09.04.19
Das Brexit-Chaos gibt Anlass für vieles: Für Witze, Aphorismen, grundsätzliche Statements, politische Überlegungen, Klagen über die Zeitläufte und manch anderes.
Für mich ist es auch ein Anlass über die Brückenbauer nachzudenken. Zumal mir diese Fähigkeit nicht in die Wiege gelegt wurde. Zur Zeit denke ich öfter, dass es ein Segen ist, dass ich politisch nichts zu sagen habe. Denn allzu häufig ist meine Stimmung „Schluss jetzt! Ihr habt es so gewollt und fertig.“ Und strecke die Zunge raus. Ich bin Alexander und durchhaue den gordischen Knoten
Dann höre ich Stimmen von gescheiten, von dummen, von intriganten, von bescheuerten Politikerinnen und Politikern. Aber auch von weisen und geduldigen. Die quasi auf dem Sofa sitzen, das Brexit-Trauerspiel in London gelassen betrachten, die Hände über dem Bauch falten und sagen: Na gut, dann drehen wir halt noch eine Runde. Nicht teilnahmslos, sondern aufmerksam. Die sagen, es ist aller Anstrengung wert, eine vernünftige Lösung zu finden.
Das erste Mal, wo mir diese Fähigkeit des Brückenbauens auffiel und ich ein Aha-Erlebnis hatte, war vor über dreißig Jahren (also reichlich spät, wenn ich es so bedenke). Es war eine Veranstaltung vom BUND, der damals noch nicht den heutigen seriösen Ruf hatte, vielleicht eher noch etwas den Geruch der APO. Grüne auf der einen Seite, gestandene Landwirte auf der anderen. Die Stimmung war gereizt. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte der Referent (vielleicht liest er das jetzt, denn wir sind immer noch miteinander befreundet) die Argumente der Gegenseite in Grund und Boden stampfen sollen und die Landwirte gleich mit. Er tat es nicht, war verbindlich, ließ sich nicht provozieren, suchte Anknüpfungspunkte. Plötzlich begriff ich: Er spinnt Fäden! Fasziniert beobachtete ich das Geschehen.
Am Ende der Veranstaltung waren keine Brücken gebaut. Aber ein Steg.
Das ist bewundernswert. Die eigenen Emotionen zurück- und den eigenen Narzissmus, die eigene Kränkbarkeit hintanstellen, die Gelegenheit zum Zuschlagen einfach vorbeigehen lassen.
Es geht um die Sache, um nichts anderes. Gewinner ist nicht der, der’s dem andern so gegeben hat, dass der nicht mehr „bapp“ sagen kann. Sondern Gewinner ist wer dazu beigetragen hat, dass die Sache vorankommt.
Sicher da ist die Gefahr der Appeasement-Politik nicht weit. Und manchmal, oft weiß man erst hinterher: Das war jetzt dummes, feiges Durchlavieren, da hat man sich einen Ring durch die Nase ziehen lassen, da wollte man den kleinen Konflikt vermeiden und hat sich einen größeren dafür eingehandelt, da hat man sich etwas schön geredet, wollte die Augen verschließen.
Trotzdem: Ein Hoch auf alle, die ihre Kraft nutzen, sich selbst im Zaum zu halten und die geduldig, geduldig, geduldig und unbeirrbar ausloten, den abgerissenen Gesprächsfaden wieder aufnehmen, die nicht so schnell die Hoffnung aufgeben, die sich nicht zu schade sind, als Weicheier verhöhnt zu werden.
Was den Brexit betrifft….. Schaumermal.