Das neue Magazin der Süddeutschen Zeitung enthält einen längeren Artikel zur heutigen Schwierigkeit sich zu entscheiden: „Hü oder hott“ (https://sz-magazin.sueddeutsche.de/wissen/entscheidungen-treffen-87517?reduced=true. Aber Vorsicht! Wenn Sie sich entscheiden, den Artikel zu lesen, müssen Sie was zahlen. Wollen Sie das wirklich?). Demnach ist es anscheinend so, dass die Buchhandlungen voll von Entscheidungsratgebern sind, sich mit einschlägigen Seminaren offenbar viel Geld verdienen lässt und die „Experten“ im Radio und Fernsehen reihenweise dazu interviewt werden-
Wieso soll ich jetzt da auch noch meinen Senf dazu geben? Für mich keine schwere Entscheidung: ich hab grad Lust drauf. Überhaupt tue ich mich leicht mit Entscheidungen. Was natürlich den Einwand rechtfertigt, ob ich dann wirklich die richtige bin, was Gescheites dazu zu sagen, wenn ich die Nöte der Entscheidungsängstler nicht wirklich aus eigener Erfahrung kenne. Über diesen Einwand setze ich mich schlicht und einfach hinweg. So mach ich das öfter.
Die „richtige“ Entscheidung – fast immer eine Illusion
Tatsächlich begegnet mir das Problem mit Entscheidungen recht häufig in der Praxis. Manchmal geht es um schwierige, weitreichende Entscheidungen, manchmal um – aus meiner Sicht – reichlich Banales.
Der entscheidende Denkfehler liegt ganz am Anfang: Es soll „die richtige“ Entscheidung (wenn nicht gar „die perfekte“) getroffen werden. Aber bei allem, was jenseits der Art von Fragen liegt wie „fahre ich bei Rot über die Ampel oder halte ich besser an?“ gibt es „die“ richtige Entscheidung nicht. Das scheint altem dualistischem Denken entsprungen: Gut oder böse. Richtig oder falsch. Schön oder hässlich. