1.Wann beginnt Quarantäne und andere Verständnisfragen
Es häuft sich. Da gibt es Vorschriften, bei denen man nicht weiß, ist die Unfähigkeit oder die Gedankenlosigkeit größer. In Summe handelt es sich Unverschämtheiten uns BürgerInnen gegenüber. Wenn zum Beispiel ein Schüler an einem Freitag positiv auf Corona getestet wird, müssen die Sitznachbarn umgehend in Quarantäne. Das Gesundheitsamt setzt den Beginn der Quarantäne aber erst auf den darauffolgenden Montag fest. So ist das mindestens in NRW. Was das für Eltern bedeutet, interessiert nicht.
In dem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 27.11.2021 „Wegen Verwirrung geschlossen“ (leider kostenpflichtig) über Amtsdeutsch im Allgemeinen und bei Corona im Besonderen lese ich:
„Das Institut für Kommunikationswissenschaft an der Uni Hohenheim untersuchte 1362 Pressemitteilungen der Bundesregierung und Bundesministerien zum Thema Corona. Niederschmetterndes aber nicht überraschendes Ergebnis. „Die meisten Mitteilungen waren schwer bis gar nicht zu verstehen – nicht zuletzt wegen Begriffen wie ‚Corona Matching Fazilitiät‘ oder ‚Medizinprodukte-Durchführungsgesetz‘ […] Welche Konsequenzen es haben kann, wenn Inhalte behördlicher Schreiben sich nicht gleich erschließen, zeigt eine Quarantäne-Anordnung von August 2020: Die Formulierung ‚häusliche Absonderung Ihres Kindes‘ vermittelte bei Eltern fälschlicherweise den Eindruck, man wolle ihnen ihre kranken Kinder entziehen.‘“
2. Von heute auf morgen Vorschrift: Testpflicht in Praxen – oder doch lieber nicht?
Am 23.11.21 um 18.31 Uhr erhielt ich folgende Mail von einer Mailingliste:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade bin ich hier drüber gestolpert – vielleicht wissen Sie das ja auch noch nicht, ich wurde gerade doch sehr überrascht davon:
Neues Infektionsschutzgesetz schreibt tagesaktuellen Testnachweis für Praxispersonal vor
23.11.2021 – In Praxen und anderen Gesundheitseinrichtungen müssen Arbeitgeber, Beschäftigte und Besucher ab Mittwoch einen tagesaktuellen Antigentest vorlegen – unabhängig davon, ob sie geimpft oder genesen sind. Dies schreibt das geänderte Infektionsschutzgesetz vor, das heute veröffentlicht wurde. Patienten sind davon ausgenommen.
Nach dem Infektionsschutzgesetz (Paragraf 28b Absatz 2) kann der tägliche Antigentest eigenständig ohne Überwachung erfolgen. Alternativ sind zwei PCR-Tests pro Woche möglich.
…] Hinweis zur Dokumentation und Meldepflicht
Die Arbeitgeber müssen die Testergebnisse dokumentieren und alle zwei Wochen an die zuständige Behörde melden (Paragraf 28b Absatz 3 Infektionsschutzgesetz). Details hierzu legt der jeweilige Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) fest […]'“
Ich war keineswegs die einzige, die genauso überrascht war und in der Mailingliste begann eine muntere Diskussion: Wie ist das mit Einzelpraxen? Wo bekomme ich Tests her, wer bezahlt? Wo schicke ich wie die Ergebnisse hin? Ein berufspolitischer Funktionär antwortete:
„Das ist alles noch nicht geklärt. Aktuell sind sich die Juristen noch nicht wirklich einig, wo die Praxisinhaber bei Einzelpraxen einzuordnen sind. Was wir wissen: Getestet werden muss, sobald eine zusätzliche Arbeitskraft (angestellt, honorarbasis, minijob) in der Praxis tätig wird. Die Putzfrau also auch. Die Tests müssen selbst dokumentiert werden. Analog den Selbsterklärungen, wie sie an Schulen üblich sind. Alle 14 Tage sollen die Dokumentationen an die Behörden geschickt werden. Was noch nicht geklärt ist: Gilt Testpflicht auch, wenn ich allein in der Praxis bin? Wohin schicke ich die Dokumente? Wie und ob überhaupt Kosten über die […] schon bestehende Regelung hinaus übernommen werden? Hier müssen wir warten, bis die Landesbehörden sich äußern.
Jemand fragte: „Was heißt täglich? Auch am Wochenende oder nur an Tagen mit Patientenkontakt […] Kurz gesagt, die Kommunikationsfähigkeit ist miserabel.“
Eine andere „ich muss jetzt erstmal meinem Ärger Luft machen: Das darf doch alles nicht mehr wahr sein! So eine Bestimmung rauszuhauen ohne Vorlaufzeit, dann mit vollkommen unklaren Inhalten… Es gibt keine Schnelltests mehr und wenn, dann zu horrenden Preisen. Und dann schickt man die Testaufstellungen, wenn man die Tests dann überhaupt machen kann, an die Gesundheitsämter? Per Fax…? Ich lach mich echt tot.“
Wieder jemand anders war beruhigt: Was für ein Glück, dass ich noch ein Faxgerät habe! Ja Leute, bloß nix wegwerfen! Eine andere schlug vor, die Testergebnisse in Acryl zu gießen und dem Gesundheitsamt zukommen zu lassen.
Die Stimmung ließ sich zusammenfassen irgendwie zwischen: „Geht’s noch?“ und „Ihr mich auch!“
Wie gesagt, das war am 23.11.21 abends. Sechs Stunden vor dem Inkrafttreten der neuen Bestimmung.
Haltbarkeitsdauer der Vorschrift: unter 15 Stunden
Und was passierte dann an dem denkwürdigen Mittwoch, dem 24.11.2021? Ich erhalte um 15.10 Uhr per Mail eine „Schnellinfo des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg“:
„Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, seit heute gilt das neue Infektionsschutzgesetz, das eine erweiterte 3G-Regelung für Arzt- und Psychotherapeutenpraxen und deren Beschäftigte vorsieht. Wir dürfen Ihnen mitteilen dass das Ministerium diese Regelungen vorerst in Baden-Württemberg ausgesetzt hat….“
Betonung liegt wohl auf „vorerst“.
Stimme des (Ärzte-) Volkes:
Die Reaktion bei den Betroffenen war weniger Erleichterung sondern Wut und Verachtung.
Ich lese in einem Ärzteforum:
„… wäre mal eine Stellungnahme von unserer Regierung für Neuanfang, was denn mit diesem Gesetzesschrott eigentlich gemeint war? Jeder scheint hier ja jetzt seinen eigenen Phantasien freien Lauf zu lassen.“
„WIR (d.h. meine Wenigkeit) BRAUCHEN KEINE GESUNDHEITSMINISTERKONFERENZ MEHR auch kein KLATSCHEN mehr. WIR HABEN VERSTANDEN: JEDER TAG IN DIESEM KATASTROPHEN-TOHUWABOHU IST OBSOLET! WIR HABEN OVER UND SCHLIESSEN DIE PRAXISTÜR SOFORT ZU… ZUKUNFT IN DIESEM CHAOSLAND: jeder hat immer CORONA ausser an einem Tag an dem er GEIMPFT UND GETESTET UND GENESEN IST! AVANTI DILLETTANTI: HOFFENTLICH TESTET IHR EUCH ZU TODE! FÜR POLITIKER: VOR JEDER SITZUNG STÄBCHEN IN DIE NASE UND IN DEN HINTERN!
Den letzten Vorschlag griff ein Kollege auf:
Erst in den Hintern, dann die Nase. Wer nichts riecht, ist positiv.
3. Es geht grad weiter: Impfstoffkürzungen
Der Ärztenachrichtendienst berichtet am 26.11.2021.
