Josef Erdrich: NEPAL IN DIESEN ZEITEN

Sonntag habe ich noch geschrieben, dass ich endlich mal von meinem Corona-Eurozentrismus runterkommen sollte (mit dem ich allerdings nicht allein bin. Was wiederum allerdings keine Entschuldigung ist), da bekam ich heute von Josef Erdrich „NEPAL IN DIESEN ZEITEN“ zugeschickt. 

Josef Erdrich hat sich seit vielen, vielen Jahren in Nepal engagiert, dort eine Schule und ein Hostel aufgebaut. Er kann die Situation absolut zuverlässig einschätzen. 

Was er von Nepal schreibt, gilt ähnlich oder genauso in vielen armen Ländern. Aber das Projekt von Josef Erdrich, das im Laufe sehr gewachsen ist,  hat den Vorteil, dass es überschaubar ist und man keine Angst haben müsste, das Geld versickere irgendwie. Informieren kann man sich:

http://www.ashaprimaryschool.com/kopie-von-informationen

Nummer des Spendenkontos(Gemeinnützigkeit anerkannt)  für dieASHA Primary School in Nepal  DE46 6645 0050 0000 1444 44

 

NEPAL IN DIESEN ZEITEN

Josef Erdrich


Corona-Pandemie
Die Menschen in Nepal sind nun voll getroffen. Im März bestand noch die Hoffnung, dass durch den strikten Lockdown am 24.03.2020, mit einem kompletten Ausgangsverbot, das Virus sich kaum ausbreiten würde.Alle nationalen und internationalen Flüge wurden gestrichen. Öffentliche Verkehrsmittel und der Individualverkehr wurden eingestellt. In der ersten Woche konnten nicht einmal Lebensmittel gekauft werden.


Die Realität heute:
Aktuell sind über 50.000 Menschen erkrankt. Die Zahlen der Neuerkrankungen steigen momentan auf über 1.000 pro Tag. Die Dunkelziffer wird auch von Experten um ein vielfaches höher geschätzt.Viele Menschen leben so abgelegen, dass nur nach vielen Tagesmärschen ein Krankenhaus aufgesucht werden könnte.Inzwischen wird der Besuch von Krankenhäusern vermieden weil die Angst besteht sich dort anzustecken. Die Mittel und auch die Schutzausrüstungen der Beschäftigen sind unzureichend.
Nur 25 Krankenhäuser können überhaupt Covid 19-Patienten aufnehmen.In dreien davon jeweils 20 Patienten. In den anderen jeweils 5 Patienten.Insgesamt also um 170 Personen.
Beatmungsgeräte mit unserem technischen Standard stehen nicht zur Verfügung. Sie könnten wohl von den Mitarbeitern auch nicht bedient werden. Aufstockungen sollen stattfinden. Wann, wo und wie viele ist völlig unklar.
Offizielle Empfehlung: Erkrankte sollen zuhause in Isolation bleiben. Die Krankenhäuser können sie nicht mehr aufnehmen. Aktuell wurde der Lockdown wieder bis zum 16.09. verlängert und verschärft. Wahrscheinlich gibt es wieder eine Verlängerung.
Gerade aktuell kommt die Meldung, dass das medizinische Personal, welches in den Krankenhäusern arbeitet von der Bevölkerung gemieden, ja ausgegrenzt wird. Die Menschen fürchten sich bei ihnen anzustecken. Teilweise kündigen die Mitarbeiter aus diesem Grunde.Dadurch verschärft sich die Situation nochmals.


Infektionsträger sind auch nepalesische Wanderarbeiter welche aus Indien nach Hause gehen. Dort haben sie wie Millionen Inder auch keine Arbeit mehr. Sie versuchen in ihre Dörfer zukommen und bringen das Virus mit. Funktionierende Quarantäneeinrichtungen gibt es nicht. Sobald Flugverkehr möglich ist werden aus den arabischen Staaten viele Zehntausende nach Nepal zurück kommen. Die Staaten dort warten nur bis Flüge möglich sind. Auch hier sind viele infiziert. Die arabischen Staaten haben Nepal und andere Länder aufgefordert ihre Leute heimzuholen. Nepal wird dies nicht leisten können.Die Staaten werden sie ausfliegen. Kapazitäten gibt es ja genug……
Alleine im Staat Katar sollen 400.000 Nepali als Arbeiter leben…….


Lage der Menschen im Land
„Wir sterben eher an Hunger als an Corona“. Dies ist inzwischen ein geflügelter Satz. 5 Jahre nach dem verheerenden Erdbeben hatte sich das Land gerade wieder einigermaßen erholt. Der Tourismus ist wieder richtig gut angelaufen. Im Augenblick sind keine Touristen im Land. In diesem Jahr wird dies auch nicht mehr möglich sein. Einmal weil es keine Flüge gibt und weil die Gefahr der Erkrankung viel zu groß ist. Ich fürchte, dass dies zumindest auch im ersten Halbjahr 2021 noch so sein wird.
Die Gastarbeiter im Ausland konnten Geld nach Hause schicken. Auf einen Schlag ist dies in großen Teilen weggefallen weil sie dort auch die Arbeit verlieren.
Die Arbeit in Nepal, gerade auch aber nicht nur, für die Tagelöhner ist von einem Tag auf den anderen verloren gegangen. Absicherungen gibt es nicht. Die Mehrheit der Menschen hat keine Ersparnisse. Sie lebt von der Hand in den Mund. Krankenversicherungen gibt es nicht. Auch kein abfederndes Sozialsystem. Soweit möglich haben viele die Städte verlassen und sind zu Verwandten auf’s Land gezogen um dort zumindest etwas zu essen zu bekommen. Längst nicht alle haben diese Möglichkeit. Die Lage ist verzweifelt. Wie immer leiden die Armen, die Alten, die Witwen und die Kinder am meisten. Die Selbstmordrate ist stark gestiegen.


