Hans Sahl berichtet von dem nicht ganz geglückten Versuch, mithilfe eines Mitarbeiters des berühmten Magnus Hirschfelds Instituts für Sexualforschung seinen Vater zur Akzeptanz seiner Liaison mit Erna L. zu bewegen:
‚“Ihr Sohn‘, begann Dr. K., ‚gehört einer Nachkriegsgeneration an, die sich gegen Autorität, natürlich auch gegen väterliche, auflehnt. Er ist im Grunde genauso asozial wie jene Halbwüchisgen, die heute Eisenbahngleise aufreißen und Züge zum Entgleisen bringen. Er sagt, dass er dichtet, aber um ganz offen zu sein, ich halte es mehr für ein Spiel mit seinen Genitalien.‘
‚Was sagen Sie da?‘ sagte mein Vater, und ich sah, dass er vor Scham beinahe in seinem Stuhl versank.
‚Ich meine‘, fuhr Dr. K. unbeirrt fort, ‚dass Sie die Angelegenheit mit dem Mädchen, das er liebt, nicht so ernst nehmen sollen. Es ist eine vorübergehende Pubertätserscheinung, der ich keine besondere Bedeutung beimesse. Worum es hier geht, ist etwas anderes. Ihr Sohn hat einen Ödipus-Komplex.‘
‚Was hat er?‘, fragte mein Vater.
‚Einen Ödipus-Komplex‘, wiederholte Dr. K..
‚Was um Himmels willen ist ein Ödipus-Komplex?‘ fragte mein Vater.
‚Ein Ödipus-Komplex ist‘, fuhr Dr. K. fort, ‚wenn ein Sohn seinen Vater hasst und ihn umbringen will; natürlich nur symbolisch. Er ist eifersüchtig auf den Mann seiner Mutter und will ihn in Gedanken umbringen.‘
Mein Vater erhob sich von seinem Stuhl. Er sah sehr blass aus und musste sich an der Tischkante festhalten.
‚Mein Sohn hasst mich!‘ Er wandte sich zu mir:’Du willst mich umbringen? Das habe ich nicht geahnt! Wirklich nicht! Verzeihen Sie, Herr Doktor, aber ich muss diese Unterhaltung hiermit als beendet betrachten!“
Hans Sahl, Memoiren eines Moralisten, S.73
Tja, man sollte vorsichtig sein mit Deutungen….
Das zweite Zitat findet sich auf S. 124. Sahl ist Gast im Pariser Hotel ‚Helvetia‘, wenn ich es recht sehe, war das vor seinem Exil, also irgendwann Anfang der 30er Jahre. Sahl schreibt über das Hotel… oder besser über seine Inhaberin:
„Es war eins der vielen Studentenhotels der Rive Gauche, bemerkenswert freilich durch seine Inhaberin, Madame Chollet, eine prachtvolle ‚Frau aus dem Volke‘, noch dazu dem französischen die sich durch eine oft frappierende Welterfahrung und Menschenbeobachtung auszeichnete. Einmal nahm sie mich beiseite und sagte: ‚Was ist nur mit Monsieur Albert? Ich werde ihn hinauswerfen. Er hat noch nie ein Mädchen mit nach Haus gebracht. Dies ist ein anständiges Hotel. Ich dulde keine Perversion.'“