Als ich am 27.4. von der Maskenpflicht für psychotherapeutische Praxen in NRW las, war meine erste Reaktion: Die spinnen, die Düsseldorfer! http://ursula-neumann.de/ab-montag-27-4-20-in-nrwmaskenpflicht-fuer-psychotherapeutische-praxen/?cn-reloaded=1
Die zweite war: Das kann uns in Baden-Württemberg mit einem grünen Ministerpräsidenten nicht passieren!
HA! Jetz ischs passiert!
Ziemlich auf den Tag einen Monat später verordnete die Landesregierung Maskenpflicht für alle (Datum der Verordnung: 29.5.20), die in einer ärztlichen oder psychotherapeutischen Praxis arbeiten oder dort Einlass verlangen, wofern sie über sechs Jahre alt sind, unabhängig davon, ob sie selbst eine Behandlung wünschen oder lediglich als Begleitperson fungieren. https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/Coronainfos/200529_SM_CoronaVO_Maskenpflicht-Praxen.pdf
Ich las das in einem ärztlichen Nachrichtendienst unter der Überschrift „Ärzteschaft begrüßt Maskenpflicht“ oder so ähnlich. Wobei anhand der postwendend geschriebenen Kommentare festzustellen war, dass der Jubel nicht so ganz einhellig war. Mal sehr, sehr vorsichtig ausgedrückt.
Die KV verschickte an alle Mitglieder ein entsprechendes Schreiben. Außer an mich (und – wie sich inzwischen herausstellte – noch ein paar andere). Ich habe extra nochmal im Spam-Ordner nachgeschaut. Auch da Fehlanzeige! Was solll ich daraus schließen?
Aber wozu hat man Kollegen. Wenigstens auszugsweise befindet sich das Schreiben in meinen Händen. Und da kriege ich dann doch einen Herzkasper. Steht da doch als Begründung; „…Dass eine Verordnung des Landes in Bezug auf eine
Selbstverständlichkeit notwendig geworden ist, mag auch daran liegen, dass einzelne Kolleginnen und Kollegen sich öffentlichkeitswirksam, selbstverständlich nicht aus Gründen der eigenen Profilierung, gegen gesteigerte Hygienemaßnahmen in Praxen ausgesprochen haben.“
Aber auch wenn mich die KV bei der Zusendung es Schreibens überging – kommentiert wurde es trotzdem von mir:
dass die Ärzteschaft – wie von Ihnen behauptet – die Maskenpflicht begrüßt, kann ich als Psychotherapeutin nicht beurteilen. Allerdings scheinen mir die Reaktionen, die ich lese, ein deutlich anderes Bild zu zeigen.
Es wäre viel zu Ihrer obrigkeitshörigen Beflissenheit zu sagen – aber da bin ich sicher, dass das andere tun. Und was die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten angeht, da werden Sie ganz gewiss außer meiner Kritik noch andere „abweichende Meinungen“ zur Kenntnis nehmen können.
Ich selbst finde es allerdings den Gipfel an Unkollegialität und mangelndem Demokratieverständnis, wenn Sie in Ihrem Rundschreiben kundtun: „…Dass eine Verordnung des Landes in Bezug auf eine Selbstverständlichkeit notwendig geworden ist, mag auch daran liegen, dass einzelne Kolleginnen und Kollegen sich öffentlichkeitswirksam, selbstverständlich nicht aus Gründen der eigenen Profilierung, gegen gesteigerte Hygienemaßnahmen in Praxen ausgesprochen haben.“
Das ist einfach unglaublich! Es ist die Argumentation autoritärer Eltern und Lehrer der 50er Jahre: „Seht Ihr, Kinder, weil der Fritz und der Franz frech waren und Widerworte gaben, müsst Ihr leider alle nachsitzen. Bedankt Euch bei denen!“
Sie sprechen damit mündigen Bürgerinnen und Bürgern (und zudem fachlich vermutlich nicht ganz unversierten Kolleginnen und Kollegen) faktisch das Recht ab, eine eigene Meinung zu haben und die gar noch kundzutun. Klar, da muss die Obrigkeit einschreiten und Ordnung schaffen…. bei 856 offiziell Infizierten (seit gestern 9 Personen mehr) und 11 Millionen Einwohnern im Ländle.
