„Deine Sprache verrät dich“ (Mt 26.73) Unbeherrschtheit als Herrschaftsmittel.

„Der Fisch fängt vom Kopf an zu stinken.“ oder „Der ganze Strudel strebt nach oben; Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.“

Diese Woche sprach ich mit meinem Sohn darüber, wie sich die Sprache verändert. Ich meine das zunächst ohne Wertung: Dass es vor 40 Jahren undenkbar war, sich von einem Vorgesetzten mit „Tschüs“ zu verabschieden, dass ich noch vor wenigen Jahren auf die Begrüßung „Hallo“ allergisch reagierte – und jetzt sage ich selbst „Hallo“ und „Tschüs“ schon seit Ewigkeiten.

Ich bin eine Zeitzeugin, wie aus „trotzdem“ und „nichtsdestoweniger“ ein „nichtsdestotrotz“ wurde, ich glaube, es war zunächst als witzige Wortspielerei gemeint. Damals schäumte meine Deutschlehrerin, als sie berichtete, im Radio (man bedenke!) hätte das jemand gesagt. Heute hört man „nichtsdestotrotz“ in professoralen Vorträgen und es steht im Duden (immerhin mit der Einschränkung „umgangssprachlich“). Ich zucke immer noch ein wenig zusammen.

An die Entgegnung „Gerne“ , die einem „Dankeschön“ folgt, habe ich mich gewöhnt, nachdem ich mir klar gemacht habe, dass das auch nicht weniger logisch ist als das mir vertraute „Bitte“.

Früher war es selbstverständlich, Briefe mit der Floskel „Mit vorzüglicher Hochachtung“ zu unterzeichnen. Tatsächlich mache ich das auch heute noch, aber ganz, ganz selten, nämlich dann, wenn ich was ganz anderes ausdrücken will. Mein Sohn meinte zwar, dass diese Botschaft wohl gar nicht ankäme. Sei’s drum.

Damit bin ich bei meinem heutigen Thema angekommen: Die Regression der Sprache auf das Niveau des Kläffens. Nicht sehr originell, ich weiß, man liest davon allenthalben. Aber ein Aspekt scheint mir bei der Klage über das Fallen der Hemmungen zu kurz zu kommen:

Das Vorbild, das die Eliten geben.

Es ist eher harmlos wenn der italienische Innenminister Salvini über die Kapitänin Rackete twittert: „Ich habe keine Angst vor der Mafia, also stellt Euch eine reiche, deutsche und verwöhnte Kommunistin vor… Küsschen.“ Er hat weitaus weniger Harmloses getwittert. Aber er ist Innenminister. Ein Küsschen verteilender Innenminister. Cool? Nein! Vielmehr wird aus einem Diskurs, der es durchaus verdiente, ernsthaft geführt zu werden eine argumentsfreie Pöbelei. Dieser Stil mag zu einer Horde knapp erwachsener Kerle auf dem Bahnhofsvorplatz passen. Wir wissen wie das dort weitergeht: Der nächste fühlt sich berufen, etwas abzusondern, was das Vorausgegangene noch toppt. Und der Außenminister und gewisse Präsidenten und viele andere sagen: „Hey Kumpel, wir sind welche von euch!“

„Dem Volk aufs Maul schauen“, ich nehme an, Luther meinte damit was ziemlich anderes als sich mit diesem Volk gemein machen. Für (wenigstens ziemlich) jedermann verständlich zu sprechen, ist im Politiker-Phrasendresch-Sprech in der Tat eine Ausnahme. Aber Nieveaulosigkeit bedeutet keinen Zuwachs an Verständlichkeit. Verstanden wird vielmehr durch diese sprachliche Anpassung der Eliten, wer hier das Sagen hat. Die Rechnung: „wenn wir uns denen anpassen, werden sie uns folgen“ ist bar jeder Logik.

Kann natürlich auch sein, dass mein Glaube an „Eliten“ grenzenlos naiv ist und ich lediglich nicht bemerkt habe, dass regelhaft Außenminister und Präsidenten direkt vom Bahnhofsvorplatz in ihren Amtssitz gelangen.          

Mag sein, dass es eine altmodische (und oft missbrauchte!) Formel ist „das gehört sich nicht!“. Aber es ist eine wahre Formel und es ist eine Schranke, die den zivilisierten Umgang miteinander vor dem Absturz in ein Cath-as-catch can sichert.

Wenn dieses Wissen verloren geht, was sich gehört und was nicht… oder im heutigen Sprachgebrauch ausgedrückt: wenn es kein „No go“ mehr gibt, dann werden Verletzungen, Demütigungen, Niederträchtigkeite„normal“, es zählt nur der Effekt, der Like-Daumen, die Zahl der Follower.

Wenn ein Innenminister signalisiert: das ist schick, das ist witzig, so schreibt man heute – wenn ihm anscheinend die Fähigkeit fehlt, mit dem Florett zu kämpfen, zu argumentieren – ja bitteschön: wie und wieso sollen dann Fritz und Franz und Marie und Julia anders „kommunizieren“????

Vielleicht, so kommt mir gerade, muss ich mein Eliteverständnis neu definieren: Vielleicht liegt der Unterschied zwischen Elite und Nicht-Elite schlicht darin, dass die einen wissen, was sich gehört und sich dran halten und die andern nicht.    

Gut, es gibt noch andere Innenminister als den italienischen. Zum Beispiel den deutschen.

Horst Seehofer fand heute klare Worte: „Wir können es nicht verantworten, dass Schiffe mit geretteten Menschen an Bord wochenlang im Mittelmeer treiben, weil sie keinen Hafen finden“, schrieb Seehofer an Salvini. „Ich appelliere daher eindringlich an Sie, dass Sie Ihre Haltung, die italienischen Häfen nicht öffnen zu wollen, überdenken“….Wegen der gemeinsamen europäischen Verantwortung „und unseren gemeinsamen christlichen Werten“ dürfe es im Einzelfall keinen Unterschied machen, durch welche Organisation Migranten aus dem Mittelmeer gerettet wurden, woher die Besatzung stammt und unter welcher Flagge das Schiff fährt.“ https://www.spiegel.de/politik/deutschland/horst-seehofer-in-brief-an-matteo-salvini-oeffnen-sie-die-haefen-a-1276131.html

Das könnte vielleicht ein Anfang sein… mindestens bei Seehofer. Denn vor exakt einem Jahr tönte er anders. Zu seinem neunundsechzigsten Geburtstagtwitterte er nicht, sondern verlautbarte auf einer Pressekonferenz am 10.7.2018 “ Innenminister Seehofer freut sich in der Pressekonferenz zu seinem „Masterplan“, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Flüchtlinge abgeschoben. Wörtlich sagte er: ‚Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.‘ https://www.spiegel.de/politik/deutschland/seehofer-69-abschiebungen-zum-69-geburtstag-a-1217747.html   

Einer der  Abgeschobenen brachte sich nach seiner Rückkehr um.

 

 

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