Ein bisschen Rechthaberei am Anfang: Na, wer sagt’s denn!
Der Spiegel berichtet ausführlich von einer gerade herausgekommenen Untersuchung:
„Druck aus Gesellschaft und Politik bestärkt viele Menschen in ihrer Entscheidung, eine Coronaimpfung abzulehnen. Das zeigen aktuelle Daten. Um die Betroffenen zu erreichen, ist ein Strategiewechsel nötig.“
Na, wer sagt‘s denn! Gut, Rechthaberei wirkt nie sonderlich souverän… aber ich gestehe mir diesen Mangel an Souveränität für ein paar Momente zu: Die Verletzung darüber, als doof, uneinsichtig, uninformiert hingestellt zu werden, bis hin zu der Erfahrung, dass „abweichende Stimmen“ in großem Stil ohne viel Federlesens in die Schublade „Querdenker“ gesteckt wurden – diese Verletzungen bleiben nicht folgenlos.
Allerdings: Nach den „paar Momenten“, in denen ich mir ein giftig-ironisches „Ach nee! Auch schon gemerkt!“ zubillige (Stichwort: Psychohygiene!) muss wieder was anderes kommen. Ich möchte bereit zum Dialog sein.
Der Traum vom eigenen Institut – geht offensichtlich auch ohne!
In den zurückliegenden Monaten haben mein Sohn und ich immer wieder geträumt „wenn wir nur ein eigenes Institut hätten, was könnten, was würden wir da alles zu Covid untersuchen!“ Nun, das Institut haben wir immer noch nicht. Außer dass mir Nachbarn für ein solches Institut eine Spende von 20 Euro zusagten und eine Physiotherapeutin ihre Mitarbeit anbot, blieb der Traum fern jeder Chance zur Realisierung. Was nicht weiter überraschend ist.
Aber offensichtlich kann man durchaus mit gesundem Menschenverstand zu soliden Ergebnissen kommen. Ganz ohne eigenes Institut und Forschungsgelder. Das sollte mal wieder bestärken: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“
Zunächst ein Wort zu „Trotz“
Vor langer Zeit wurde mir ein Licht aufgesteckt, als ich in einem Buch über die seelische Entwicklung von Kindern las: „Trotz“ sei ein negativ konnotierter Begriff. Verständlich, denn er wurde von den Älteren, den Eltern geprägt. Und dass die Reaktionen einer Vierjährigen gewaltig nerven können – wer wollte das leugnen! Aber diese negative Bewertung sei kurzsichtig.
Ich erinnere mich an ein Heftchen, das mir meine Mutter gab, um meine Entwicklung zum braven Kind zu befördern. Da war zu lesen „Der Wille des Kindes muss gebrochen werden“. Ein „trotziges“ Kind kriegt so lang im wörtlichen oder übertragenen Sinn die Peitsche der Stärkeren zu spüren, bis es resigniert. So ein gebrochener Wille hat ja zunächst mal was Praktisches für die Erziehenden. Zunächst mal. Aber wenn dann Selbstunsicherheit, Depression, Interesselosigkeit, Überangepasstheit, Zweifel an der heute so gefragten Selbstwirksamkeit die Folgen sind – dann ist die Psychologische Beratungsstelle gefragt. Mindestens heute, vor 60 Jahren noch nicht. Kann sein, dass manches heute als „Folgeerscheinung“ zu verbuchen ist: Zu viel hat mich in den vergangenen Monaten an Erich Fromms Untersuchungen zum „autoritären Charakter“ denken lassen. Einschließlich der Lust an Unterwerfung.
„Trotz“ – notwendig fürs Menschsein
Ein „trotziges“ Kind ist zunächst mal eins, das den aufrechten Gang erproben will: „Ich bin jemand und zwar jemand anderer als du!“ Es zeigt seine Selbst-Ständigkeit. Ein „trotziges“ Kind nimmt sich selbst und seine Bedürfnisse ernst.
Kann es Erziehungsziel sein, dieses Bestreben zu verunglimpfen, zu entmutigen, zu vernichten?
