„Wer Gegenmaßnahmen drastische Art ohne Begrenzung verlangt, muss auch sagen, ob er den Krieg will oder nicht!“
Ich kann den Autor dieses Satzes gegen die heute reflexhaften Beschimpfungen als Putin-Versteher oder „Lumpen-Pazifisten“ (Sascha Lobo im „Spiegel“) locker in Schutz nehmen, denn es ist Franz Josef Strauß. Genau! Jenem „Streiter für deutsche Atomwaffen“. Er sagte ihn auf einer Pressekonferenz am 16. August 1961 (also drei Tage nach dem Mauerbau), als es auch nicht wenige Forderungen nach einem ‚harten Zurückschlagen gab.1 Was beweist: auch Leute, denen man nicht so ganz zu Unrecht eine Hau-drauf- Mentalität attestiert, sind gelegentlich zur Besonnenheit fähig. Im Augenblick scheint mir die umgekehrte Variante häufiger zu sein
„In Zeiten der Hysterie“
Ich fand das Zitat, als ich gestern ein bisschen zu der Frage recherchierte: „Wann zuletzt hat man eine derart unverstellt brutale und hohnlachende Verachtung von Intellektuellen erlebt?“, die Hilmar Klute in seinem Artikel vom 2. Mai gestellt hat („Krieg und Debatte: Freunde, nicht diese Töne- Zur Mobilmachung in Deutschland in Zeiten der Hysterie“)
Er schreibt: „In vernunftgeprägten Zeiten hätte man Kritik geübt an dem offenen Brief, der in der Emma erschienen ist. Stattdessen werden seine Schreiber geschmäht und verächtlich gemacht.
Ja, Hilmar Klute hat recht: Deutschland lebt in Zeiten der Hysterie und er hat auch recht, wenn er schreibt:
„Man muss ihren Appell und dessen Begründung nicht gutheißen, jeder kann Argumente dagegen liefern, selbst jemand, der gegen Waffenlieferungen ist, kann dies tun. In vernunftgeprägten Zeiten wäre das auch geschehen. Man hätte Kritik geübt, auch heftig, aber man hätte die Kritisierten, über die im Netz und nicht nur da seit einigen Tagen Jauche ausgegossen wird, leben lassen. Jetzt wird der Begriff „Intellektueller“ so lange gegen das Licht gehalten, bis es wie ein Schmähwort aussieht.“
Wenn die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann twittert : „Ich maße mir weder an, eine ‚Intellektuelle‘ zu sein noch mich in die Arbeit von Künstlern einmischen zu können. Umgekehrt ist es sicher auch sehr hilfreich. Und wer sich durch einen Krieg „belästigt“ fühlt, sollte seinen Wertekompass ganz unkreativ mit dem Hammer geraderücken“, so ist das irgendwo zwischen unsäglich und infam. Aber es hat Tradition. Und die „vernunftgeprägten Zeiten“, auf die Hilmar Klute sich beruft, waren wohl eher große Ausnahme.
„Vernunftgeprägte Zeiten“ – eher die Ausnahme!
In Klutes Artikel taucht ein Foto von der größten Demonstration in Nachkriegsdeutschland auf: „300.000 kamen 1981 zur Friedensdemonstration in Bonn“. Zu diesen sprach Heinrich Böll, Literaturnobelpreisträger. Seine Erfahrungen, wie Presse und Politik mit nichtkonformen Menschen, „Intellektuellen“ und ihren Meinungen umgehen, hat er in „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ eindrücklich dargelegt. Lesen lohnt sich immer noch – oder besser: gerade jetzt wieder. Weil sich Böll nicht total von den Leuten der RAF abgegrenzte, sondern differenziert sprach, galt er mindestens als Terroristenfreund. Morddrohungen, Anpöbeleien und Hausdurchsuchung inklusive.
„Sobald sich ein Schriftsteller dem Thema des Terrorismus literarisch widmete, und dabei nicht nur harte Kritik übte, sondern etwas differenzierter mit dem Thema umging, wurde er zum potentiellen Spielball zwischen konservativer Öffentlichkeit und terroristischem Kalkül. Bei in der Öffentlichkeit stehenden Personen genügte es demnach schon, nach den Ursachen des RAF-Terrors zu fragen, oder Zweifel an bestimmten Sicherheitsmaßnahmen zu äußern, um als verdächtig zu gelten.[1] Böll war diesbezüglich also keine Ausnahme: Auch Schriftsteller wie Erich Fried oder Günter Grass wurden als literarische Wegbereiter des Terrorismus kritisiert.“ So lese ich in einer Hausarbeit von 2008. Im Prinzip also „nichts Neues unter der Sonne“.
Dass die CDU im Kölner Stadtrat sich zunächst quer stellte, als es um Ehrenbürgerwürde für Heinrich Böll ging – sie wollte zwar den Literaten ehren aber nicht den »Beobachter gesellschaftlicher Fehlentwicklungen«, führte schließlich – nachdem Böll gedroht hatte auf die Ehrung zu verzichten – zu einem typisch „Köllschen“ Kompromiss. Immerhin ein bisschen „vernunftgeprägt“.
