersonal“.)

Heute freue ich mich, wenn in den Nachrichten nach „Ministerpräsident“ eine klitzekleine Pause gemacht wird und darauf das“-innen“ folgt. Geht doch – kostet gar nicht viel Zeit und bleibt verständlich.

Wie gesagt: die Argumente für eine gendergerechte Sprache konnte man/frau schon vor 40 Jahren lesen! (Die dagegen dagegen natürlich auch.)  Immerhin: das damals gebräuchliche „Fräulein“ gehört definitiv der Vergangenheit an.

 

Trend unter jungen Frauen: Zurück in die „Fünfziger“?

Während ich also einerseits doch – langsam, langsam – Fortschritte feststelle, habe ich in einem anderen Bereich das Gefühl, wieder in den fünfziger Jahren angekommen zu sein. Motto: der Mann ist der Stamm, die Frau das Efeu, das sich um den Stamm herumrankt. Ich hatte einige jüngere Patientinnen und war ziemlich erschrocken, wie sehr diese und offensichtlich auch ihre Freundinnen (es waren wirklich keine Einzelfälle) ihr Leben auf den „Angebeteten“ ausrichten: sie verabreden sich nicht mit Freundinnen, denn es könnte ja sein, dass der Freund noch anruft und sie einbestellt. Sie richten ihren Wochenplan nach „dem Mann“ aus – umgekehrt werden sie irgendwie zwischen Fußballtraining, Abend mit Kumpeln und was weiß ich „eingeplant“. Die Überlegungen, welches Outfit dem Freund gefallen könnte, sind abendfüllend. Ich gehe jede Wette ein, dass sich das männliche Pendant keine 5 Minuten darum geschert hat, was der Auserwählten gefallen könne.

Der Bohai ums Heiraten als Lebensziel einer Frau stellt die Zeit des Schlagers „eine weiße Hochzeitskutsche“ lässig in den Schatten.

 

Wie man mit „rosa und blau“ viel Geld verdient und Gesellschaftspolitik macht

Nach dieser länglich geratenen Vorrede nun zum eigentlichen Thema des Artikels, nämlich zu einem Beitrag vom 22.7.22 aus der Süddeutschen: Hotpants für Mädchen, Shorts für Jungs.

Das ist jetzt nichts ganz Neues, dass von der Industrie insgesamt, insbesondere von der Bekleidungsindustrie mehr als früher Produkte getrennt nach dem Geschlecht der Kinder angeboten werden: rosa Fahrrädchen für Mädchen – mit Drachen bemalte Kinderfahrräder für Jungen. Dass man damit den Wünschen der Kinder entgegenkäme, ist Quatsch. Sondern man zieht sich sein Klientel heran, indem man per Werbung einhämmert, was für ein Mädchen schick ist – was zu einem „richtigen Jungen“ passt. Durchaus auch mit der Folge, dass ein Junge gehänselt wird, wenn er ein T-Shirt in der falschen Farbe trägt. Das wird er sich zu Herzen nehmen.

Der banale Grund Grund: das Mädchen- Fahrrad kann natürlich unmöglich vom nachfolgenden jüngeren Bruder übernommen werden. Es muss ein neues angeschafft werden. Das sollte einem der Sprössling schon wert sein! Dasselbe gilt für T-Shirts mit einer Fee bei Mädchen und einem Dinosaurier bei Jungs. Oder Socken:  Von Anfang an ist alles nach Geschlechtern aufgeteilt, man muss sich entscheiden: Kauft man Socken für Jungs oder Mädchen? In sozialen Netzwerken kursiert hier der Witz: ‚Ich hätte eigentlich gerne Socken für Füße.‘”

Die Süddeutsche hat es genauer untersucht:

„Dass das gegenderte Angebot keine gefühlte Wahrheit, sondern Fakt ist, belegt nun eine große Datenanalyse der Süddeutschen Zeitung. In die Auswertung sind Bilder und Beschreibungen von mehr als 20 000 Kleidungsstücken für Kinder unter zehn Jahren eingeflossen[…] Die Ergebnisse zeigen: Die aktuelle Kindermode zementiert Geschlechterbilder.“

Natürlich weisen die Firmen – angefangen von About you über H&M und aufgehört bei Zalando – jede Verantwortung von sich. Sondern Schuld sind die KundInnen, „die es vorziehen, auf diese Weise einzukaufen“ (so ein Sprecher von H&M). Dazu sagt Almut Schnerring (Mitverfasserin von Die Rosa-Hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees. Schnerring, Almut; Verlan, Sascha. Verlag Antje Kunstmann, München 2014.  ISBN 978-3-88897-938-5) kurz und knapp: „Bullshit“. (Oder – wir wollen ja gendergerecht sein: Kuhfladen) Den KonsumentInnen würde die Verantwortung zugeschoben, nachdem die Firmen Millionen Euros in Werbung für unterschiedliche Produkte je nach Geschlecht investiert hätten. Treudoofer Blick Marke „wir wollten es ja ganz anders, aber Sie müssen doch verstehen: die Kundschaft, die Kundschaft!“

 

Was will uns das sagen „Für Mädchen kurz und knapp, für Jungs bequem“

Besonders erschreckend fand ich aber Folgendes:

Unter der Überschrift „Für Mädchen kurz und knapp, für Jungs bequem“ heißt es in diesem Artikel der Süddeutschen, die 4000 kurze Hosen für Jungen und Mädchen vermessen hat:

Bei den Jungen sieht das so aus. Die durchschnittliche Hose für Jungen geht etwa bis zur Mitte des Oberschenkels. Anders bei den Mädchen: Ihre Hosen sind in den meisten Fällen um einiges knapper geschnitten, die Hose mittlerer Länge endet kurz unter dem Po. Besonders deutlich zeigt es der direkte Vergleich der Längen: Für Jungen gibt es Shorts, für Mädchen Hotpants. Anatomisch ergibt das keinen Sinn, die Körper von Jungen und Mädchen unterscheiden sich in der betrachteten Altersgruppe kaum.[…] Dass die Hosen von Mädchen enger und kürzer sind, ist daher schlicht Ergebnis von Mode und Sozialisierung“.

Fazit: „Die Kleidung für Mädchen – egal in welcher Altersgruppe – ist darauf ausgelegt, Haut zu zeigen und den Körper zu betonen”, sagt Almut Schnerring. […]„Die Kleidung von Jungen hingegen ermöglicht Bewegung und gemütliches Dasein”, sagt Almut Schnerring. Mit Cargoshorts klettert es sich besser als mit Hotpants – oder gar mit Miniröcken, die in dieser Analyse mangels Vergleichsmaterial gar nicht erst auftauchen.[…]“

Da fällt mir mein Beitrag „Bislang unbekannte sportliche Disziplin: Höschenlänge“ ein. Ansonsten fällt mir dazu wirklich nichts mehr ein.

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