Hinweis der KBV: Ärzte müssen sich weiter auf Impfstoff-Kürzungen einstellen
„Vertragsärzte werden in der kommenden Woche wohl weniger Dosen des Corona-Impfstoffes von Biontech/Pfizer bekommen, als sie bestellt haben. Und auch beim Moderna-Impfstoff kann es regional Kürzungen geben. Darauf weist die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hin.“
Etwa die Hälfte der bestellten Dosen von Comirnaty [Biontech] könne durch den Bund aber nicht bedient werden, sodass viele Praxen weniger Impfstoff erhalten würden als bestellt, hieß es. Insgesamt würden rund zwei Millionen Dosen fehlen.
Kommentare zu diesem Artikel:
„Nachdem dann die Bevölkerung durch Panikmache der Medien und den dringenden Aufruf der Politik und der Kommunen die Praxen mit einem regelrechten Telefon-Impf-Terror überzogen haben, wurde bei vielen Ärzten eine umfangreiche Terminierung für Booster- Impfungen vorgenommen, meist im Versprechen, dass der bekannte und in der Bevölkerung akzeptierte Impfstoff Biontech verimpft werde.
Genau danach wird Biontech-Impfstoff ohne Vorwarnung vom GröGaZ kontingentiert, sodass die terminierten Boosterungen unmöglich alle mit Biontech durchgeführt werden können, der (unvergütete) Beratungsaufwand und die Wut der Patienten, Moderna zu erhalten, bleibt in den Arztpraxen […] Liebe Medizinstudenten, selbst wenn man es gewollt hätte, besser könnte man es nicht planen, die Mitglieder eines ganzen Berufstandes zu den Deppen der Nation und zum Sündenbock für das Versagen von Politik, Körperschaften und der Führung des Hausärzteverbandes zu machen.“
„Wir haben bis Ende des Jahres knapp 700 Impftermine vergeben und haben uns auf die Lieferungen verlassen – bekommen wir keinen Impfstoff, schließe ich die Praxistür von außen ab, schmeiße den Schlüssel weg und dann war es das mit den Impfungen!“
„Wie infam ist es vor diesem Hintergrund, den Praxen permanent den Vorwurf der Impfverlangsamung zu unterstellen, um offenbar bestimmten Lobbygruppen den Einstieg in ärztliche Tätitgkeiten ohne entsprechende Qualifikation unter dem Deckmantel eines herbeigeredeten Verimpfungsnotstandes zuzuschustern. Wir beobachten in Zeitraffer den völligen Kollaps der politischen Organisationskompetenz und die nassforsch vorgebrachten Beschwichtigungen sind von einer bemerkenswert limitierten Halbwertszeit.“
4. Medizinische Fachangestellte: Einfach unglaublich, mit welcher Arroganz uns die Politik behandelt
Am 28.11.21 berichtet eine Medizinische Fachangestellte:
„Heute war ein guter Tag, denn heute hat mich in der Praxis kein Patient angepöbelt oder beleidigt. Ansonsten sind Beschwerden eigentlich an der Tagesordnung. Im Moment dürfen wir uns oft so Sprüche anhören wie: „Also wenn Sie mir aber erst im Januar einen Termin für eine Booster-Impfung geben können, dann sind Sie schuld, wenn ich bis dahin auf der Intensivstation lande.“ So mancher Patient wirft uns dann noch vor, dass wir schlecht organisiert wären, keine Lust hätten zu arbeiten, lieber Kuchen essen und uns die Nägel lackieren würden. Alles schon gehört. Das ist total deprimierend. Denn wir rackern uns hier echt ab und sind alle am Limit.
