Rezension in „humanismus aktuell“

Der Kirchenrechtsprofessor nimmt Vernunft an, wird mit mir glücklich und stirbt
Ursula Neumann
BoD – Books on Demand 2017,
404 Seiten, 17,80 €
ISBN: 978-3743158436

humanismus aktuell

Zeitschrift für Kultur und Weltanschauung
Online-Ausgabe Berlin 2019, 10. [23.] Jg., H. 1
ISSN 2191-060X
Kirchenrechtsprofessor nimmt Vernunft an
Rezension 163
S. 1 / eingestellt: 19. März 2019 / © Karin Jäckel
www.humanismus-aktuell.de

Eine Biographie wie ein Gespräch zwischen der autobiographisch er-zählenden Verfasserin und ihren lauschenden Leser/innen. Scho-nungslos, fast möchte ich schreiben, gnadenlos offen, ehrlich und hoch emotional zeichnet Ursula Neumann ihre Lebens- und Liebesge-schichte mit Johannes Neumann nach und auf, der als Kirchen-rechtsprofessor in Tübingen forschte, veröffentlichte und lehrte. Als geweihter katholischer Priester zum Zölibat verpflichtet, verliebte er sich leidenschaftlich in die junge Theologiestudentin Ursula, die seine Gefühle nicht minder heftig erwiderte. Dennoch war nicht sie es und auch nicht die Liebe, die den renommierten und allseits geschätzten Kirchenrechtler auf Distanz zu seiner Kirche gehen und ihn zuletzt – aus freien Stücken – seinen kirchlichen Lehrauftrag zurückgeben ließ.
Zeitschrift für Kultur und Weltanschauung

