„Das Trauerspiel von Afghanistan“

 Nein, es geht nicht um Afghanistan heute. Das Gedicht mit diesem Titel stammt von Theodor Fontane (1819 -1898) und beschreibt die Niederlage der Briten im ersten anglo-afghanischen Krieg 1842.

Theodor Fontane: Das Traerspiel von Afghanistan

Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
„Wer da!“ – „Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan.“

Afghanistan! Er sprach es so matt;
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.

Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

„Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Kabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.“

Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all‘,
Sir Robert sprach: „Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.

Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So lasst sie’s hören, dass wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,
Trompeter blast in die Nacht hinaus!“

Da huben sie an und sie wurden’s nicht müd‘,
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen – es kam die zweite Nacht,
Umsonst, dass ihr ruft, umsonst, dass ihr wacht.

„Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.“ 

1842 !! vor bald 180 Jahren. Zwei weitere anglo-afghanische Kriege folgten. Und war seither jemals Frieden in diesem Land?

Auf dem Schachbrett der Weltpolitik

2000 (das ist jetzt auch schon wieder zwanzig Jahre her!) schrieb Hans Werner Mohm  unter dem Titel „Auf dem Schachbrett der Weltpolitik“, was Fontane zu dieser Ballade bewegt hat.
Und Hans Werner Mohm zog das Fazit:

„Es war die erste große Niederlage und damit Demütigung der britischen Weltmacht in ihrer Kolonialgeschichte. Das Desaster schlug in Kalkutta, dem Sitz der East India Compagny und in London wie eine Bombe ein… Unfähigkeit und Unkenntnis der Entscheidungsträger, sowohl militärisch, politisch und diplomatisch, koloniale Überheblichkeit und Arroganz führten letztlich in diese Tragödie. Dazu der naive Glaube, ungeschoren aus Afghanistan herauszukommen. Das ‚Great Game‘ wird heute fortgesetzt, ein Spiel ums große Geld mit ganzen Völkern. Heute nennen sie sich ‚Global Players‘. In Afghanistan ist Bürgerkrieg, von außen unterstützt, finanziert und gesteuert… Fontanes Ballade wird wohl weiter aktuell bleiben.

Wie recht er doch hatte!

Wir haben immer noch den „Dreißigjährigen Krieg“ von 1618 bis 1648 im Bewusstsein als einer Katastrophe von dreißig Jahren für die Menschen. Was für eine Katastrophe muss diese friedlose Ewigkeit für die Menschen in Afghanistan bedeuten. Krieg als Normalzustand! Können wir das überhaupt erahnen, was das mit Kindern, Frauen, Männern macht?   
Heute lese ich: Kundus von den Taliban erobert. Kundus… das ist da, wo bis vor Kurzem „die Deutschen“ waren, die die (unsere?) „Freiheit am Hindukusch“ verteidigen wollten oder sollten…


Und im Spiegel heute (8.8.21) lese ich:

Kabul Diary – Die Schule ist für Mädchen ein lebensgefährlicher Ort

Die ehemalige (erste weibliche) Gesundheitsministerin von Afghanistan schreibt über einen gezielten Anschlag auf eine Schule (keineswegs der einzige) :
Hier soll klargemacht werden: Frauen gehören nicht an eine Schule. Hier soll erreicht werden, dass Eltern ihre Kinder in Zukunft nicht mehr zur Schule schicken. Dass sie die Schule als einen gefährlichen Ort ansehen. Einen Ort, an dem ihre Töchter in Todesgefahr sind.“  

Es ist den LeserInnen dieses Blogs nicht verborgen geblieben, wie kritisch ich zu vielen Coronamaßnahmen stehe, unter anderem zu den Schulschließungen, die in meinen Augen verheerende Folgen gerade für „die Schwächeren“ haben. Aber ich weiß, dass ich relativieren muss: Gegenüber diesen Zuständen in Afghanistan sind unsere Nöte, die Nöte der Kinder und Eltern gewiss nicht zu vernachlässigen – aber das sind in Afghanistan andere Dimensionen.

Für den Fall, dass jemand sich mehr informieren – und womöglich auch was spenden will:

https://www.afghanischer-frauenverein.de/

 

 

2 Comments

  1. Christoph Peter-Orth
    22. August 2021

    Moin,
    sehr guter Beitrag. [weit besser als https://schmid.welt.de/2014/12/27/das-trauerspiel-von-afghanistan/, der verschweigt, woher er sein Wissen bezog.]
    Nur der Link auf Hans Werner Mohm (in Fuldaer Zeitung, 18.03. 2000) funktioniert nicht. Er schrieb den Artikel 2000 und nicht 2020.
    aktuell funktionierender Link:
    https://islamicrevolutionservice.wordpress.com/2010/05/16/auf-dem-schachbrett-der-weltpolitik/
    Zudem ist die Differenz 2021-1842=179; es müßte „1842 !! vor bald 180 Jahren.“ lauten.
    Herzliche Grüße
    Christoph Peter-Orth

    Antworten
    1. Ursula
      22. August 2021

      Danke, ich kümmere mich um die Fehler. Nicht sofort aber gleich!

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Nach oben scrollen