Im letzten Artikel hatte ich es von den Schwierigkeiten der Recherche. Und siehe da: als ich etwas ganz anderes in meinen Unterlagen suchte, fand ich den Artikel „Scout 24, Prof. Dr. Lauterbach und der knackige Po.“ Als Autorin firmiert eine gewisse Ursula Neumann, die damals (nämlich im Jahr 2002) Redakteurin beim bvvp maganzin war (Einer Zeitschrift für die Mitglieder des Bundesverbandes der Vertragspychotherapeuten, die inzwischen Magazin „Psychotherapie in Politik und Praxis“ heißt).
Es sind keine zwanzig Jahre her
2002 – das war die Zeit, in der die „Ökonomisierung im Gesundheitswesen“ als die Lösung galt und die ökonomischen Bäume in den Himmel wuchsen. Tja… das ist jetzt keine zwanzig Jahre her und Herr Lauterbach war auch damals schon zugange. Und ich kann es mir nicht verkneifen, meinen damaligen Artikel fast vollständig zu zitieren (im Internet lässt er sich nicht finden… mindestens nicht von mir), weil er deutlich macht, wes Geistes Kind Prof. Dr. Lauterbach war oder ist oder sein wird. Scheint mir nicht unangemessen in Corona-Zeiten.
Ich zitiere mich:
Scout24, Prof. Dr. Lauterbach und der knackige Po
„Alles hängt mit allem zusammen. Irgendwie. Manches nicht nur irgendwie. Z.B. der Internet-Dienstleister Scout24, die AOK und BEK, die Handelskette Metro, ein knackiger Po, DMP und Herr Lauterbach.
Ich fürchte, ich muss genauer werden:
‚Ein Dienstleister wirbt Patienten für künftige DMP“ titelte die Ärztezeitung am 22.4. [2002]: „Der Dienstleister Gesundheitsscout24 hat bereits erste Aufträge von Krankenkassen für die Organisation von Disease-Management-programmen (DMP).‘ BEK und AOK Baden-Württemberg wollen mit GesundheitsScout24 Versicherte für die Teilnahme an den Programmen werben, aber – so der Geschäftsführer der Firma – es gehe auch um die weitere Betreuung der PatientInnen.
Gesundheitsscout24 gehört zu Scout 24. Da kann man z.B. Autos (AutoScout24), Grundstücke (ImmobilienScout24) und FreundInnen (FriendScout24) erwerben. In 13 Ländern.
Und wem gehört Scout24? Hätte ich Volkswirtschaft studiert, wäre die folgende Darstellung gefälliger geraten: Mehrheitsgesellschafter der Scout24 AG ist die BHS AG. Die BHS AG ist – so die Selbstdarstellung – die New Economy-Investmentgruppe von Otto Beisheim, dem Gründer der Metro AG….
…was auf der Homepage von BHS steht: ‚Wir folgen einer klaren Strategie: Wir wählen die Märkte mit dem höchsten Wachstumspotential in den nächsten fünf Jahren… Wir streben das Ende eines Engagements an, wenn der IRR kontinuierlich unter 150% p.a. bleibt… Ganz in der Tradition der Metro-Gründer ist BHS der Schelligkeit, aggressivem Besetzen von Marktpositionen und pragmatischem Handel verpflichtet.‘
‚IRR‘ – ich hab mit gewissem Erfolg versucht, mich schlau zu machen – ist die ‚interne Zinsfuss-Rate, mit der sich das in ein Projekt eingebrachte Kapital verzinst.‘ 150% IRR p.a.- das hört sich nach einer Menge an.
Auch daran ist nichts Ehrenrühriges – aber wissen sollte man es. Denn dieses Geschäftsprinzip ist natürlich auch Geschäftsgrundlage für GesundheitScout24. Gewinnoptimierung ist das Ziel. Das Wohl kranker Menschen ist Nebenprodukt. Bestenfalls. Oder um GesundheitScout24 zu zitieren: ‚GesundheitScout hat das Ziel, die Versorgungsprozesse im Gesundheitswesen effizienter zu orgnisieren und gleichzeitig eine höhere Behandlungsqualität zu erreichen. Das geschieht durch die Verbindung von Telefonie und Internet. Durch seinen integrativen Ansatz deckt GesundheitScout 24 als einzige Care-Management-Organisation komplett die Bedürfnisse des Marktes ab und unterstützt die Krankenkassen und Krankenversicherer bei der Schaffung von Wirtschaftlichkeitsreserven… die Unterstüztung der Krankenhäuser in der zielgerichten und zukunftsweisenden Verwendung der heutigen Überschüsse ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Beratungstätigkeit.‘
[…]
Ärztinnen! Auf ins Medical Service Center!