[…] Was uns die Arbeit zusätzlich erschwert, sind diese kurzfristigen und teils völlig sinnlosen Vorgaben seitens der Politik. Zum Beispiel die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, den Corona-Impfstoff von Biontech zu rationieren. Was soll das? Es wird bundesweit dazu aufgerufen, sich impfen zu lassen und die Arztpraxen tun und machen, damit sie die Impfkampagne voranbringen. In unserer Praxis haben wir zum Beispiel den Impfplan um 42 Termine auf 102 Impfungen pro Woche erweitert, damit unsere Patienten nicht allzu lange warten müssen – und nun müssen wir alles wieder umschmeißen, weil es weniger Dosen des Biontech-Impfstoffes pro Woche für die Arztpraxen gibt. Und so eine Nachricht auf einem Freitagnachmittag. Das macht mich sprachlos. Die Politik fährt den Karren regelmäßig in den Dreck und wir müssen ihn wieder rausziehen, weil wir keine andere Wahl haben.
[…] Es gab schon Momente, da habe ich darüber nachgedacht, mich im Internet nach alternativen Arbeitsstellen umzusehen. Aber eigentlich will ich gar nicht weg hier aus der Praxis.
[…] Abschalten oder entspannen kann ich gar nicht mehr, auch am Wochenende nicht. […] Hinzu kommen körperliche Beschwerden wie Magenschmerzen, Kopfschmerzen und Schweißausbrüche – das ist mittlerweile Standard. Die Hoffnung, dass die MFA auch endlich mal einen Corona-Bonus bekommen, hatte ich bereits aufgegeben. Es wurden zu dem Thema schon Petitionen eingereicht, Offene Briefe geschrieben, Unterschriften gesammelt und wir haben sogar in Berlin vorm Bundesgesundheitsministerium protestiert. Alles hat nichts genützt. Es folgte darauf überhaupt keine Reaktion. Es ist einfach unglaublich, mit welcher Ignoranz uns die Politik behandelt. Als gäbe es uns überhaupt nicht.[…]“
5. Jagoda Marinic: „Von allen gut Regierenden verlassen“
Jagoda Marinic schrieb in der SZ vom 26.11.2021 in ihrer kostenpflilchtigen Kolumne „Viele Demokratien nahmen sich das Grundgesetz zum Vorbild – weil es die Grundrechte der Bürger über den Staat stellt. Das hat der in der Pandemie vergessen.“
Naja, ehrlich gesagt, das hat nicht nur „der Staat“ vergessen, sondern sehr viele BürgerInnen nicht minder, die sich als Paradebeispiele für Horkheimers „autoritären Charakter“ eigneten. Gerade auch in meiner Profession.
„Wer das Thema Grundrechte anspricht, wenn es um Corona-Maßnahmen geht, wird oft als Corona-Verharmloser dargestellt, als würden nicht so einige Regierungen anderer Länder zeigen, dass man gleichzeitig Schutzmaßnahmen einführen und Grundrechte einhalten kann.“
Sie führt das am Beispiel Spanien näher aus, wo zum Beispiel Kellner nicht „Zertifikat-Kontrolleur spielen müssen […] Es erfordert eine langfristige Strategie, vertrauensvolle Kommunikation zwischen Regierenden und der Bevölkerung […] Die Bundesregierung und die Länderchefs haben dieses Vertrauen der Bevölkerung nun verspielt […] Die Forderungen nach einer Inpfplficht sollen nur die eigene Planlosigkeit kaschieren. Die Bürgerinnen und Bürger werden als Impfgegner und Impfwillige gegeneinander ausgespielt… Wenn etwa die Herren Ministerpräsidenten Kretschmann und Söder behaupten ‚Die Impfpflicht schützt die Freiheit‘ so sollte man ihnen entgegnen: ‚Nein, das Grundgesetz schützt die Freiheit.‘ […] Erfolgreiche Regierungen machen ihre Verwaltungen durch klare Handlungsvorschriften effizienter. Die Zwischenbilanz des Pandemiemanagements dieser Regierung ist ein anhaltender, massiver Eingriff in Grundrechte, ohne Belege für die Wirksamkeit des eigenen Handelns vorlegen zu können.“
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.