Omikron usw.: die logische Konsequenz unseres Impfstoff-Imperialismus

Hab ich es nicht gesagt“ … man verzeihe mir, dass ich darauf manchmal meine hinweisen zu müssen.

Am 8. Mai zitierte ich „Gute Pillen – Schlechte Pillen zum Thema Impfstoff-Imperialismus und schrieb:

Kurzer Blick über den deutschen Tellerrand im Mai ’21

„Es tut mir oft leid, dass ich bei meinen Beiträgen und Recherchen so Deutschland- bzw. Europazentriert bin. Mehr kann ich nicht leisten – mein Gedankenhorizont ist aber weiter.

Im November 2020 brachte „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ (Untertitel: Unabhängige Informationen ohne Einfluss der Pharmaindustrie & ohne Werbung) einen kleinen Artikel ‚Impfstoff-Imperialismus. Wer wird die Covid-Impfstoffe bekommen‘: ‚…Die Deals mit den Herstellern sind völlig intransparent… Zwar geben die EU und Deutschland auch Geld für die Beschaffung von Impfstoffen für ärmere Länder. Aber am Patentpool der Weltgesundheitsorganisation beteiligen sie sich nicht. Deshalb besteht die akute Gefahr, dass am Ende des Tages die Firmen viel reicher sind und global nicht genügend Impfdosen zur Verfügung stehen.’“   

Die Dummheit von uns Egoisten

Gut, kann uns ja wurscht sein, Hauptsache wir haben genügend Impfstoff! Ich fürchte, nicht wenige denken so, haben so gedacht. Vielleicht mit einem kleinen, kostenlosen Bedauern für die, die halt on the other side of the street stehen.

Jetzt bin ich mal gespannt, was passiert, wenn so allmählich durchsickert, wovor längst gewarnt wurde: Die Gefahr von Mutationen steigt, wenn nicht „flächendeckend“ – und das heißt eben „weltweit“ geimpft wird. Ich sage nur „Omikron“. Und kann es an dieser Stelle nicht unterlassen, mich mit meinen längst verschollen geglaubten Griechisch-Kenntnissen zu brüsten: Omikron heißt „kleines O“ im Unterschied zu Omega, dem letzten Buchstaben des griechischen Alphabets, der „großes O“ bedeutet…aber bis dahin ist es noch weit.

Mutationen können die Folge haben, dass eventuell „unsere“ Vakzine weniger wirksam werden. Dann sähen wir schnell ziemlich alt aus.

Ich weiß, dass Impfen nicht das Allheilmittel ist und ich weiß auch, dass es (gerade in Afrika) Länder mit einer überraschend niedrigen Inzidenz bei gleichzeitiger niedrigster Impfrate gibt. (ich meine jetzt nicht die aus Gründen der „Staatsräson“ getürkten Zahlen aus manchen Ländern.) Bis da alle Zusammenhänge halbwegs schlüssig und überzeugend erforscht sind, werden Jahre vergehen. Aber ich bin überzeugt: Impfen ist ein Beitrag zur Bekämpfung von Covid-19.  

Bei der „Impfgerechtigkeit“ (wie eben auch beim Klimaschutz, bei Bekämpfung der weltweiten Armut…) bewahrheitet sich mal wieder: Egoismus ist dumm! Solidarität ist klug!   

Impfdosen für Entwicklungsländer fehlen. Wir boostern

Und so können wir im Kommentar von Jule Reimer im Deutschlandfunk (29.11.21) lesen https://www.deutschlandfunk.de/coronamutanten-es-geht-auch-um-mehr-impfstoffgerechtigkeit-100.html

