Sag mir, wo die Betten sind – wo sind sie geblieben?

Vorsicht, Recherche!

Handgestrickte Recherche ist nicht einfach, auch wenn dank Internet, dank Google etc. viel möglich ist, was vor zwanzig, dreißig Jahren noch undenkbar war. Die Schwierigkeit: wie soll ich – Bloggerin im Neben-Nebenberuf – unterscheiden können, welche Alarmmeldungen und Horrorzahlen schlicht interessengeleitet sind und welchen ich trauen kann. Gut, manche seiner Papenheimer kennt man. Den RKI-Chef Wieler nehme ich schon seit März 2020 nicht mehr sonderlich ernst. Damals titelte die Welt: :„RKI warnt vor 10 Millionen Infizierten in weniger als 100 Tagen.“   Der heutige Stand (2.11.21 – also ca. 500 Tage später):  „Seit Beginn der Pandemie haben sich in Deutschland 4.618.021 Menschen nachweislich mit dem Coronavirus infiziert.“  

Dann kommt noch dazu: auch ich neige dazu, die Meldungen für wahrer zu halten, die mir in den Kram passen, als diejenigen, die zu meiner Überzeugung konträr sind. Also: alles nicht so einfach.

„4000 Intensivbetten weniger seit Jahresbeginn“

Am 26.10. titelte der Ärztenachrichtendienst4000 belegbare Intensivbetten weniger seit Jahresbeginn“ mit Berufung auf den Präsidenten Marx der Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), ein Verein, von dem ich keineswegs unbesehen alles zu übernehmen bereit bin.

Derzeit „seien 22.207 Intensivbetten als betreibbar gemeldet, zu Jahresbeginn seien es 26.475 gewesen“, heißt es. „Grund dafür sei, dass viele Pflegekräfte wegen der Belastungen ihren Beruf beendet oder ihre Arbeitszeit reduziert hätten.

(Vgl. auch: Meldung vom 21.10.21 Fehlende Pflegekräfte auf Intensivstationen  DIVI und DGIIN: Jedes dritte Bett nicht einsetzbar“)

Klatschen allein genügt halt nicht.

 

Fakten oder interessengeleitet oder irgendwas dazwischen?

Es gibt aber auch Stimmen, die diese Meldung grundsätzlich kritisch sehen, so schreibt ein Forumsteilnehmer zu dem Artikel:

„Hatten wir den Intensivbettenskandal nicht erst im letzten Jahr? 50.000 € für jedes zusätzliche Beatmungsbett egal ob mit oder ohne Personal? War das so? Dann inmitten in der Pandemie wurde künstlich die Bettenzahl manipuliert, sei es durch willkürlich veränderten Personalschlüssel oder eine Belastungsprämie bei 70% Belegung (Melde ich von 20 Betten 5 ab erhalte ich die Prämie bereits ab einer Belegung von 11 statt erst ab 14! – Sag mir keiner, dass man das in den Verwaltungen der Krankenhäuser nicht hätte wissen können oder wollen, – da sitzen genau diese Leute, die jeden Strohhalm zu Geld machen!) … Selbst Lauterbach wurde das suspekt… und jetzt die neuen Mätzchen! Oweh oweh, müssen wir vielleicht Operationen absagen…“

Das heißt: Es ist die Frage, wie „ehrlich“ die Zahlen sind, ob nicht – wie bei so anderem Alarmismus – die Überlegung dahinter steht: „Je dramatischer ich meine Situation darstelle (möglichst mit akkurat klingenden Zahlen bis zwei Stellen hinterm Komma), umso eher fließt Cash“.

Dass aber der Engpass bei der Intensivpflege nicht bei den Betten liegt, sondern beim Personal – ich glaube, an dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei. Wie dem auch sei – da soll sich jeder und jede selbst kundig machen.

