Folgenlose verfassungsrechtliche Bedenken

Grundgesetz unterm Arm

Es gab mal einen deutschen Innenminister, Hermann Höcherl hieß er und war von der CSU (zuvor in der NSDAP) von dem ist nur noch sein Satz bekannt, er könne nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unterm Arm rumlaufen. Wobei nicht so ganz klar ist, wie der Satz korrekt lautete. Wikipedia zitiert den Spiegel  von 1963 „Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen.“ Wohlgemerkt: damit waren die die Beamten des Verfassungsschutzes gemeint. Also derjenigen, die unsere Verfassung vor ihren bösen Feinden zu schützen haben. Bei der Frankfurter Rundschau heißt es viele Jahre später „Er könne schließlich nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen, sagte er im Zusammenhang einer Abhöraffäre des Jahres 1963.“

Sei es, wie es wolle. Im Moment frage ich mich, wo unsere Regierenden das Grundgesetz aufbewahren. Bei mir ist es auf alle Fälle in Griffweite.   

Durchwinken trotz verfassungsrechtlicher Bedenken

Vor zwei Tagen kam es zu einem „Tiefpunkt in der föderalen Kultur“ (Reiner Haseloff, CDU, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt), als der Bundesrat das Infektionsschutzgesetz trotz massiver verfassungsrechtlicher Bedenken (von Bedenken die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen betreffend ganz abgesehen) passieren ließ. Der Ministerpräsident von Hessen – ebenfalls CDU – Volker Bouffier äußerte, dieses Gesetz bedeute „die tief gehendsten Einschnitte in Grundrechte, die es jemals gegeben hat“, Stephan Weil, der niedersächsische Landeschef zweifelt, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben werde.

Zusammenfassend: „..Alle sechs Ministerpräsidenten, die sich in der Aussprache zu Wort meldeten, äußerten erhebliche Bedenken. Sie erkannten aber wegen der anhaltenden Corona-Pandemie den Handlungsbedarf an und wollten das Gesetz daher nicht aufhalten. Die Ministerpräsidenten sahen durch die Bank verfassungsrechtliche Bedenken – insbesondere wegen der starren Notbremse – und Probleme bei der praktischen Umsetzung..“

Die verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen unter anderem darin: Es ist fragwürdig, ob die beschlossenen Maßnahmen geeignet und es ist zweifelhaft, ob sie verhältnismäßig sind. Der Gesetzgeber ist gehalten, bei der Durchsetzung der Ziele des Gesetzes immer das minder einschneidende Mittel zu wählen. Ferner stellen JuristInnen einen Verstoß gegen das „Bestimmtheitsgebot“ des Artikels 80 GG fest, der verlangt, dass „Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden“ müssen.

Die Kommentatorin der Süddeutschen, Angelika Slavik, stellte die FrageNichts als Kritik für das Gesetz. Warum also legten die Länder kein Veto ein?. Sie zitierte dazu die Antwort des Ministerpräsidenten Haseloff: Man werde auf den Einspruch verzichten, denn der würde „das Gesetz nur verzögern, nicht verbessern oder verhindern.

Wie bitte? Gegen Verfassungsbruch werden wir nur aktiv, bei günstigen Erfolgsaussichten? Das nennt man wohl in diesen Kreisen eine „pragmatische Einstellung“: lassen wir’s laufen! (und vielleicht: Karlsruhe wird’s schon richten!)

Gretchenfrage: Wie hältst Du’s mit dem Amtseid?

Der Amtseid für den Bundespräsidenten/in BundeskanzlerIn und MinisterInnen ist sogar von der Verfassung vorgeschrieben (GG Art. 56, bzw. Art. 64.2 in Verbindung mit Art.56):

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde…“

„Wahren und verteidigen“! Steht da!

Eine kurze Übersicht für die Landesregierungen ergibt Ähnliches. Nur Bayern tanzt aus der Reihe. „Ich schwöre Treue der Verfassung des Freistaates Bayern, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten….“ Also ohne Grundgesetz, dem Bayern bis zum heutigen Tag auch nicht beigetreten ist . Aber das nur nebenbei.

Nur damit niemand auf die Idee kommt, mein „Shame on you“ gelte nur dem Bundesrat, liste ich die Stimmen der Bundestagsabgeordneten auf, damit man klar sieht: „Bei der Abstimmung stimmten dabei 21 Unionsabgeordnete gegen den Gesetzentwurf der großen Koalition. Weitere fünf Parlamentarier von CDU/CSU enthielten sich, wie aus dem vom Bundestag veröffentlichten Ergebnis der namentlichen Abstimmung hervorgeht. Bei der SPD stimmten nur zwei Abgeordnete gegen den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, es gab drei Enthaltungen. Geschlossen gegen das Vorhaben stimmten am Mittwoch die AfD, die FDP und die Linke. Bei den Grünen gab es eine Gegenstimme, die übrigen Abgeordneten enthielten sich.“   (siehe)

 

Ey, Alte stress nicht so rum!

Ey, Alte, stress nicht so rum! – das würde ich vermutlich von den hochmögenden Herren und Damen zu hören bekommen, wenn ich insistierte: Wie können Sie ein Gesetz einfach passieren lassen, wenn Sie verfassungsrechtliche Bedenken hat? Was passiert, wenn es um mehr geht, als um nächtliche Ausgangssperren?  

Claro! Wenn es wirklich-wirklich drauf ankommt, dann werden wir Widerstand leisten, Aufstehen werden wir, wie ein Mann (oder eine Frau oder was weiß ich).  

Kennen wir: „Nö… meine Hausaufgaben mache ich nicht. Aber in der Klassenarbeit komme ich ganz groß raus.“

Ich hab’s auch literarischer. Oscar Wilde schrieb mal: „Ich hatte einen gewaltigen psychologischen Irrtum begangen. Ich hatte die ganze Zeit geglaubt, mein Nachgeben in unwichtigen Dingen hätte nichts zu bedeuten: ich könne im entscheidenden Augenblick meiner Willenskraft wieder zu ihrer natürlichen Überlegenheit verhelfen. Das stimmte nicht. Im entscheidenden Augenblick ließ mich meine Willenskraft im Stich.“ (Oscar Wilde, De Profundis, Brief aus dem Zuchthaus zu Reading)

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