Vorsicht Vorurteil! -Sowie eine Lehre zur Gruppendynamik

Gestern bin ich (- ich glaube, ganz legal. Aber was weiß man heutzutage schon!) von Konstanz mit dem Schiff nach Schaffhausen gefahren. Eine wunderschöne Fahrt, ziemlich teuer zwar und ein kleines bisschen zu lang – über drei Stunden nämlich.

Es war morgendlich kühl und zunächst hielten sich die spärlichen Fahrgäste eher unter Deck auf. Mit Maske, versteht sich. Drei oder vier Unentwegte harrten oben aus (ich auch ab und zu, wenn ich fotografieren wollte). Mit Maske, versteht sich. Oder versteht sich nicht. Denn wie sollen bei dem beträchtlichen Fahrtwind die paar Aerosole landen können. Aber egal: Vorschrift ist Vorschrift.

In Stein am Rhein wurde es nicht nur wärmer, sondern auch voller. Eine Horde junger Männer kam an Deck– manches ließ auf einen Junggesellenabschied schließen: Bierdosen in der Hand, Leiterwagen mit weiterem Bier, nicht gerade grölend, aber so laut, dass ich meinen iPod ausschaltete, weil ich nichts mehr hörte. Was jetzt nicht so ein Verlust war: auch beim dritten Durchgang konnte ich an Carnaps und Quines Analytischer Philosophie nichts finden, was mich überzeugt hätte. Und längst bin ich über das Stadium hinweg, wo ich den Fehler bei mir suche „Hab’s eben noch nicht kapiert!“ – sondern mir erlaube/anmaße (kann man sehen, wie man will) zu sagen: „Das taugt wohl nix.“

Ich betrachtete die Horde missbilligend. Aber dann hörte ich plötzlich, worüber sie sprachen: Ob es Sinn mache, Kinder zu bekommen. Sie sprachen differenziert, abwägend. Einer erzählte von einem Vier-Generationen-Haushalt und dass Familie gerade in Corona-Zeiten vor Einsamkeit geschützt habe, insbesondere die alten Menschen, die ja ohne Familie häufig in Heimen an Einsamkeit litten. Ja, meinte ein anderer, aber das sei kein gutes Motiv, Kinder in die Welt zu setzen, damit man im Alter nicht allein wäre!  Genauso – ergänzte ein anderer – müsse man aufpassen, dass man die Kinder nicht dazu instrumentalisiere, die eigenen unerfüllten Wünsche zu realisieren. Dass sie das erreichen sollten, was man selbst nicht hätte erreichen können. Schließlich meinte ein dritter, die Frage sei vermutlich, was man am Ende seines Lebens mehr bereue: Kinder bekommen zu haben oder keine Kinder bekommen zu haben. Die andern stimmten nachdenklich zu: Es sei eine schwierige Entscheidung.

Ich war nahe daran, mich bei „der Horde“ zu entschuldigen.

Aber da war noch was anderes: Die in Stein am Rhein Zugestiegenen setzten sich überwiegend ohne Maske an Deck. Und ich beobachtete (auch an mir selbst) wie eine Maske nach der anderen fiel. Zum Schluss sogar bei dem Hartnäckigen mit besonders ausgeprägter Maske, der mit mir um die Wette fotografiert hatte.

Der Mann von der Besatzung ignorierte das und tat nur geschäftig, als er die Aufbauten runtermachen musste, um unter der schönen Holzbrücke von Diessenhofen durchzukommen  (einschließlich der Schweizer Flagge, deren Mast wohl auch etwas zu hoch ragte).

So geht das also!

P.S. Zur allgemeinen Beruhigung: Wir sind nicht den Schaffhausener Wasserfall runtergefahren, wie das Foto oben nahezulegen scheint. Da bin ich dann zu Fuß hin. 

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