 

Aber ich habe mir wenigstens die Mühe gemacht, mich etwas beim Intensivregister der DIVI  über den Stand am heutigen 2.11.21 kundig zu machen: Es wird gemeldet: „21 512 belegte Intensivbetten, 3411 Intensivbetten waren verfügbar“. Covid-Patienten (es gibt nämlich auch noch andere Menschen, die auf einer Intensivstation sein müssen… man vergisst das so leicht): 2.136 , das sind 78 mehr als am Vortag, invasiv beatmet davon werden 1120 (ein Plus von 60 PatientInnen).

Vgl. auch  Stefan Sell vom 3.11.21: „Der Pflegepersonalmangel auf Intensivstationen wurde und wird durch die Corona-Pandemie geboostert“ und Werner Bartens  vom 29.10.21 „Medizin: Kinder in Gefahr“ über den Mangel an Intensivbetten für Kinder und die Ursachen dafür.

 

 

Überlastung des Gesundheitssystems durch Covid war die Begründung der Regierung für Lockdown etc.

Die Frage: Was war/ was ist die Ursache für die mögliche/drohnede/bereits bestehende Überlastung unseres Gesundheitssystems, insbesondere der Intensivstationen? Diese (mögliche) Überlastung war ja die regierungsamtliche Begründung für Lockdowns etc.

Ein ärztlicher Forist gibt sich nach Lektüre des Artikels ratlos: „Die Dramatik steigt im Herbst. Aber nicht, weil es mehr Patienten gibt, sondern weniger Betten???? Oder bringe ich hier etwas durcheinander???“

Tja, man kommt ins Grübeln und fragt mit Pilatus „Was ist Wahrheit?“ Und zur Frage: hat Covid nur deutlich gemacht, wie sehr alles schon zuvor auf Kante genäht war? 

 

Beschlossener Leitantrag des Ärztetags: Gegen Kommerzialisierung in der Gesundheitsversorgung“

Im Moment tagt der Ärztetag. Und der hat heute, am 2.11.21 einen Leitantrag „mit großer Mehrheit“ gebilligt:

Gegen Kommerz: Ärztetag setzt klares Zeichen

Der Deutsche Ärztetag hat sich klar gegen eine zunehmende Kommerzialisierung der Gesundheitsversorgung ausgesprochen. Der Leitantrag des BÄK-Vorstands ging mit einer kleinen Änderung durch. Mit großer Mehrheit hat der Ärztetag den Leitantrag des BÄK-Vorstands „Gesundheitsversorgung 2.0: Patientenzentriert statt renditeorientiert“ angenommen. Leistungs-, Finanz-, Ressourcen- und Verhaltensvorgaben, welche ärztlich verantwortungsvolles Handeln tangieren, lehnt die Ärzteschaft laut Antrag ab. Die politisch Verantwortlichen werden aufgefordert, „diese ärztliche Grundhaltung mit konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen zu unterstützen“.

Ärzte sehen Gefahren durch Kommerzialisierung

Grundlegende Reform gefordert

So fordert der Ärztetag eine „grundlegende Reform der bisherigen erlösorientierten Krankenhausbetriebsmittelfinanzierung“, um die Fehlanreize des Deutschen DRG-Fallpauschalensystems zu beheben. Die Vergütungssystematik dürfe „nicht länger ausschließlich auf wirtschaftliche Effizienz eines Krankenhausbetriebes ausgerichtet sein“, heißt es.“ 

Die Zeiten, in denen Privatisierung schick war, in denen PatientInnen sich geschmeichelt fühlen sollten, als sie zu KundInnen mutierten, die Zeiten, in denen die Experten einem erklärten, das Gesundheitssystem funktioniere am besten nach marktwirtschaftlichen Regeln und wer was dagegen habe, habe nix kapiert … Das ist jetzt keine zwanzig Jahre her. …

Ich weiß schon, warum ich bei dem Wort „Experte“ öfters einen (nicht behandlungsbedürftigen) Hustenanfall kriege.

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