Schulen allgemein
Am 18. März wurden eine Woche vor dem offiziellen Schuljahresende alle Hochschulen, Colleges und Schulen geschlossen.
Das neue Schuljahr sollte am 20. April beginnen. Daran war natürlich vernünftigerweise nicht zu denken. Seither ist ein Schulbesuch nicht möglich. Immer wieder wurde die Hoffnung geäußert, dass in den nächsten Tagen die Schulen wieder öffnen könnten.
Gerade eben, am 11. September !! hat die Zentralregierung eine Richtlinie erarbeitet und herausgegeben mit welcher sie die lokalen Regierungen (Vergleichbar bei uns mit Kreisebene) verpflichtet und verantwortlich macht, dass „Lehr-Lern-Aktivitäten auf Schulebene mit derHilfe von virtuellen Medien von Schülern und Lehrern in kleinen Gruppen“ zu organisieren.Die lokalen Regierungen sind völlig überrascht und nicht vorbereitet. Dies kann nicht gelingen. Es fehlen technische Einrichtungen in Schulen, bei Lehrern, Lernpläne und vor allen Dingen technische Geräte bei Schülern.
Laut einer Veröffentlichung der Regierung haben nur ca. 12 % der Schulen selbst eine Technologie mit Internetverbindung um Unterricht anbieten zu können!
Begründung der Regierung für das jetzt viel zu späte Handeln: Man habe nicht damit gerechnet, dass die Pandemie so lange dauern würde…..


ASHA-Schule und ASHA-Hostel
Natürlich musste auch die ASHA-Schule geschlossen werden. Ebenso wie das ASHA-Hostel.Der Versuch das ASHA-Hostel ab dem 20. April öffnen zu dürfen gelang nicht. Im ganzen Land gab es keine Ausnahmegenehmigungen.
Dass ein Schul- und Hostelbesuch nicht möglich war und ist macht auch deshalb neben dem Unterrichtsausfall traurig, weil die Kinder das Essen in der Schule nicht erhalten können.
Gerade in der momentanen Situation wäre dies so unglaublich wichtig.
Wir bezahlen den Lehrern und den Köchinnen die Gehälter weiter. Wir wollen und dürfen sie nicht verlieren und sie müssen von etwas leben. Ebenso wird die Miete für das Schulgebäude bezahlt damit die Einrichtung für uns erhalten bleibt.


Unsere Hilfe
Sehr bald kamen die ersten verzweifelten Hilferufe bei Anupendra von den Eltern und den Schülern an Die Arbeit ging verloren, Ersparnisse sind bei den Ärmsten keine vorhanden, längst nicht alle haben ein kleines Feld von dem sie etwas ernten können.
Lebensmittel sind nur zu erhalten wenn sie bar bezahlt werden.Viele Geschäfte haben geschlossen.Sie kämpfen selbst um ihre Existenz oder sind schon insolvent.
Wir haben beschlossen den bedürftigen Familien unserer Schule zu ermöglichen dringendst notwendige Lebensmittel; insbesondere Reis, Gemüse und anderes in einem Lebensmittelgeschäft in unmittelbarer Nachbarschaft zur ASHA-Schule auf Rechnung einzukaufen. Dies wird von uns bezahlt. Nachdem eine leichte Lockerung des Lockdown eintrat haben wir größere Mengen von Lebensmitteln eingekauft und zum ASHA-Hostel gebracht. Vorher war dies wegen der Restrektionen unmöglich.Dort konnten und können die Familien ihre Rationen abholen.Wo dies nicht möglich ist wurde Geld gegeben damit die Familien einkaufen können. Dies geschieht nur dort wo Anupendra sicher sein kann, dass die Mittel auch für Lebensmittel verwandt werden.
Manche Familien erhalten Unterstützung bei ihren Mietzahlungen. Jetzt in dieser Situation noch obdachlos zu werden käme einer Katastrophe gleich.
In Einzelfällen wird auch Hilfe beim Medikamentenkauf oder Arztbesuch gewährt.
Jedes Bedürfnis wird geprüft. Über jede Ausgabe wird Buch geführt.
Die Leute sind unglaublich dankbar. Ohne diese Hilfe kämen sie absolut nicht über die Runden.Die Finanzierung erfolgt über das eingesparte Essen an die Kinder durch die Schließungen.
Wir haben auch Spenden erhalten um in dieser Notlage helfen zu können.
Herzlichen Dank!


Fazit
Ohne jede Übertreibung ist die Lage als dramatisch anzusehen.
Dies gilt einmal für die mögliche Erkrankung an Corona und die Kenntnis, dass kaum geholfen werden kann. Und es gilt für den täglichen Kampf um das nackte Überleben.


Informationen
Die hier geschilderten Situationen und Sachverhalte habe ich durch nahezu täglichen
Informationsaustausch mit
Dr. Roshana Shrestha
Anupendra Acharya
Berichte diverser NGOS und Hilfsorganisationen
Sichtung der sozialen Medien
Nepaltimes (Presse)
Kathmandupost (Presse)
u.v.m.
erhalten.
Oberkirch, 15. September 2020
Josef Erdrich

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