Long Covid bei Kindern und Jugendlichen?
Der Ärztenachrichtendienst meldet am 4.10. : „Niedersächsische Studie zu Long-Covid bei Kindern geplant“. Dazu heißt es: „In Niedersachsen soll in einer interdisziplinären Studie das neue Krankheitsbild Long-Covid bei Kindern und Jugendlichen untersucht werden. In der Regel hätten coronainfizierte Kinder zwar relativ harmlose Verläufe, sagte der Kinderarzt Thomas Buck am Montag in Hannover. Studien zufolge müssten allerdings zwei bis vier Prozent der jungen Covid-Patienten mit Langzeitfolgen rechnen.
… Von Long-Covid spricht man, wenn nach einer überstandenen Coronainfektion Symptome länger als vier Wochen bestehen oder neue hinzukommen. Das postvirale Fatigue-Syndrom – eine lähmende Müdigkeit und fehlende Belastbarkeit – gehört zu den häufigsten Folgen. Es gibt Dutzende Langzeit-Beschwerden, die etwa Atmung, Psyche, Konzentrationsfähigkeit oder Gedächtnis betreffen.“
So weit, so gut, da kann ja niemand was dagegen haben. Oder doch? Ich gestehe, dass ich ein bisschen skeptisch bin, ob hier Symptome als Folge einer Corona-Erkrankung definiert werden, die sich zwanglos auch als Folge der Corona-Maßnahmen erklären ließen. Von denen sind keineswegs nur die Kinder und Jugendlichen betroffen, die Corona hatten. Ich fürchte – einmal mehr – dass die Aufmerksamkeit auf einen Wirklichkeitsausschnitt gelenkt wird mit der Konsequenz, dass größere Teile der Wirklichkeit „unterbelichtet“ werden. Kurz gesagt: ich schließe nicht aus, dass es sich um eine Alibi-Veranstaltung handelt.
Ich fürchte auch, dass das durchaus im Sinne von einschlägigen Kliniken sein könnte: Mit Long-Covid lässt sich aktuell gutes Geld verdienen: Alle paar Tage trudeln bei mir Prospekte von Kliniken ins Haus mit speziellen Angeboten für Menschen, die an Long-Covid leiden oder ihre Symptome in diese Richtung interpretieren. Manchmal scheint mir das Kausalitätsmuster schon merkwürdig einfach gestrickt: Da hat jemand Monate nach einer überstandenen Covid-Erkrankung eine depressive Symptomatik. Na klar, das kommt von Corona!
Unicef: Corona beeinträchtigt die Psyche von jungen Menschen
Meine Skepsis (ich sage: Skepsis – nicht Ablehnung!) wurde zeitnah unterfüttert: Ein Tag später berichtet derselbe Ärzte-Nachrichtendienst von einer Unicef-Studie unter der Überschrift „Corona beeinträchtigt die Psyche von jungen Menschen“
„Die Corona-Pandemie hat dem UN-Kinderhilfswerk Unicef zufolge auch die psychische Gesundheit von jungen Menschen beeinträchtigt. Eine Umfrage in 21 Ländern ergab demnach, dass sich jeder fünfte Mensch im Alter zwischen 15 und 24 Jahren ‚häufig depressiv fühlt oder wenig Interesse daran hat, Dinge zu tun‘. Das geht aus einem am Dienstag veröffentlichten Unicef-Bericht hervor, für den Kinder und junge Erwachsene in 21 Ländern befragt wurden. Unicef sieht einen Zusammenhang mit der Pandemie:
Nach den neuesten verfügbaren Daten von Unicef ist weltweit mindestens eines von sieben Kindern direkt von Lockdowns betroffen, während mehr als 1,6 Milliarden Kinder einen gewissen Bildungsverlust erlitten haben. Die Unterbrechung von Routinen, Bildung und Erholung sowie Sorge um das Familieneinkommen und die Gesundheit hinterlasse bei vielen jungen Menschen Angst, Wut und Sorge um ihre Zukunft.’“
In Deutschland: Psychiater warnt vor Coronafolgen für Kinder und Jugendliche – Suizidale Krisen, wie aus dem Nichts
Aber wir können hier im Lande bleiben.
