Mein Text zur Karlsruher Corona-Demo am 22.1.22: „Nur Mut! Große Ziele sind erreichbar!“

Im September habe ich die Rede selbst gehalten, diesmal wurde sie verlesen, weil ich nicht selbst da sein konnte. Hier der aktuelle Text von gestern. Siehe auch der Bericht in den  Badischen Neuesten Nachrichten

Nur Mut! Große Ziele sind erreichbar!

 

Unsere emotionale Situation

Ich erlebe in den letzten zwei Jahren viele laute und harte, ja brutale Worte, Diffamierungen Andersdenkender. Es ist schwer, dem Motto des Philosophen Gadamer treu zu bleiben, unter das ich meinen ersten Karlsruher Vortrag stellte Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere recht haben könnte,“ wenn der andere mir nicht zubilligt, dass auch ich recht haben könnte.

Da ich nicht gerade der sanfteste Mensch bin, kenne ich den Drang nur zu gut, in Auseinandersetzungen möglichst scharf zu schießen. 

Wenn mein Ziel ist – wie weiland bei Old Shatterhand – möglichst viele Kerben in meine Flinte eingraben zu können – okay. Aber wollen wir das wirklich? Vor allem: was bringt das auf Dauer?

 

Was ist unser Ziel?

Falls wir jedoch das Ziel haben, andere zu überzeugen, mindestens nachdenklich zu machen, dann müssen wir andere Wege gehen. Die Wege der Brückenbauer. 

Aktuell sieht es noch so aus, als gäbe es eine Mehrheit, die mit der Coronapolitik hierzulande einverstanden ist. Sicher nicht so komplett, wie uns die PolitikerInnen unter tatkräftiger Mithilfe vieler Medien glauben machen wollen. Es gibt keineswegs die geschlossene Front derer, die kritische Stimmen pauschal als unmoralisch, unverantwortlich und hirnverbrannt abtun.

Ich selbst kenne genau zwei Menschen, die an den regelmäßigen Demos gegen Impfpflicht in meiner engeren Heimat teilnehmen: Eine Frau mit 64 Jahren und eine Frau mit 63 Jahren, beide im Gesundheitswesen arbeitend und mir als friedliche, sozial engagierte Mitbürgerinnen bekannt. Beide betonten, wie friedlich es bei diesen Demos zuginge. .Das bestärkt mich in meinen Zweifeln über Meldungen, die Teilnehmer an solchen Demos seien ziemlich durchweg Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker, Spinner.   

Es verlangt ziemlich viel von uns, sich diesen rüden Umgangsstil gerade nicht aufzwingen und sich nicht provozieren zu lassen, Aber so sieht Souveränität aus!

Vor allem aber ist es der einzige Weg, diejenigen Menschen nachdenklich zu machen, die des Nachdenkens fähig (und willens?) sind. Das sind die meisten.

Wenn jemand nach einer Begegnung mit uns nur sagt „Seine oder ihre Meinung finde ich zwar daneben. Aber erstaunlicherweise ist das jemand, mit dem oder der kann man reden. Der/die ist gar nicht so unrecht“, so ist mehr gewonnen, als wir glauben.

Sagen Sie bitte nicht gleich: „Das funktioniert doch eh nicht.“ Doch es funktioniert! Sie werden in Ihrem eigenen Bekanntenkreis Beispiele dafür finden. Es funktioniert sogar – man höre und staune – beim bayerischen Ministerpräsidenten Söder, also der, der Strafbefehle für Leute ausstellen ließ, die allein auf einer Parkbank saßen:

Ausgerechnet er meinte Mitte Januar, er habe „über den Jahreswechsel viel nachgedacht“ und „tiefe Lehren gezogen“: Es werde nicht mehr ausreichen, »die Lage nur medizinisch und virologisch zu betrachten. Wir müssen auch auf die gesellschaftliche und soziale Komponente stärker achten.«

Klar, da ist Skepsis hinsichtlich der Gründe und der Dauer seines Meinungswandels angebracht. Ich bin weit davon entfernt, Herrn Söder ein frohes „Willkommen im Club“ zuzurufen.