Coronavirus:  Gegen Mutationen hilft nur Impfstoffgerechtigkeit

Wer etwas gegen das Auftreten immer neuer Mutanten tun will, muss sich mit einer zeitlich begrenzten Patentfreigabe auseinandersetzen. Die große Bühne dafür oder dagegen zu streiten, die Ministerpräsidentenkonferenz der Welthandelsorganisation WTO wurde jedoch gerade hektisch abgesagt – wegen Omikron und den damit verbundenen Einreisebeschränkungen für die Delegationen aus dem südlichen Afrika. Es wäre auch höchst makaber gewesen, die Konferenz abzuhalten ohne diejenigen, die letztlich die Opfer einer unverantwortlich egoistischen Grundhaltung weniger reicher Industriestaaten sind […]

Die bisherige Bundesregierung – die in Teilen auch die Neue ist – hat mit ihrer internationalen Impfstoffpolitik wesentlich zu dieser neuerlichen Verschlechterung beigetragen. [… die] Industriestaaten [lieferten sich] einen unseligen Wettlauf, bei dem sie sich erpressbar machen und in dem ein Großteil der für die Entwicklungsländer bestimmten Impfdosen letztlich in den Kühlkammern der Industriestaaten gelandet ist: Die Deutschen könnten sich derzeit über die doppelte Grundimpfung hinaus locker mehr als einen Booster setzen – wären nur die Impfzentren dafür da.“

Jeden Tag weltweit sechsmal mehr Auffrischungsimpfungen als Erstimpfungen in einkommensschwachen Ländern.

Am 1.Dezember legt Pia Behme (ebenfalls im Deutschlandfunk) nach (da der Text nicht schriftlich zu finden ist, gibt es hier ein Transkript) „Ungleiche Verteilung von Impfstoffen“. Sie bilanziert: Covax, die Impfinitiative der WHO, habe ihr Ziel einer fairen Verteilung von Impfstoff für dieses Jahr aufgegeben: Statt den angepeilten zwei Milliarden Impfstoffen, seien nur eine halbe Milliarde zusammengekommen.  Grund: Reiche Staaten kauften zunächst den Markt leer, dann gaben sie weniger an Covax ab als versprochen. Zudem würden die Dosen oft kurzfristig geliefert und hätten eine geringe Haltbarkeit. Im Klartext: Kurz vor dem Verfallsdatum schnell auf die Resterampe und wir tun noch ein gutes Werk. Aus Deutschland seien statt der zugesagten 95 Millionen Dosen erst knapp 15 Millionen in den Empfängerländern angekommen. Jeden Tag würden weltweit sechsmal mehr Auffrischungsimpfungen verteilt, als Erstimpfungen in einkommensschwachen Ländern. Gesundheitsminister Spahn habe vor zwei Wochen angekündigt, Inpfdosen, die für ärmere Länder bestimmt waren, zurückzuhalten, um genügend Impfstoff für hiesige Boosterimpfungen zu haben. Mögliche Folge: Die ungerechte Verteilung des Impfstoffs könne Mutationen begünstigen.

Fazit: „Die Ungerechtigkeit, die in der globalen Reaktion steckt, rächt sich jetzt.“

Solidarität ist keine Einbahnstraße! Was sind die Folgen, wenn Abschottung die einzige Reaktion auf Omikron in Südafrika ist

Vom selben Tag (1.12.21) datiert ein Interview  mit dem scheidenden Afrikabeauftragten der alten Bundesregierung Günter Nooke, der gerade mit einer Coronaansteckung aus Südafrika zurückgekehrt war, aber sich nach eigenem Bekunden gesund fühlte. („So isch no au wieder“, sagt der Schwabe. Und es gehört sehr wohl mitbedacht, dass  Corona-Verläufe mehrheitlich recht milde verlaufen.)

Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und CDU-Mitglied Nooke äußert sich (wieder nach meinem Transkript, da kein Text des Interviews auffindbar). Er beschreibt, dass die schnell erfolgten Reisebeschränkungen eine „Katastrophe“ für Südafrika seien. Es sei eine „Enttäuschung“, dass die „einzige Reaktion das Dichtmachen“ sei.

