https://www.publik-forum.de/Publik-Forum-17-2017/liebe-verrat-und-moral
Liebe, Verrat und Moral
Ursula Neumann
Der Kirchenrechtsprofessor nimmt Vernunft an, wird mit mir glücklich und stirbt
Books on Demand. 402 Seiten. 17,80 ?
Tübingen in den 1970er-Jahren: Der renommierte katholische Kirchenrechtsprofessor und Priester Johannes Neumann – ein Berater von Hans Küng – lehrt, was er zunehmend nicht mehr glaubt. Er lebt mit einer Frau zusammen, dann verliebt er sich in seine Mitarbeiterin (die Autorin des Buches). Es kommt zu einem Dreiecksverhältnis, das sich bald nicht mehr verheimlichen lässt. Die Betrogene schwärzt den Professor an: beimBischof, im Ministerium, in der Fakultät. Sie verhindert seinen Ruf nach München. Neumann zieht nach langen inneren Kämpfen zur Geliebten. Seine »Ex« bringt sich um. Der Kirchenrechtler gibt seine »Missio« zurück, wenig später folgt der Kirchenaustritt des Paares. Die Tübinger Fakultät ist in Aufruhr.
Ursula Neumann, heute als Psychoanalytikerin tätig, Mitglied in der Humanistischen Union, kommentiert die Tagebuchaufzeichnungen ihres Mannes und unzählige Liebesbriefe aus jener Zeit. Die Texte dokumentieren Liebe und Verrat, Zölibat und Doppelmoral, Karrierewunsch und Glaubensverlust. 2013 starb Johannes Neumann nach schwerer Krankheit. Das Buch ist Trauerverarbeitung und Anklage zugleich. Es enthält berührende, aber auch befremdliche Passagen, zurück bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Die seelischen Belastungen des Verstorbenen und seine innere Ambivalenz werden posthum durch seine Geliebte öffentlich gemacht. Auch andere Zeitgenossen werden nicht geschont. Vor Augen tritt eine Zeit, in der sich der Geist von 1968, die katholische Moral, das universitäre Milieu und menschliche Einzelschicksale in vitaler, aber auch tragischer Weise ineinander verhaken.
Hartmut Meesmann
https://www.giordano-bruno-stiftung.de/inhalt/gbs-newsletter-vom-12-06-2017
Rezension im Newsletter der Giordano-Bruno-Stiftung
Ursula Neumann: Der Kirchenrechtsprofessor nimmt Vernunft an, wird mit mir glücklich und stirbt. BoD 2017.
An der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen lehrten vor einigen Jahrzehnten vier bekannte Theologieprofessoren, die unterschiedlicher kaum hätten sein können und später auch höchst unterschiedliche „Karrieren“ einschlugen: Joseph Ratzinger wurde Papst, Walter Kaspar Kardinal, Hans Küng innerkirchlicher Ketzer – und Johannes Neumann wechselte ins „feindliche Lager“: Der ehemalige Fakultätsrektor verließ die Kirche, heiratete und wurde Beirat des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) sowie (später) der Giordano-Bruno-Stiftung. Vor allem von jener dramatischen Zeit, in der Johannes Neumann nicht nur mit dem Beruf des Theologen, sondern auch mit dem priesterlichen Zölibat haderte, handelt das Buch, das seine Witwe, die Psychoanalytikerin Ursula Neumann, nun veröffentlicht hat. Doch, Achtung: Es handelt sich hierbei keineswegs um eine Hagiografie, also um eine salbungsvolle, erbauliche Lebensgeschichte, sondern um ein schonungslos ehrliches Buch, das so wohl nur aus der Feder einer erfahrenen Therapeutin stammen kann. Die radikale Offenheit, in der Ursula Neumann über die Anfänge der Beziehung zu ihrem 2014 verstorbenen Mann, über Seitensprünge und Eifersucht, über Intrigen und Verrat schreibt, mag zartbesaitete oder an Individualpsychologie uninteressierte Leser vielleicht verstören, bietet aber einen tiefen (wenn auch subjektiv gefärbten) Einblick in die Psyche der beiden Hauptpersonen sowie in das geistige (und amouröse) Klima, das in den 1970er Jahren an der damals wohl interessantesten Theologischen Fakultät des Landes herrschte.
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