Am 4.10.21 (also an dem Tag, an dem die Meldung über die Long-Covid-Untersuchung herauskam) brachte der Spiegel ein ausführliches, sehr lesenswertes Interview: „Psychiater warnt vor Coronafolgen für Kinder und Jugendliche – Suizidale Krisen, wie aus dem Nichts“. Natürlich mal wieder hinter der Bezahlschranke…
„SPIEGEL: Herr Dierssen, haben Depression und Suizidgedanken bei ihren jungen Patientinnen und Patienten während der Coronakrise zugenommen?
Oliver Dierssen: Ganz deutlich: Ja. Und zwar in einer Weise, die wir als erfahrenes Praxisteam weder vorhersehen noch gut bewältigen konnten. Selbst Patientinnen und Patienten, die wir auf dem Weg der Besserung sahen, haben sich teilweise sehr schnell und sehr dramatisch verschlechtert. Wir mussten unsere gesamte Arbeitsweise umstellen, um die vielen Notfälle versorgen zu können. Mit den Kliniken haben wir noch enger zusammengearbeitet als sonst. Doch dort Patienten unterzubringen, war schwer. Die meisten Plätze waren belegt. … Das begann im Herbst 2020. Seitdem hält es an. Deswegen glaube ich, dass man zu kurz greift, wenn man sagt: ‚Der Lockdown ist beendet, Schulen und Vereine öffnen wieder, da wird es den Jugendlichen sicherlich bald wieder gut gehen.‘ Eine solche fundamentale Erfahrung von Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein und Isolation lässt sich nicht ungeschehen machen. Es ist nicht so, dass unsere Seele von jetzt auf gleich sagt ‚Okay, Haken dahinter, jetzt kommt was Neues.‘ Das sind lebensprägende Erfahrungen. … Wir Erwachsenen müssen sehen, dass wir jahrzehntelang Zeit hatten, uns ein eigenes Weltbild aufzubauen und positive Erinnerungen zu gewinnen. Die Jugendlichen hatten das nicht. Sie verfügen über viel weniger gute Erfahrungen und Erinnerungen, aus denen sie Kraft schöpfen können. Und insofern sehen wir weiterhin eine ungewöhnlich hohe Zahl an jungen Patienten, die mit schweren depressiven und suizidalen Symptomen zu kämpfen haben.“
(Ergänzend die Studie der DAK, die bestätigt, was in dem Interview geäußert wurde: Kinder und Jugendliche leiden unter den Folgen der Corona-Maßnahmen)
… es gibt immer Leute, denen die ganze Richtung nicht passt. Eine Fußnote
Natürlich habe ich mir wieder die Forumsbeiträge zu diesem Interview angeschaut. Und siehe da, mehreren passte die ganze Richtung nicht. Einer schrieb vorwurfsvoll:
„Warum wurde nicht ein anderer interviewt, der andere Erfahrungen gemacht hat?“
Da musste ich doch mein Mitgefühl äußern:
„Ja, diese Frage habe ich mir bei unendlich vielen Interviews mit „Experten“ in den vergangenen 18 Monaten gestellt. Von daher kann ich nur zu gut verstehen, dass Sie es „einseitig“ finden, wenn jemand zu Wort kommt, der anders argumentiert als Sie es sich wünschen. Könnten wir uns darauf einigen: „Die Wahrheit“ gibt es nicht… aber wir nähern uns ihr am besten an, wenn viele Meinungen und Erfahrungen zu Wort kommen dürfen (und gedruckt werden!) und die Diskussion von allen Seiten respektvoll geführt wird.“