Gedanken zum Artikel „Corona-App in China: Beginn der Digitaldiktatur Tracing:“Ziel ist der vorauseilende Gehorsam der Bürger“

Corona-App in China: Beginn der Digitaldiktatur: Ein ebenso ausgezeichneter wie absolut ängstigender Artikel vom Pekinger Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Christoph Giesen. (https://www.sueddeutsche.de/leben/corona-app-china-1.4905221 ) Zwar kostenpflichtig, aber über den „Tagespass“ für 1.99€ erschwinglich. https://service.sueddeutsche.de/lesermarkt/digitale-sz/tagespass.html) Der Artikel datiert zwar schon vom 15.5., aber manchmal brauche ich etwas länger.

Ein ausgezeichneter Artikel, wie gesagt – wäre da nicht die Einleitung gewesen „Während manche hierzulande von Diktatur faseln, wird unser Korrespondent in China tatsächlich von einer Corona-App umfassend überwacht.“ Außerdem ein Satz im Artikel selbst, indem Giesen deutsche Proteste als „Quatsch“ bezeichnet.

Ich schlug der Süddeutschen daraufhin vor, z.B. Berichte über Rassismus in Deutschland mit dem Satz einzuleiten „Während manche hierzulande von Rassismus faseln, erlebt XY sie in den USA tagtäglich.“ Oder bei Diskriminierung von Frauen „während manche hier von der Benachteiligung von Frauen faseln, kann unser Korrespondent in Saudi-Arabien berichten, wie Benachteiligung tatsächlich aussieht.“ Oder Thema Arbeitsbedingungen: „Während manche hierzulande über schlechte Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen faseln, kann man sie in den Bergwerken im Kongo sehen.“ Oder Umweltzerstörung: „Während manche hier von Umweltzerstörung faseln, berichtet unser Korrespondent in Brasilien, was Umweltzerstörung tatsächlich ist.“

Und ich fragte die Redaktion: „Darf man Ihrer Meinung nach nur dann den Mund aufmachen, wenn man ihn aufgrund der Verhältnisse nicht mehr aufmachen darf?“

Giesen beschreibt, wie er z.B. bei jedem Restaurantbesuch die App vorweisen muss und wenn sie nicht ‚grünes Licht‘ gibt, wird er abgewiesen. Ohne sie kann er nicht mehr zum Bäcker und schon gar nicht in einen Zug. Unsicherheit, ob ‚gelb‘ tatsächlich erscheint, weil er zufällig gerade erhöhte Temperatur hat oder ob man nicht will, dass er sich mit jemandem im Restaurant trifft, ob dahinter eine Warnung oder Strafe wegen irgendeines Fehlverhaltens stecken könnte. Was macht allein diese Unsicherheit mit einem Menschen? Wo nimmt er sich „freiwillig“ zurück, wo vermeidet er Kontakte, die sich eventuell nachteilig erweisen könnten? 

Die App weiß sehr viel über mich: … wo ich mich aufhalte, mit welchem Schnellzug ich gefahren bin, ja sogar auf welchem Sitzplatz ich gesessen habe. Wann und wie oft ich mich einem Corona-Test unterzogen habe. Auf welche anderen Daten die App sonst noch zugreift, welche Informationen sie an wen und wie regelmäßig übermittelt, kann ich nur erahnen. Die App ist jedenfalls sehr aktiv. Ständig ist der Akku meines Smartphones leer.“

Als er in Quarantäne war wurde über seiner Haustür eine Kamera installiert um zu kontrollieren, dass er tatsächlich das Haus nicht verlässt. Diese Kamera sei eine von 800 000 in Peking. Die seien inzwischen so ‚gut‘, dass sie einem identifizieren könnten, auch wenn man eine Maske trägt.

Corona sei für die chinesische Regierung in gewisser Weise ein „Himmelsgeschenk“. Was bereits schon an extremer Überwachung installiert wurde – durch Corona wird diese und noch unendlich mehr quasi legitimiert: Überwachung  geschieht ja nur zu eurem besten. Seht, wie der Staat um eure Gesundheit besorgt ist! 

Giesen berichtet, wie das bereits seit Längerem bei den Uiguren gehandhabt wird: „…An Tankstellen in Xinjiang bekommt man nur Benzin, wenn man vorher sein Gesicht hat einlesen lassen. Bei Straßenkontrollen überprüft die Polizei das Smartphone, die Daten werden ausgelesen; jeder muss eine App installiert haben, die feststellt, ob man verbotene Videos angesehen hat. Wer einen verschlüsselten Messenger wie etwa Whatsapp auf sein Smartphone geladen hat, muss damit rechnen, in einem der vielen Umerziehungslager zu verschwinden.“

Giesen zitiert Adrian Zenz: „‚Ziel ist der vorauseilende Gehorsam der Bürger, die Internalisierung der Kontrolle, die Selbstzensur.‘ Nun erreicht sie – beschleunigt von Corona – den Rest des Landes.“ (Nachlesenswert ein Interview mit Adrian Zenz zu der Situation der Uiguren: https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/china-cables-uiguren-103.html)

Die Verlagerung der Kontrolle von außen nach innen erspart eine Menge Polizeikosten und hässliche Bilder von Konfrontationen zwischen BürgerInnen und Staatsmacht:

„Ich weiß, dass ich überwacht werde, also verhalte ich mich regelkonform. Und wem der Staat nicht traut? Ein Klick im Rechenzentrum genügt künftig, schon zeigt die App Gelb statt Grün an. Keine Reisen mehr, keine Restaurantbesuche, sondern Hausarrest.“

Ich denke an Bestrebungen im Gesundheitswesen bei uns: Die Lust an Selbstkontrolle (überprüfen Sie nicht, wie viel Schritte sie heute gegangen sind? Und das ist ja nur der Anfang… ) wird benutzt werden. Zum Beispiel von Krankenversicherungen. Zunächst mal Rabatte für die, die sich selbst „gesundheitlich“ überwachen. Und dann kann man darauf wetten: höhere Versicherungsgebühren, die nicht mitmachen (https://ursula-neumann.de/von-der-selbstverwirklichung-zur-selbstoptimierung-oder-quael-dich-du-sau/)

Orson Welles „1984“ – erscheint fast wie ein Paradies der Freiheit.

Und ich frage mich: Was wird aus Menschen, was wird aus einem Volk, das nicht einen Monat, sondern Jahre an dieses Regime gewöhnt ist, was wird aus Menschen, für die das „normal“ ist. Werden die jemals, jemals wieder Sehnsucht nach was anderem haben? Nach etwas, was wir Freiheit, was wir Selbstbestimmung nennen?

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