Wenn der „Trotz“ erst recht zunimmt, weil die Gegenseite als Antwort nur einfallslosen „noch mehr Druck“ hat – so ist das eine gesunde Reaktion. Denn welche Ziele lassen sich mit gebrochenem Rückgrat verwirklichen?
Was bei der Kindererziehung gilt, gilt generell und gerade auch jetzt in Bezug aufs Impfen:
„Um die Betroffenen zu erreichen, ist ein Strategiewechsel nötig.“
Wenn sich schon bei der Kindererziehung (mindestens theoretisch) eine Haltung des Respekts durchgesetzt hat, selbst in Situationen, in denen die Vierjährige trotzig bei Minusgraden mit Söckchen in den Kindergarten will. Wenn also da, wo die Erwachsenen nun wirklich den besseren Überblick haben, nicht mehr einfach nur gesagt wird „Und du machst, was ich sage, sonst setzt es was!“ – um wieviel mehr sollte selbstverständlich sein, als „staatliche Autorität“ respektvoll mit Andersdenkenden umzugehen, sich um Verständnis bemühen, zugestehen, dass diese auch vernünftige Motive haben, mindestens haben können.
Trotzige Langzeitfolgen
Zwar kann ich mir vorstellen, dass (noch mehr) Druck zunächst durchaus erfolgreich ist. So wie bei jenem Patienten, der meinte, er sei von vorne mit der Pistole und von hinten mit dem Messer bedroht worden. Womit er meinte: Angesichts der ihm angedrohten beruflichen und privaten Nachteile, habe er sich „zähneknirschend“ zur Impfung entschlossen.
Aber – es sei nochmal gesagt, auch wenn ich mich wiederhole: Vater Staat kann in diesem und anderen Fällen mit Macht seinen Willen durchsetzen. Aber dieser Sieg kann zum Pyrrhus-Sieg werden. So selten sind die Fälle nicht, in denen „trotzige“ Kinder sich dauerhaft vom Vater abwandten.
So, und nun zum Spiegel-Artikel (wieder mal hinter der Bezahlschranke)
Zu viel Druck schadet: Trotz als Treiber
„Alle, die eine Coronaimpfung eigenen Angaben zufolge ablehnten, fragten die Forschenden nach den Gründen. 74 Prozent zweifelten zwar noch an der Sicherheit des Impfstoffs. 67 Prozent erklärten jedoch auch, dass sie sich von Politikern und Politikerinnen oder der Gesellschaft zu sehr unter Druck gesetzt fühlten. 61 Prozent gaben an, das Streben nach Profit der globalen Impfstoffunternehmen nicht unterstützen zu wollen. »Trotz gehört mittlerweile zu den Hauptgründen, sich nicht impfen zu lassen«, sagt Schreyögg.
Härtere Maßnahmen könnten diese Haltung noch verstärken. »Wenn man fragt, ob Maßnahmen die Impfbereitschaft beeinflussen, antworten die meisten mittlerweile mit ›Nein‹«, so Schreyögg.
Zumindest in der Theorie wären die meisten Impfablehnerinnen und Ablehner sogar bereit, ihren Beruf aufzugeben, bevor sie sich impfen ließen. Fraglich ist, ob sie dies auch in die Tat umsetzen würden. »Ich glaube nicht, dass das Bestand haben würde«, sagt Schreyögg. »Wahrscheinlich würde die Ablehnung schon bröckeln, wenn es in der vierten Welle in Restaurants und Geschäften wirklich nur noch 2G geben würde.« Dennoch müsse man sich im Klaren darüber sein, dass einige Betroffene selbst der drohende Verlust des Arbeitsplatzes nicht überzeugen könne.“
Die Pressemitteilung vom 4.10.21. des European COvid Survey:“ Erwartungsdruck Erhöht Widerstand bei Ungeimpften“, Abteilung 2, Referat Medien- und Öffentlichkeitsarbeit Universität Hamburg finden sie unter https://idw-online.de/de/news776815