Nachdem das Landgericht Berlin im September 2019 entschieden hatte, es sei keine Beleidigung, wenn eine Politikerin (in diesem Fall Renate Künast) als „Stück Scheiße“ oder „Dreckschwein“ bezeichnet werde (https://ursula-neumann.de/amerikanische-verhaeltnisse-oder-welche-meinungsfreiheit-wollen-wir/), braucht man sich eigentlich über nichts mehr zu wundern. Ich wundere mich auch nicht, ich rege mich auf.
- Teil
„Die Leiden des jungen Torunarigha“ – so lautete ein Aufsatz des Herrn Professor Dr. Stefan Chatrath, erschienen in der Internetzeitung https://www.novo-argumente.com/ (Selbstbeschreibung: Online-Politikmagazin) und aktuell auf Wunsch des Autors nicht mehr „verfügbar“. Aber immerhin gibt es noch hinlänglich Zitate daraus (ich beziehe mich im Folgenden auf solche aus der FAZ, der Mitteldeutschen Zeitung, der BZ, der Welt und verschiedener Sportzeitungen).
Der Herr Professor setzt sich dabei mit der Frage auseinander, was sich ein Profifußballer von den Zuschauern bieten lassen muss. Seine Antwort auf die Frage „Wie weit darf der Zuschauer gehen?… Ist es legitim, den Gegner zu beleidigen, wenn mir das einen Wettbewerbsvorteil verschafft? Ich denke: ja! Es ist alles erlaubt, solange der gegnerische Spieler physisch nicht so stark geschädigt wird, dass er ausgewechselt werden muss.“ Also ein bisschen physische Schädigung darf schon sein und Beleidigen schon mal gleich gar: „Darf ich fragen, ob Jordan Torunarigha das hätte aushalten müssen? Ich meine die Affenlaute von Zuschauern beim Spiel seiner Berliner Hertha gegen Schalke in Gelsenkirchen“. Die Antwort: „Fußballer, die professionell spielen, müssen Beleidigungen aushalten, das gehört dazu.“ Aha! Das gehört dazu! Wieso eigentlich? Auf alle Fälle sind die, die das nicht aushalten, aus dieser Sicht wohl weinerliche Weicheier. Keine Männer! Für die ist kein Platz im Fußball. Der Herr Professor scheint aber doch Verständnis zu haben für Torunarigha… wenigstens ein bisschen: „Ja, das mag wehtun, aber die Vorfälle ereigneten sich in einem Fußballstadion, wo es dazugehört, dass der Gegner mit Spott und Häme überzogen wird… Natürlich kann ich es auch nicht schönreden, wenn im Stadion jemand Affengeräusche nachahmt, um schwarze Spieler zu beschimpfen. Das ist rassistisch, keine Frage.“
Verstehe: das gehört beim Sport – mindestens beim Fußball dazu! Und deshalb knallhart: „Wir müssen akzeptieren, dass auch Ärger, Frust und die Geringschätzung des Gegners seinen Platz im Stadion haben. Wer damit nicht umgehen kann, sollte besser zu Hause bleiben.“ Und deshalb hätte Torunarigha „seine Gefühle im Griff haben müssen.“ Das ist hübsch! Aber irgendwie finde ich dann doch, dass dies ein Appell an den Falschen ist: Der Beleidigte soll seine Gefühle im Griff haben, während der Beleidiger… ja was soll der?
Meine Gedanken schweifen kurz ab: Frau Künast hätte eben ihre Gefühle im Griff haben sollen und nicht auf Grund ihrer Befindlichkeiten zum Gericht gehen sollen. Das ist dämlich (kommt von Dame und verweist auf ein typisch weibliches Verhalten), unsouverän. Überhaupt: Frauen und Ausländer und Schwule und Behinderte und und und sollen sich nicht so anstellen. „Man muss doch auch ein bisschen tolerant sein“, sagt der Beleidiger zum Beleidigten.
Zurück zum Herrn Professor. Der bricht eine Lanze für den armen…. Achtung!.. den armen affenlautproduzierenden Schalke-Fan. Der meinte das vielleicht gar nicht so, der ist ganz harmlos und wollte nur spielen. Und außerdem: „Wäre es nicht möglich, dass Jordan Torunarigha sich verhört hat?“ Aber selbst wenn nicht: „Es könnte zudem gut sein, dass die Absender selbst von der Wirkung ihrer Affenlaute überrascht sind und diese jetzt bereuen. Aber wer würde sich freiwillig melden und um Entschuldigung bitten? Es drohen Stadionverbot, ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft sowie die 50.000 Euro Strafgeld, die Schalke 04 weiterreichen würde. Da schweigt man doch lieber.“
Na, wer das nicht versteht, der kennt kein Mitgefühl. So jemand bin ich nicht. Ich sehe den armen Fan von Schalke vor mir. Zerknirscht, die Hände ringend. Wahrscheinlich spendet er jetzt zwanzig Euro für Brot für die Welt, zündet in der Kirche eine Kerze an und erlegt sich als Buße auf, die nächsten zwei Schalke-Spiele zu pausieren.
2.Teil
Gut, das ist schlimm genug. Aber immerhin hat der Herr Professor Chatrath eine Menge Ärger bekommen, ist von seinen professoralen Pflichten befreit und den Posten als stellvertretender Vorsitzender der wissenschaftlichen Kommission des Landessportbundes Berlin hat er auch los. (Manchmal fragt man sich allerdings, wer wie warum zu welchen Pöstchen kommt.)
Aber – mindestens für mich – genauso schlimm wie dieses Machwerk, ist der Ort, an dem es veröffentlicht wurde:
https://www.novo-argumente.com/ nennt sich „konsequent humanistisch“ und in „aufklärerischer Tradition“ stehend.
Darunter sind anscheinend solche Sätze zu verstehen wie:
„Umweltschützer mögen grundsätzlich keine Menschen. Die wohlwollendste Verteidigung, die man vorbringen kann, ist, dass Umweltschützer ‚Gleichstellungs-Misanthropen‘ sind.“
„Im ökologischen Denken wird der Mensch auf sein grundlegendstes, animalisches Verhalten reduziert: Futtern und Vögeln.“
„Das AfD-Tabu und die Rufe nach einer technokratischen Übergangsregierung [gemeint: in Thüringen]offenbaren eine mangelnde Bereitschaft zu einer ernsthaften und offenen Debatte.“
„lliberale Linke begreifen nicht, dass die Kriminalisierung von Hate Speech, die Überwachung von Sprache und Emotionen, die eigentliche Verletzung der Menschenwürde ausmacht. Falls dieses neue Gesetz vom Schweizer Volk angenommen wird, bedeutet es das Ende der Toleranz. Aussagen wie „Alle Homosexuellen sind Schweine“ oder „Ich hasse Homosexuelle“ lassen sich mit der Toleranz durchaus vereinbaren.“
„Kein Zufall, dass heute Identitätspolitik, Kulturrelativismus und Islam-Apologie in ihrem gemeinsamen Hass auf den Westen und die Werte der Aufklärung eine harmonische Liaison eingegangen sind.“
Gut, ich habe neulich mal geschrieben, dass ich immer noch nicht genau weiß, was „Humanismus“ ist. Dass aber dieses „Online-Politikmagazin“ garantiert weder humanistisch noch aufklärerisch ist, das weiß ich genau. Aber was will man machen? „Humanistisch“ und in „aufklärerischer Tradition“ stehend – das sind keine geschützten Begriffe und können ad libitum verwandt werden.