Schimpfwort „Pazifismus“ – auch nicht sehr originell
Zurück zur Friedensdemonstration am 10.10.1981. Sie richtete sich gegen den NATO Doppelbeschluss, der -etwas vereinfacht – besagte: wenn der Osten nicht abrüstet, rüsten wir mit atombestückten Pershing Raketen auf. Die sollten in Deutschland stationiert werden. Ich erinnere mich noch, wie es bei mir „klick“ gemacht, als ich begriff: diese Raketen – ausgerüstet mit Sprengköpfen der Stärke von bis zu 30 Hiroshima-Bomben hatten eine Reichweite von 700-1400 km. Also selbst, wenn kein atomarer Gegenschlag erfolgte, würde die Wirkung auf Deutschland verheerend sein. Das mag für die Vereinigten Staaten eine sinnvolle Verteidigungsstrategie sein, aber für mich weil ich sie weniger passend. Die 300.000 Leute im Bonner Hofgarten sahen das vermutlich ähnlich. Ein Song von 1983 hieß „Besuchen Sie Europa solange es noch steht!“2
im selben Jahr 1983 sagte Heiner Geißler (unter anderem Bundesminister für Jugend Familie und Gesundheit) im Bundestag: »Der Pazifismus der 30er Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.«
So weit weg davon sind manche Äußerungen von heute nicht.
„Ratten und Schmeißfliegen“- kurze Geschichte woher das kommt und wohin das führt
Auch nicht so weit weg von den „Ratten und Schmeißfliegen“ des Franz Josef Strauß, wie er Schriftsteller titulierte, die nicht so ganz seiner Meinung waren. Das war 1978. Schon vier Jahre zuvor zitierte ihn die „Welt“: „was wir hier in diesem Land brauchen, ist der mutige Bürger, der die roten Ratten dorthin jagt wo sie hingehören…“ 2.
Pikant daran ist – wobei „pikant“ wohl etwas zu verharmlosend ist: „Ratten und Schmeißfliegen“ gehen auf den Nazi-Film „Der ewige Jude“ zurück, zu dem Dr. Eberhard Taubert „Idee und Text“ geliefert hatte. Dieser Eberhard Taubert „war Mitarbeiter und Berater des Politikers Franz Josef Strauß in den 1950er bis 1970er Jahren.“
In dem Film „Der ewige Jude“ hieß es: „Die Ratten begleiten als Schmarotzer den Menschen von seinen Anfängen an. Sie sind hinterlistig, feige und grausam. Sie stellen unter den Tieren das Element der heimtückischen unterirdischen Zerstörung dar. Nicht anders als die Juden unter den Menschen …“ Bernt Engelmann schreibt weiter: „Die gewünschte Schlussfolgerung war naheliegend: Ratten muss man ausrotten, Juden ebenfalls. Und wem das nicht einleuchtete, dem zeigte der Taubert-Film einen weiteren abscheulichen Vergleich mit entsprechenden Text: Schmeißfliegen und Juden“.3
„Worte können töten“
„Worte wirken […], Worte können Krieg vorbereiten […]. Das Wort, […] es kann zur Todesursache für Millionen werden. […] Maschinen können es ausspucken wie eine Gewehrmaschine seine Geschosse: vierhundert, sechshundert, achthundert in der Minute; eine Gruppe […] von Mitbürgern kann durch Worte dem Verderben ausgeliefert werden. Ich brauche nur ein Wort zu nennen: Jude. Es kann morgen ein anderes sein: das Wort Atheist oder das Wort Christ oder das Wort Kommunist, das Wort Konformist oder Nonkonformist. […] Worte können töten, und es ist einzig und allein eine Gewissensfrage, ob man die Sprache in Bereiche entgleiten lässt, wo sie mörderisch wird.“ (Nach Heinrich Böll, Essayistische Schriften und Reden)
Her mit den vernunftgeprägten Zeiten!
Wo sind sie, die von „vernunftgeprägten Zeiten“? Sie sind da, wo wir uns für sie einsetzen, nicht den Mund halten, Angst überwinden, kämpferisch sein, aber immer bemüht um Respekt gegenüber dem anderen Menschen, auch dann, wenn wir seine Meinung inakzeptabel finden.
Ist das jetzt etwas zu „predigthhaft“, salbadernd geraten? Sehen Sie es meinem Alter nach! Mir will einfach nichts Besseres einfallen. Aber für Hinweise von Ihnen bin ich dankbar!
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- Ulrich Zimmermann, geliebt, verkannt und doch geachtet – Franz Josef Strauß der Mensch, der Politiker der Staatsmann, Percha, 1980, S.51)
- Text:
Wenn im Canale Grande U-Boote vor Anker gehn
und auf dem Petersplatz in Rom Raketenabschussrampen stehn.
Überm Basar von ankara ein Bombenteppich schwebt
und aus den Hügeln des Olymp.sich eine Pershing Zwei erhebt.Dann ist alles längst zu spät.
Dann ist, wenn schon nichts mehr geht.
Besuchen sie Europa, solange es noch steht.Vor dem alten Kölner Dom steigt ein Atompilz in die Luft
und der Himmel ist erfüllt von Neutronenwaffelduft.
Wenn in Paris der Eifelturm zum letzten Gruß sich westwärts neigt
und in der Nähe von Big Ben sich zartes Alpenglühen zeigt.Dann ist alles längst zu spät.
Dann ist, wenn schon nichts mehr geht.
Besuchen sie Europa, solange es noch steht.Wenn aus der Haute Cuisine ein Hexenkessel wird,
Dann ist alles längst zu spät.
wo sich der Koch aus Übersee seine alte Welt flambiert.
Da wird gelacht und applaudiert, denn selbst der Kellner kriegt’n Tritt.
Was bleibt uns außer der Kultur? Wir wünschen guten Appetit,
denn
Dann ist, wenn schon nichts mehr geht.
Besuchen sie Europa, solange es noch steht. - Bernt Engelmann, das neue Schwarzbuch Franz-Josef Strauß, Köln 1980, S 173)
- Engelmann, a.a.O.172f.