Der Kirchentag, Bischof Bätzing und sein Dekan: Es gibt Beförderungen, mit denen befördert man sich ins Abseits

Publizität, wie man sie sich nicht wünscht

Der Katholikentag in Stuttgart hat lediglich ein knappes Drittel der TeilnehmerInnen wie der letzte vor vier Jahren in Münster: heute 30.000 (maximal) damals waren es 90.000. Und beim Katholikentag in Berlin 1990 zählte man noch 120.000…

Die Publizität ist trotzdem beachtlich. Leider nicht ganz so, wie sich die Veranstalter das wünschen würden: Denn wenn jetzt über den Kirchentag berichtet wird, fehlt fast nie der Hinweis auf etwas, das letzte Woche bekannt geworden ist: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Bischof Bätzing hat in seiner Diözese einen Priester zum Regionaldekan befördert, von dem ihm bekannt war, dass er (und jetzt sage ich: mindestens) gegenüber zwei Frauen sexuell übergriffig geworden ist. Verbal und körperlich. Eine der Taten hatte sozusagen wenigstens ökumenischen Charakter, das Opfer war eine angehende evangelische Pfarrerin. Der eine Vorfall soll sich 2000 ereignet haben, der andere 2006.

Was hat ein Dekan zu tun?

Eine ganze Menge . Für unser Thema ist vor allem interessant: ein Dekan hat die Aufgabe „Aufsicht über die Kleriker seines Bezirks, damit diese ihren Amtspflichten gewissenhaft nachkommen und eine für Priester angemessene Lebensweise pflegen“. Da ist jemand, der sich – nun sagen wir mal – selbst unangemessen verhalten hat, keine ideale Besetzung.

Keine ideale Besetzung: ja. – Aber ich fände es unangemessen, reflexhaft zu sagen „das geht gar nicht“.

Man muss aufpassen, sich auch in Fragen sexueller Übergriffe nicht von einem Furor ergreifen zu lassen und einen Maßstab anzulegen, der selbst die Sittenwächter in Teheran vor Neid erblassen ließe. Für einen solchen Rigorismus gibt es keine Rechtfertigung, auch nicht den, dass sexuelle Übergriffe und sexueller Missbrauch Jahrzehnte, Jahrhunderte als Petitesse gehandelt wurden. Der Zorn über das vergangene Unrecht ist nur zu berechtigt. Aber nichts wird besser und es bedeutet keine „Wiedergutmachung“, wenn man sich jetzt von diesem Zorn leiten ließe bei der Bewertung aktueller Taten.

Bätzings Verteidigung

Bischof Bätzing verteidigt sich:

„‚Es handelt sich hier nicht um einen Missbrauch im Sinne der Leitlinien der katholischen Kirche‘, sagt Bätzing nun und führt die Beliebtheit des Mannes an.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat die Beförderung eines Pfarrers verteidigt, der Jahre zuvor zwei Frauen belästigt haben soll. Der Vorfall liege schon viele Jahre zurück, und der Priester habe Reue gezeigt und sich entschuldigt […] ‚Kann ich einen Priester, der vor 15 Jahren einen Fehler begangen hat, den er einsieht, für den er Reue zeigt, für den er um Entschuldigung gebeten hat und eine Strafe gezahlt hat – kann ich die unendlich lange vorhalten?‘ Der hochbeliebte Pfarrer sei von der großen Mehrheit der Seelsorgerinnen und Seelsorger für die Funktion des Bezirksdekans vorgeschlagen worden. Als Bischof sei er diesem Votum letztlich gefolgt. ‚Es ist kein Fauxpas. Sondern ich habe im Abwägen der Gesamtsituation diese Entscheidung getroffen.‘ (Kritik aus eigenen Reihen. Bischof Bätzing verteidigt umstrittene Beförderung )

Recht auf Neubeginn ist nicht gleich Recht auf Karriere

Diese Argumentation sollte man nicht einfach beiseite wischen. Selbst im polizeilichen Führungszeugnis wird eine Eintragung nach einer bestimmten Zeit gelöscht und man ist wieder unbescholten. Das ist schon wahr, dass jedem die Chance auf einen Neubeginn gegeben werden muss, wie es die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Frau Stetter-Karp meinte.

Nur: Recht auf Neubeginn bedeutet nicht Recht auf Karriere.

Wenn es um Karriere geht, ist der Maßstab strenger anzulegen. Das hat nichts mit „unendlich lange vorhalten“ zu tun. Vielleicht schaffen wir das nicht bei PolitikerInnen und Wirtschaftsleuten – da gibt es nur zu viele Beispiele und wir scheinen uns etwas resigniert daran gewöhnt zu haben.

Aber bei einem Kirchenmann, der als Dekan zum Beispiel die „angemessene Lebensweise“ der ihm untergebenen Priesterkollegen kontrollieren soll, sieht es schon etwas anders aus.