Aber grundsätzlich: Wollen wir rhetorische Siege einfahren oder wollen wir beitragen, dass der Wind sich dreht? Das geht nur, wenn wir Menschen nachdenklich machen und diejenigen ermutigen, die uns innerlich längst nahestehen, aber noch schweigen.

Das gelingt am besten, wenn wir gut informiert sind und wenn wir andern gegenüber respektvoll auftreten und zuhören.     

 

Kluge Werbung für unseren Standpunkt

Um es klarzustellen: Damit kann man nicht bei allen punkten. Es gibt – egal auf welcher Seite – Leute, mit denen kann man nicht reden. Das wäre Zeitverschwendung. Aber ich bin überzeugt: Mit den meisten Menschen kann man reden.   

Überprüfen Sie bitte einmal an sich selber, wann Sie die Tür zu einem Gespräch aufmachen und wann Sie sie verschließen.

Beispiel: Altbundespräsident Gauck nannte Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen pauschal „Bekloppte“. Dafür erntete er gewiss viel zustimmendes Gejohle. Aber hätte er einen Impfskeptiker erreicht? Hätten auch nur einer gesagt „ach nein, ein Bekloppter will ich nicht sein, ich bin bekehrt.“

Wenn man sich ernstgenommen fühlt, den eigenen Argumenten zugehört wird – dann reagiert man anders. Das ist nicht gleichzusetzen mit „ich mache meinen Oberarm frei“.

Wir haben es in der Hand, ob wir zur Verhärtung beitragen oder die Fronten peu à peu aufweichen.

 

Zu große Einigkeit macht dumm

Neulich schaffte es eine wissenschaftliche Untersuchung auf die erste Seite der Süddeutschen Zeitung. Überschrift: Gefährliche Einigkeit.

„Hohe Übereinstimmung in moralischen Fragen kann Gruppen radikalisieren, egal, welche Überzeugungen diese nun teilen. Wenn sich alle einig sind, bereitet dies die Bühne für die Scharfmacher. Das gilt für Linke, das gilt für Rechte, für Religiöse, für Atheisten und für alle anderen auch, die hier zwar nicht aufgezählt, aber mit gemeint sind [..] Geteilte ethische Überzeugungen führten zu enormem Zusammenhalt und der Überzeugung, es sei moralisch geboten, die Gegenseite niederzumachen […] Andersmeinende verwandeln sich dann zu Feinden, die in den Augen der Rechtgläubigen hart angepackt gehören.“

Ich denke, genau das erleben wir seit Monaten jeden Tag. Wer solche „hohe Übereinstimmung“ durch entsprechendes Reden befördert, wer nur auf das Bravo der eigenen Leute schielt, der trägt dazu bei, dass jede Gruppe in ihrem eigenen Saft schmort.

Eigentlich sollte man es wissen  Solches Verhalten fördert weder „die Moral“ noch den Erkenntniszuwachs.

 

„Es könnte auch anders sein“ – Sündenbocksuche ist einfacher

Ich selbst finde es reichlich anstrengend, mir Meinungen anzuhören, Artikel zu lesen, die im Widerspruch zu meiner Überzeugung stehen. Ich mache das nicht gern. Viel lieber sind mir Bestätigungen meiner Überzeugung. Aber ich mute mir „unpassende“ Meinungen und Meldungen zu. Der Satz „es könnte auch anders ein“, ist Voraussetzung für ein kluges Urteilen.

Ich will das an einem kleinen Beispiel illustrieren:

In einem Interview beschrieb ein Onkologe neulich, wie immer und immer wieder verschobene Operationen aufgrund der Situation in den Intensivstationen letztlich KrebspatientInnen das Leben kosten.

Im dazugehörigen Forum überwog der Reflex: „Das ist einzig Schuld der Impfgegner. Die stecken sich an und füllen dann rücksichtslos die Intensivstationen. Man sollte die…“ Und es folgten Fantasien à la „mit Gewalt impfen“ oder „überhaupt nicht mehr medizinisch behandeln“.

