Amerikanische Verhältnisse oder: welche Meinungsfreiheit wollen wir?

„Die 27. Zivilkammer des Landgerichts – Holger Thiel, Sonja Hurek und Katharina Saar – findet, dass die Grünenpolitikerin Künast es hinnehmen muss, auf Facebook als ‚Stück Scheisse‘ bezeichnet zu werden. Auch ‚Geisteskranke‘ gehe in Ordnung, ebenso ‚Dreckschwein‘. Selbst bei ‚Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!‘ vermögen die Richter keine Beleidigung zu erkennen. ‚Die Antragstellerin wird nicht, wie sie dies meint, zum Gegenstand sexueller Fantasien gemacht‘. Nur bei ‚Drecks Fotze‘ haben sie überlegt. Das sei ‚haarscharf an der Grenze‘ des Hinnehmbaren. Eine sehr weit überzogene Kritik, das finden sie schon. Erlaubt sei sie trotzdem“. (Süddeutsche Zeitung vom 21.9.19 „Manchmal ist Hass einfach nur Hass“)

Zunächst dachte ich, ich sei im falschen Film als ich vom Urteil des Berliner Landgerichts las, was  nach dessen Ansicht alles als „Meinungsäußerung“ durchgeht und von Frau Künast hinzunehmen wäre. In meiner ersten Wut sammelte ich dann „Meinungsäußerungen“ über die Richter Herrn Thiel, Frau Hurek und Frau Saar: „geistig behinderter Wichser“ oder  „orgasmusunfähiges Drecks-Weibsgesindel“ – das müsste doch auf alle Fälle durchgehen! Dann riss ich mich zusammen. „Mehr desselben“ bringt nun wirklich nicht weiter.

Ich sehne mich zurück nach Brandts „wehrhafter Demokratie“, ach ja, ich sehne mich sogar zurück nach den oft autoritären Festlegungen meiner Altvorderen „das gehört sich nicht!“ Was, verdammt noch mal, ist an einer Äußerung „Stück Scheiße“ „Dreckschwein“ „Drecksfotze“ noch Meinungsäußerung? Ich kann da nichts sehen außer Beleidigung, Demütigung. Und ich sehe ein schäbiges Gericht, das diesen „Autoren“ nicht in den Arm fällt, nicht souverän sagt: SO NICHT!    

Das sind amerikanische Verhältnisse. In den USA darf man den Holocaust leugnen, dort darf man – wenn ich richtig informiert bin – seinem politischen oder sonstigen Gegner auch wünschen, dass sich irgendein Killer für ihn findet.

Wollen wir das?

Ich bin nicht gewillt, über die Frage zu diskutieren, dass „Meinungsfreiheit“ gerade in Deutschland als hohes Gut geschützt werden muss, weil es in der Vergangenheit so sehr missachtet wurde. Sondern – wenn schon ein Vergleich mit der Vergangenheit – dann der: Appeasement-Politik wird von der „anderen Seite“ missverstanden als Schwäche, als Aufforderung, noch einen Schritt weiter zu gehen.

Es ist sicher ein Beispiel der harmloseren Art, wenn Vorstandsmitglied Sempf die Kandidatin für den Bundesvorstand der SPD Geywitz kritisiert, sie könne „von der zwischenmenschlichen Wärme her auch eine 10.000er-Geflügelfarm leiten.“

O.K. Das ist eine Meinungsäußerung. Nicht sehr freundlich, aber das müssen Meinungsäußerungen auch nicht sein. Aber wenn Herr Sempf die Kritik an seinen Äußerungen mit der Feststellung verteidigt: „Hier geht’s um die Führung der Partei. Da legt man eben Maßstäbe an“, dann frage ich mich doch: Welche Maßstäbe? Will Herr Sempf damit sagen „Da darf ruhig ein bisschen niveauloser sein“?

„Der Fisch fängt vom Kopf an zu stinken“ schrieb ich in der kleinen Kolumne zu Salvini auf dieser Website.

Es stinkt. Gerichte, die in-stinkt-los sind. Es stinkt, wenn Vorstandsmitglieder einer Partei es als Rechtfertigung ihrer mehr oder minder geschmacklosen Äußerung betrachten, es ginge da um Wichtiges wie Parteiführung.

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