Ich vergesse keineswegs, welche furchtbaren Auswirkungen Corona in wenig entwickelten Ländern hat, haben wird. Diese werden unsere Sorgen als Luxusprobleme erscheinen lassen. Ich vergesse erst recht nicht, dass die Konzentration der entwickelten Länder auf die Corona Pandemie ganz banal bedeutet, dass weniger Geld für Gesundheitsprogramme in armen Ländern vorhanden ist. (Zum Beispiel: https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/unicef-warnt-vor-corona-folgen-117-millionen-kindern-droht-ansteckung-mit-masern-a-31b61755-8e57-4b87-b16d-39360efc3c30)
An all das denke ich – mit Trauer und dem (teilweise schon umgesetzten) Vorsatz, genau für die zu spenden, die jetzt besonders aus dem Blickfeld geraten.
Aber ich möchte jetzt trotzdem über den Zusammenhang von Corona und Armut in wohlhabenden Ländern schreiben. Oder vielleicht neutraler: Über den Zusammenhang zwischen sozialem Status/ Einkommen einerseits und den Folgen einer Corona-Erkrankung.
Belastbare Untersuchungen dazu wird es sicher erst „nach Corona“ geben können. (Wohingegen ich keinen Grund erkennen kann, wieso mit den Zahlen so gegeizt wird, welche körperlichen Vorerkrankungen die Menschen aufwiesen, die mit oder an Corona gestorben sind. Schon gar kein Verständnis habe ich, dass das Alter der Verstorbenen zwar nicht gerade wie eine Verschlusssache behandelt, aber keineswegs offen kommuniziert wird.)
Aber auch jetzt schon hindert uns nichts, über den Zusammenhang von Armut und Corona nachzudenken. (Gesichert ist unabhängig davon, dass ärmere Menschen auch hierzulande grundsätzlich eine deutlich kürzere Lebenserwartung haben als wohlhabende.)
Die Süddeutsche Zeitung brachte am 9.4.20 unter der Überschrift „Tödliche Ungleichheit“ einige Zahlen zu den Todesfällen in den USA. Die USA haben für solche Überlegungen einen praktischen Vorteil: Schwarze und Weiße sind leicht zu unterscheiden. Und Schwarze und Weiße unterscheiden sich außer bei der Hautfarbe auch in ihrem sozialen Status und ihrem Einkommen. Die sind bei Afroamerikanern deutlich niedriger. Natürlich nicht in jedem einzelnen Fall aber über die Gesamtheit der Bevölkerung ist das eindeutig.
Die Süddeutsche schreibt also: „In Milwaukee… sind nur 26 Prozent der Einwohner der Stadt und ihres Umlands schwarz. Sie machen aber 73 % der Todesopfer aus. In Chicago stellen Afroamerikaner 32 Prozent der Einwohner, aber 67 Prozent der Todesopfer. Im Bundesstaat Michigan trugen sich drei Viertel der Todesfälle in Detroit zu, einer überwiegend schwarzen Stadt. Das Bild wiederholt sich im Bundesstaat Louisiana…: Dort sind 70 Prozent der Toten Schwarze, obwohl ihr Bevölkerungsanteil nur 32 Prozent beträgt.“
Sicher, ein wichtiger Grund liegt in dem Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten: 11.5 Prozent der Afroamerikaner haben überhaupt keine Krankenversicherung. Sie können sie sich nicht leisten. Ein System wie das Unsrige mit Krankenkasse für alle, gilt in den USA nach wie vor als sozialistisch und des Teufels.
Aber das heißt nicht, dass wir in Europa, insbesondere in Deutschland, damit aus dem Schneider wären. Denn es gibt andere plausible Gründe für die höhere Todesrate der Afroamerikaner, die für die ärmeren Menschen hierzulande genauso gelten: Sie können seltener im Homeoffice arbeiten, sondern haben eben Arbeiten, bei denen Social Distancing unmöglich ist. Sie stehen am Band, sitzen an der Kasse, fahren Pakete aus, sind auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen, statt bequem und kontaktfrei im eigenen Auto zu kutschieren. Ärmere Menschen leben auch hierzulande in der Regel in Gegenden mit weniger guter medizinischer Versorgung. Ihre gesundheitlichen Beschwerden werden von Ärztinnen und Ärzten weniger ernst genommen als die von gut Situierten (mal ganz abgesehen davon, dass letztere ganz anders auftreten, um ihre Rechte wissen und mit dem Herrn Doktor gemeinsam im Rotary- oder Golfclub sind…)
Dass daneben noch ein schlechterer Gesundheitszustand wegen ungesunder Ernährung, belastender Wohnverhältnisse eine Rolle spielt, ist plausibel. Aber eben auch, dass es sich bei uns viele Menschen nicht so einfach leisten können, sich rechtzeitig und ausreichend lange krankschreiben zu lassen. Mit 450- Euro- Job oder wenn man schwarz arbeitet (was in den wenigsten Fällen heißt, dass der Arbeitgeber liebend gern Sozialbeiträge zahlen würde, aber der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerin auf Schwarzarbeit insistiert), setzt man etwas andere Prioritäten als ein Beamter oder ein Angestellter mit sicherem Job.
So zieht eins das andere nach sich.
Und dann höre ich in der internationalen Presseschau des Deutschlandfunks vom 15.4.20 einen Kommentar aus „der Presse“ aus Wien. https://www.deutschlandfunk.de/internationale-presseschau.2860.de.html
„Viele scheinen den Ernst der Lage noch nicht ganz begriffen zu haben. Darauf deuten die zahlreichen politischen Vorstöße von diversen Pressure-Groups hin, die die Krise als bequemen Hebel für die Durchsetzung ihrer Forderungen – vom Systemwechsel bis hin zum bedingungslosen Grundeinkommen – verwenden wollen. Dazu auch eine Prognose: Wir werden, wenn das Schlimmste vorbei ist, alle Hände voll zu tun haben, die Wirtschaft auf ganz konventionelle Weise wieder in Schwung und wenigstens einen Teil der vielen Arbeitslosen wieder in Jobs zu bringen. Das wird schwer genug. Man muss natürlich über vieles reden. Aber die Phase der ‚Wiederauferstehung‘ nach dem Corona-Absturz ist der falsche Zeitpunkt dafür.“
Ich habe in meinem langen Leben noch nie erlebt, dass es in dieser Sache „den richtigen Zeitpunkt“ gegeben hätte.