In „Der Kirchenrechtsprofessor nimmt Vernunft an, wird mit mir glück-lich und stirbt“ begibt Ursula Neumann sich auf die Suche nach dem jungen Johannes Neumann, den sie so innig geliebt und mit allen Sin-nen begehrt und in den letzten Jahren seines Lebens zunächst an eine seinen Geist immer nachhaltiger verschlingende Krankheit und schließlich an den Tod verloren hat. Sehnsüchtig macht sie sich auf die Spurensuche in seinen und ihren Tagebüchern, in seinen Schrif-ten und ihren miteinander gewechselten Briefen und in ihren eigenen Erinnerungen. Darin eintauchend, entschwindet ihr fast die Gegen-wart, deren schmerzliche Leere ohne den Geliebten am ehesten im Schwelgen in einem gemeinsamen Gestern zu ertragen ist.
Trotz der emotionalen Dichte des Geschehens und der damit im Kopf erzeugten Bilder, denen man sich als Leser/in nicht entziehen kann, weil sie so ursprünglich, so lebensecht und liebeswarm vor den inne-ren Augen auftauchen, ist die Sprache des Buches alles andere als süßlich oder gar weinerlich. Im Gegenteil, gespickt mit feinem Humor, sarkastischen Pointen, herzerfrischend geradlinigem Zorn und Ärger, einer unverstellten Erotik und streckenweise mit bei allem bitteren Ernst spielerisch anmutenden Dialogen zieht Ursula Neumann nicht nur mit, sie reißt mit. Und man genießt es, mittendrin zu sein, schein-bar hautnah, herznah, empört sich mit, lacht und ja, weint auch mit.
Die Lebens- und Liebesgeschichte eines Paares, das aus Gründen seines Arbeitgebers, der Kirche, nicht zusammenkommen darf und doch unlösbar aneinander hingegeben ist, entwickelt sich vor dem Hintergrund des „Tübinger Skandals“ der 70er Jahre des 20. Jahrhun-derts. Namen, die nicht nur in kircheninternen Kreisen bis heute mehr als Schall und Rauch sind, kommen darin vor. Ratzinger und Küng mögen die vielleicht bekanntesten sein, dicht gefolgt von „Institutio-nen“ wie etwa dem Rottenburger Bischof. Klerikales Intrigenspiel und Machtgerangel, Heuchelei und Bigotterie zeigen Charaktere hinter den Roben und Masken der Diener Gottes, fern jener erhabenen kleri-kalen Ansprüche, als geweihte Gottberufene den Menschen auf Erden
das Leben im Paradies vor Augen zu führen.
Verdammt irdisch geht es zu, wenn abgeliebte Bettgespielinnen per-fide Ränke schmieden, um in das jedem Tratsch und Klatsch begierig zugeneigte bischöfliche Ohr zu lügen und den Mann, den sie selbst nicht mehr haben können, auch keiner anderen zu überlassen. Und schmerzhaft menschlich rührt es das Leserherz an und auf, wenn Ur-ängste Knoten um die Seele des im Beruf so souveränen Kirchen-rechtsprofessors schnüren und ihn an Abgründe ohnmächtiger Ver-zweiflung treiben. Es ist Ursula, die ihn immer wieder ans Licht führt, nie hinters Licht. Das ist sein Privileg. Schmerzhaft wird es ihr be-wusst, während sie seine Tagebücher und Notizen, seine Briefe liest. Sie kann ihn nicht mehr persönlich zur Rede stellen, kann nicht mehr hören, was er zu seiner Rechtfertigung anführen könnte. Sie muss sich selbst zusammensuchen, was und wie er sich erklären, womit er die Zweifel zerstreuen könnte, die er so unverhofft mit seinem Nach-lass über ihr ausgeleert hat. Es tut weh. Und es dauert. Doch am Ende hat sie ihn wieder, den so innig geliebten Mann, dem sie sich ohne Rückhalt geschenkt hat wie er sich ihr. Seine Stimme klingt in ihr nach, seine Nähe ist präsent. Die Trauerarbeit ist getan. Nichts ist ver-gessen, nichts ist vorbei. Doch sie kann leben, überleben, weiterle-ben. Tief in Johannes verankert, hört sie die Vögel wieder singen. Auch ohne ihn.
Für mich als Leserin hat Ursula Neumanns autobiographische Biogra-phie des Kirchenrechtsprofessors Johannes Neumann eine dreifache Faszination ausgestrahlt. Die Faszination eines überbordenden Ge-fühls zweier Menschen, die sich mir im Spiegel der Sprache, der Worte, in seltener Rückhaltlosigkeit zeigen. Die Faszination des Ein-blicks in die Seele eines Menschen, der sich aus dem starken Impuls persönlicher Hingabebereitschaft einem Gott geweiht hat, der sich mehr und mehr als ein Konstrukt einer Kirche entpuppte. Und die Fas-zination der geteilten, auch mit mir geteilten, Erkenntnis, dass die In-stitution Kirche die ursprünglich „so milde, so barmherzige, so emanzipatorische Botschaft der Liebe pervertiert“ und sich „durch ihre Hin-gabe an Glanz, Reichtum und Macht zur Hure gemacht“ hat, so dass sie nicht mehr „Güte, Verzeihung, Leben ohne Gier und Hass“, nicht mehr „Frieden“ verkörpert, sondern der „Glaube die wahre Liebe ver-giftet und Freiheit unmöglich macht.“ (S. 100 f.) Als „Christ“ sah Jo-hannes Neumann sich schon sehr lange vor seiner Ehe mit Ursula Neumann nicht mehr. Und doch machte die Kirchenobrigkeit in ihr die Schuldige am Sturz ihres gefallenen Engels aus, als Johannes Neumann die Konsequenz aus seiner Erkenntnis zog und sich der Kir-chenlehre verweigerte. „Cherchez la femme“ („mache die dahinterste-ckende Frau ausfindig“) scheint für den katholischen Klerus der Sün-den-Inbegriff. Was Wunder, dass sie damit an Menschen scheitert, die Vernunft anzunehmen wagen und Liebe leben.
Karin Jäckel

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