„Beliebtheit“ – ein dünnes Argument

Der Verweis auf „Beliebtheit“ ist nicht unbedingt ein Gegenargument:

Zum einen: Wenn ich mir die Stimmen der Frommen ins Gedächtnis rufe, die „ihren“ Priester wegen seiner „menschlichen“, „leutseligen“ Art in den Himmel heben, als würde damit sein erwiesener Missbrauch von Kindern gewissermaßen aufgehoben, so ist das eine „Gegenrechnung“ die unstatthaft ist.

Zum anderen: Ich gehe davon aus – schon wegen des gebotenen Schutzes des Persönlichkeitsrechts des betroffenen Priesters – dass die Seelsorgerinnen und Seelsorger, die sich für den „hochbeliebte[n] Pfarrer“ aussprachen, nichts von diesen Vorkommnissen wussten. Bischof Bätzing dürfte sie nicht vor die Frage gestellt haben: „Pfarrer X hat sich in der Vergangenheit wenigstens zweimal sexuell übergriffig verhalten – wollt ihr ihn trotzdem als Dekan?“

Aber genau diese Fragestellung wäre die Voraussetzung gewesen, damit sich „die Seelsorgerinnen und Seelsorger“ wirklich hätten entscheiden können. So aber hat es den Geruch „ich weiß etwas, was ihr nicht wisst“. Wirklich kompetent votieren kann man nur, wenn man alle relevanten Fakten kennt. Und sexuelle Übergriffigkeit ist ein solch relevantes Faktum. Deswegen ist die Berufung auf „Beliebtheit“ ein dünnes Argument.

Unterschiedliche Delikte – dieselben Maßstäbe? 

Beim Nachdenken kam ich auf die Frage, wie die (letztlich einsame) Entscheidung des Bischofs wohl ausgefallen wäre, wenn der Priester sich nicht sexueller Übergriffe schuldig gemacht hätte, sondern zum Beispiel der Körperverletzung oder Urkundenfälschung. Ich habe mir die entsprechenden Paragrafen des Strafgesetzbuchs zu Gemüte geführt. Sie sind im Strafmaß durchaus vergleichbar.

Paragraf 177 StGB  (sexueller Übergriff):

„Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

 Paragraf 223 StGB (Körperverletzung)

Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Anmerkung: Körperverletzung fängt übrigens nicht erst beim ausgeschlagenen Zahn an. Vielmehr „Eine körperliche Misshandlung ist jede üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden [Hervorhebung durch U.N.] oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt.“

Paragraf 267 StGB (Urkundenfälschung)

Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 

Ich habe meine Zweifel ob der fragliche Priester Dekan geworden wäre, wenn er zweimal in eine Wirtshausschlägerei verwickelt gewesen wäre oder sein Abiturzeugnis gefälscht hätte. Wissen tue ich es nicht. Aber ist der Verdacht so weit hergeholt, dass in der Kirche und genauso draußen sexuelle Übergriffe nach wie vor als etwas gelten, was halt mal passiert und nicht so dramatisiert werden darf?

Und außerdem… wie wusste schon Zwingli vor 500 Jahren über Opfer und Täterinnen?

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Hängt Markus Söder das Kreuz jetzt ab?

Ich glaube zwar nicht, dass folgende Meldung vom 25.05.2022 aus der Süddeutschen im kausalen Zusammenhang mit der Bätzing-Geschichte steht: Markus Söder hat 2018 so ziemlich als erste seiner Taten als Ministerpräsident von Bayern den unsäglichen Kreuzerlass kreiert. Danach muss in jedem offiziellen Gebäude des Freistaates Bayern „deutlich sichtbar“ ein Kreuz aufgehängt werden. (Dagegen läuft gerade ein Prozess, mal wieder. Aber vielleicht klappt es ja jetzt.)

Herr Söder machte sich damals selbst ans Werk. Das entsprechende Konterfei war die ganzen Jahre auf der Homepage der Staatskanzlei abzurufen. Und jetzt – so ein findiger Redakteur – ist es mit einem Mal  weg: „Doch ausgerechnet dieses Foto, auf dem Söder in unvorteilhaftem Licht ein Bronzekreuz an die Wand seiner Staatskanzlei montiert, wird online nicht mehr angezeigt. Der Link ist kaputt, Error. Womit zur jüngsten Entwicklung rund um Söders Kreuzpflicht schon viel gesagt wäre.“  (Süddeutsche 25.05.2022 „Ein hilfloser Versuch, ein eindeutiges Symbol umzudeuten)

Aber wie das so ist heutzutage: das Netz vergisst nichts und so kann man auch Markus Söder beim Kreuz nach wie vor besichtigen, wie er vor lediglich vier Jahren das Kreuz schlug. Nur eben nicht auf der Seite der bayerischen Staatskanzlei. Es scheint ihm womöglich peinlich geworden zu sein, mit diesem Symbol in Verbindung gebracht zu werden.

Wie gesagt: ich glaube ja nicht an ein Zusammenhang, aber insgesamt passt das schon alles zusammen.

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