[Bei GesundheitScout24 gibt es] ein hauseigenes Medical Service Center (angeblich das größte in Europa). Das suchte im März neue Mitarbeiterinnen..: ‚Immer mehr Ärzte entscheiden sich gegen eine Karriere im Krankenhaus. Die Gründe: Hohe Arbeitsbelastung, ungünstige Arbeitszeiten, psychische Belastung, fehlende Anerkennung der Leistungen schlechte Weiterbildungs- und Aufstiegschancen. Ein neues Arbeitsfeld können Mediziner jetzt beim GesundheitScout24 finden: Das Call-Center in Duisburg wur um 150 qualifizierte Stellen erweitert.‘„
Fußnote 2021: Ist ja schon ein wenig paradox: Da werden mitfühlende Krokodilstränen über die Arbeitssituation im Krankenhaus von denen vergossen, die sich das Ziel gesteckt haben, das Gesundheitswesen auf die Erwirtschaftung von Rendite zu trimmen. Welche Folgen sollte das haben, außer noch höherer Arbeitsbelastung, ungünstige Arbeitszeiten etc. etc.?
Lauterbach: Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von GesundheitScout
… Kommen wir zum guten Schluss, der alles ziert. Nämlich zu Prof. Dr. Dr. Lauterbach und zum knackigen Po. Prof. Dr.Dr. Lauterbach besitzt – nein, keinen knackigen Po, mindestens ist mir das nicht bekannt -, aber das geneigte Ohr unserer Gesundheitsministerin, schreibt mal für die SPD, mal für Ver.di, ist Direktor des Instituts für Gesundheitsökonmie und klinische Epidemiloige, im Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen und – Sie vermuten richtig – Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von GesundheitScout 24. Das ist vielseitig, aber nicht ehrenrührig.
Genauso wenig wie ein knackiger Po. Der war Anfang Mai ‚Thema der Woche‘ bei GesundheitScout 24: „Dieses Jahr ist ein knackiger Po gefragt wie nie. Hautenge Hosen und String-Bikinis sind absolut in. Wer nicht mit einem muskulösen Knack-Po gesegnet ist, kann der Natur aktiv nachhelfen.‘ Gymnastische Übungen wurden vorgeschlagen, sicher von den festangestellten Fachärzten – vielleicht sogar von Prof. Dr.Dr. Lauterbach? – selbst erprobt. Dass die aktuelle Umfrage auf derselben Seite lautete ‚Ist unser Gesundheitssystem noch zu retten?, kann kein Zufall sein.
Schöne neue DMP-Welt! Die Diabetikerin kriegt ihren Erinnerungsanruf von Gesundheit’Scout24 ‚Frau Meier, Ihr nächster Arzttermin ist fällig. Übrigens: Darf ich Sie auf das Sonderangebot an Diabetikerschkolade im Handelshof aufmerksam machen? Und sicher haben Sie die Po-Übungen erfolgreich absolviert. Wie wär’s da mit einem Bikini aus unser brandneuen Kollektion? Aber ich sehe gerade Ihre Daten: Sie haben Ihr Übergewicht noch nicht im Griff, Frau Meier! Da muss der Bikini noch warten. Schade! Aber schauen Sie doch mal in unser Fitness-Center rein. Für Sie als DMP-Mitglied zum Super-Spar-Tarif.‘
Ach was! Mit mir geht mal wieder die Fantasie durch.“
Quelle: Ursula Neumann, bvvp magazin 1. Jahrgang, Ausgabe 2/2002, S. 20 f. .
Und heute, Herr Lauterbach?
GesundheitScout24 scheint es schon seit 2003 nicht mehr zu geben… brachte wohl doch nicht die angepeilte Rendite. Um DMP’s (Disease Management Programm) – auch eine wahnsinnig effiziente Erfindung jener Zeit – ist es still geworden. Nur Herr Lauterbach ist noch ziemlich laut unterwegs und warnt und warnt, besorgt – weil doch jedes Leben zählt. Naja, immerhin „Leben“ und nicht „Rendite“.
Wenn ich seine Vergangenheit bedenke, weiß ich a) nicht von welchen Interessen er geleitet ist und b) ob er auch mal drüber nachdenkt, dass die Idee der Ökonomisierung des Gesundheitswesens doch keine so eine gute war. (Vgl. Podcast vom 5.11.21 des SWR 2: Prof. Stefan Sell: Bedrohliche Lage in vielen Kliniken – Weshalb die Krankenhäuser krank sind)
Schnee von gestern? Vergeben und vergessen?
Seien wir sicher: Herr Prof. Dr.Dr. Lauterbach gehört zu denen, die die Kurve kriegen werden.