 

Argumente gegen den Tunnelblick

Bei solchen Pawlowschen Reflexen können wir einhaken: Wir können daran erinnern, dass unsere Krankenhäuser schon seit zwanzig Jahren ganz bewusst auf Kante genäht waren, an der Pflege gespart wurde, wo es nur möglich schien, weil man meinte, Gesundheit ließe sich nach Marktmechanismen organisieren.

Auch die hartgesottensten C-Maßnahmenbefürworter haben Krankenhausschließlungen, schlechte Behandlung und Pflege bei sich oder Angehörigen erlebt. Daran sollten wir erinnern und argumentieren: Wenn was auf Kante genäht ist, dann braucht es nur wenig – und die Chose liegt im Graben. Was und wer  ist jetzt aber für die Katastrophe haftbar? Doch nicht der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte?

Als der damalige Gesundheitsminister Spahn meinte „Es ist zehn nach zwölf“ meinte eine Krankenschwester: „Ja hättest du vielleicht vorher mal auf die Uhr geschaut!“

Oder wir können argumentieren: Schon ganz früh, etwa seit März 2020 war deutlich: Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Armut, prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen und einem tödlichen Ausgang der CovidErkrankungen. In der Villa und im Homeoffice wird deutlich seltener an Corona gestorben.

Ist jetzt Corona schuld oder beispielsweise die jahrzehntelange Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus, die Verschleppung einer anständigen Mindestlohnregelung usw. usw.?

 

Gefahr für die Demokratie: Selbstgerechtigkeit der „Experten“

Neulich hat der Präsident des Weltärztebundes Montgomery Gerichtsschelte betrieben. Zu einem Urteil eines Oberverwaltungsgerichts, das ihm nicht gefiel, sagte er Folgendes:  Ich stoße mich daran, dass kleine Richterlein sich hinstellen und wie gerade in Niedersachsen, 2G im Einzelhandel kippen, weil sie es nicht für verhältnismäßig halten. Da maßt sich ein Gericht an, etwas, das sich wissenschaftliche und politische Gremien mühsam abgerungen haben, mit Verweis auf die Verhältnismäßigkeit zu verwerfen […]

Zwergenaufstand gegen unfehlbaren Riesen in den wissenschaftlichen und politischen Gremien! Das war jetzt sicher ein extremes Beispiel einer Selbstgerechtigkeit, die frei ist von jedem Selbstzweifel.

In solcher Überheblichkeit sehe ich eine genauso große Gefahr für unsere Demokratie, wie sie von Menschen ausgeht, die Drohschreiben an Abgeordnete schicken.

Montgomery ist zwar immer noch Präsident des Weltärztebundes, aber er bekam aus den eigenen Reihen ziemlich eins auf die Mütze. „Wer an hervorgehobener Position unqualifiziert und respektlos Kritik an unseren föderalen Strukturen und dem Prinzip der staatlichen Gewaltenteilung übt, der stellt damit de facto auch unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage“ heißt es in der Stellungnahme der Ärztekammer Niedersachsen. Da kann ich nur sagen „Verfassungsschutz – übernehmen Sie!“

 

 

Leute, diskutiert! – Julian Nida-Rümelins und Immanuel Kants positiver Gegenentwurf

Der von mir sehr geschätzte Julian Nida-Rümelin, der normalerweise zwar Professor ist, aber auch mal unter Kanzler Schröder das politische Handwerk ausübte, sagte in einem Interview zur Corona-Thematik mit der schönen Überschrift „Mehrheit legitimiert zu nichts“:

Das hat mich am meisten auf die Palme gebracht, als unsere sonst sehr besonnene Bundeskanzlerin sagte, für Diskussionen ist es zu früh. Nein, ist es nie. Das macht die Demokratie aus, dass wir Diskussionen führen, sonst sind wir nicht in einer Demokratie, sonst sind wir in einer Diktatur.“ 

Ich kann es noch mit 240 Jahre älteren Worten sagen: „Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: räsoniert nicht! Der Offizier sagt: räsoniert nicht, sondern exerziert! Der Finanzrat: räsoniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: räsoniert nicht, sondern glaubt! … Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich? … Ich antworte; der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muss jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zustande bringen…“ Dies schrieb Immanuel Kant 1784 in der Berlinischen Monatsschrift.