Aus meiner Sicht ist das wirklich ein Dilemma. Der „öffentliche Druck“ hierzulande isoliert Südafrika etc.: Grenzen dicht, damit das böse Virus nicht reinkommt“ (was ohnehin nicht funktionieren kann). Hm. Ja. Was soll man sonst tun? Business as usual? Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite: Was lehrt andere die Erfahrung, die Südafrika macht? Wenn die einzige „solidarische“ Reaktion der andern Länder „Schotten dicht“ ist, dann würde ich als Staatschefin in einem vergleichbaren Fall mindestens in Versuchung kommen, fein stille zu sein und zu hoffen, dass die Mutante woanders zuerst entdeckt wird.

Ist ja auch wirklich noch nicht raus, ob die Mutante nicht zum Beispiel in Deutschland entstanden ist und nach Südafrika exportiert wurde. Nooke meint schon, dass sich Südafrika bestraft fühlt weil es andere Länder frühzeitig gewarnt hat. Das heißt: Wieso soll ich Solidarität beweisen, wenn ich mir damit nur ins eigene Fleisch schneide? Keine einfache Frage.

Nooke macht dann auf etwas aufmerksam, woran hierzulande fast gar nicht mehr gedacht wird: Man kann auch an anderem als an Corona sterben. In Südafrika ist das Problem nochmal ganz anders: „Aus Südafrikanischer Sicht sieht man, dass man mit den verschiedenen Virusvarianten leben kann […] Es ist ja nicht so, wie Herr Drosten mal am Anfang vermutet hat, dass es die 100 000 Leichen in den Straßen Afrikas gegeben hat. […] Es gibt Malaria, es gibt Tuberkulose, HIV[…] da sterben viele Menschen, weit mehr Menschen und von daher gibt es eine unterschiedliche Risikobewertung in Afrika.“ Er könne schon verstehen, dass man das aus dieser Sicht als „Bestrafung“ erlebe, was der Westen mit Afrika mache.“ Auch er stellt fest, „Die Hauptschuld ist, dass zu wenig [Impfstoff] bereitgestellt wird […] Das ist eine Ungerechtigkeit , die muss abgeschafft werden.“        

3 Comments

  1. Marion Battke
    8. Dezember 2021

    sehr gut, sehr richtig, sehr traurig. Danke.

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  2. Frank Roßner
    17. Januar 2022

    Liebe Ursula Neumann,
    ich bin gerade mit einem intensiven Durchblättern ihres BOD Unerhört fertig geworden. Ich beginne meistens mit einem Buch, setze dann am Ende fort bis zur Mitte und habe, nachdem ich Ihren Beitrag zu Heribaert Prantl gefunden habe, begonnen jetzt mit Ihrem Blog fortzusetzen. Wäre es möglich im Laufe des kommenden Mittwoch uns telefonisch zu unterhalten?
    Es geht um eine mir von HG angetragene Rezension bei Humanismus Aktuell. Auf jeden Fall, wenn RS etwas dagegen haben sollte, auf der BOD -Webseite. Mein aktueller Impfstatus 2x astra seneca, einmal am 02.12.2021 Moderna. Einmal auf negativ getestet auf Antikörper am 12.01.2022 getestet. Gemäß Ansage der Hausärztin gebe es eine Empfehlung vom 13.01.2022 der zuständigen KV in Thüringen zu einer Auffrischung drei Monate nach der ersten Auffrischung (Geburtsdatum 13.03.1946!) . FG FR

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    1. Ursula
      17. Januar 2022

      Ursula Neumann…geboostert seit dem 12.1.22 (es gibt in der Süddeutschen schon Bekanntschaftsanzeigen, in denen genau vermerkt ist, wie oft man geimpft oder gar nicht geimpft ist. O tempora o mores.) Mittwoch bin ich zunächst beim Zahnarzt und habe Praxis. Wie wäre es ab 20 Uhr?????

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