Mit sehr eingeschränkt freundlichen Grüßen
Ursula Neumann
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
angesichts der Resonanz in der Mailingliste auf die Maskenpflicht in psychotherapeutischen Praxen möchte ich doch mal nachfragen: Es handelt sich hier doch um dieselbe Mailingliste, auf der vor nicht mal einem Vierteljahr eine Kollegin mit hochmoralischem Gestus aufgefordert wurde, angesichts der Toten in Italien auf die Weiterverbreitung eines kritischen Corona-Links zu verzichten. Gut, es war damals von Wodarg und da kann man dazu so und so stehen. Aber im weiteren Verlauf (wenn meine Erinnerung mich nicht sehr täuscht) wurde von einem andern Kollegen eine Gleichstellung zwischen (allen) Leuten, die die Corona-Maßnahmen kritisch sehen, mit den Leugnern der Klimaerwärmung suggeriert und ein weiterer Beitrag fand es völlig unpassend angesichts der Pandemie die Einschränkung von Grundrechten zu thematisieren. Insgesamt wurde mehrmals (auch von Marianne) drum gebeten, man möge auf dieser berufspolitischen Liste so richtig Politisches außen vorlassen. Stattdessen ging es dann um die Einrichtung und Bezahlung von Videosprechstunden, was sicher sehr verdienstvoll war.
Tja, das ist halt so eine Sache mit dem „Politischen“. Wie sich „berufspolitisch“ vernünftig eingrenzen lässt, darüber hätte ich gern viel früher eine offene Diskussion gehabt. Auf alle Fälle: so ganz verstehe ich nicht, wieso jetzt Maßnahmen unserer Landesregierung auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragt werden dürfen. Bloß weil es jetzt um unsere Praxen geht? Immerhin: es ist gut, wenn hier in der Mailingliste die Frage nach der Verhältnismäßigkeit gestellt wird. Aber sie hätte schon viel früher, entschiedener gestellt werden müssen, gerade von unserer Profession: Was wird aus den Kindern im Lockdown (danke, Michael, für Dein Engagement), für die, die in Pflegeeinrichtungen in völliger Isolation waren, für die, die mit ernsthaften Symptomen nicht zum Arzt gingen und und und…). Das und noch einiges andere ist für mich durchaus „berufspolitisch“. Mich hat enttäuscht, wie „brav“ und „folgsam“ die Liste nach meinem Empfinden war.
Auf der offiziellen Seite der B-W-Landesregierung finde ich für heute: „COVID-19: Zahl der Infizierten im Land steigt auf 34.834. Davon 32.096 Personen genesen.“ (https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/infektionen-und-todesfaelle-in-baden-wuerttemberg/) Baden-Württemberg hat 11 Millionen Einwohner. Man kann leicht ausrechnen, wie hoch die statistische Wahrscheinlichkeit ist, auf einen Infizierten zu treffen. Ja, ja ich weiß, die Zahl der tatsächlich Infizierten ist höher.
Wo wir gerade bei den Zahlen sind: RKI-Chef Wieler verkündete am 18.3: „Wenn es nicht gelinge, die Infektionsfälle zu reduzieren, könne es in zwei oder drei Monaten bis zu zehn Millionen Infizierte in Deutschland geben“. https://www.welt.de/vermischtes/article206627359/Corona-waechst-exponentiell-RKI-warnt-vor-10-Millionen-Infizierten-bis-Juni.html
Aber das ist sicher nur deshalb nicht so gekommen (bis jetzt! Bis jetzt!!), weil Lockdown und Maskenpflicht verordnet wurden…. Also Leute: Dieser kleine Beitrag im Krieg gegen das Virus – das ist doch nicht zu viel verlangt!
Na, ich hatte eigentlich Prügel für meine Boshaftigkeit erwartet, die aber aus Gründen der Psychohygiene geboten war. Und was kam? Drei Rückmeldungen – und alle drei positiv. Ich hab sogar jemandem aus der Seele gesprochen.
Man lernt nie aus!