 

Wie schön wäre es gewesen….

Wie schön wäre es gewesen, hätten Politik und Medien uns von Anfang an vermittelt: „Dies ist eine für uns alle neue Situation. Wir sind darauf genauso wenig vorbereitet wie Sie. Wir entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen. Aber unsere Entscheidungen können auch falsch sein. Wir werden sie immer und immer wieder überprüfen und bitten Sie: helfen Sie uns dabei.“

Diese Chance wurde vertan. Leider. Dabei hätte das Kreativität, Zusammenhalt und gegenseitiges Vertrauen gestärkt. „Ich werde als jemand auf Augenhöhe behandelt“ – das macht mir Mitarbeit, Solidarität aber auch – wenn nötig – das Verzeihen leichter.

Vergessen wir nicht: „Die Wahrheit“ – die gibt es nicht! Aber wir kommen ihr näher, wenn wir einen Chor der Stimmen zulassen. Egal von welcher Seite es geschieht:  Wer ausgrenzt, wird einäugig. Bestenfalls.

Ist es das, was wir wollen?

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Der Wind dreht sich! Helfen wir dabei, dass er sich in die richtige Richtung dreht!

Ja, ich bin zornig und ich bin nicht bereit, einfach zu sagen: Schwamm drüber, jeder macht mal Fehler.

Aber keine Bange! Ich krieg mich wieder ein.

Genau das bitte ich Sie, mit mir zu tun. Geben wir uns einen Ruck! Die Erfolgschancen für abwägende Entscheidungen sind gewachsen. Wir können dazu beitragen, dass sie weiter steigen.

Beispiel gefällig? Dass die Impfpflicht kommt, war vor nicht allzu langer Zeit sicher wie das Amen in der Kirche. Der Wind dreht sich. Und ich bin gespannt, ob es tatsächlich jene Impf-Treuepunktekarte kommt, die ein Cartoon zeigte: Da wird bei jeder Impfung ein Feld abgestempelt und man kann lesen: „Bei der achten Impfung ein Tag Maskenfrei. Mitmachen lohnt sich!“  

Oder: Es ist auch nicht so lange her, da galt als Dogma, dass die Länder mit strengen Lockdowns etc. besser dastehen, erfolgreicher im Kampf gegen Covid sind. Im Unterschied etwa zu den laschen Schweden, deren Politik über Monate als „kurz vor dem Scheitern“ deklariert wurde und die ihre Strafe schon noch kriegen werden. Und nun erklärt selbst Australien die Abkehr von der ZeroCovid-Strategie!

Oder – und damit möchte ich schließen: Ein Interview des Deutschlandfunks vom 11.1.2022, das so vor einem Jahr meiner Meinung nach nicht über den Sender gelaufen wäre:

Da wird zunächst mal mit gewissem Erstaunen festgestellt: „Die Corona-Wellen verlaufen in vielen europäischen Ländern oft erstaunlich ähnlich und flachen dann wieder ab – obwohl die Maßnahmen und Beschränkungen teils sehr unterschiedlich waren und sind.“

Die Interviewerin zieht die richtige Schlussfolgerung: „Das bedeutet, eigentlich haben wir im Moment zu wenig Wissen über Ursache/Wirkung, und solange dieses Wissen fehlt, kann man da auch gar nicht so definitiv mit umgehen, wie das vielleicht im Moment teilweise passiert.

Darauf der Epidemologe Brinks: „Genau das würde ich so unterschreiben. Wir brauchen da einfach viel mehr Wissen und viel mehr Einsicht in diesem Bereich.“

Arbeiten wir gemeinsam daran, dass Einsicht und Wissen weiter wachsen!

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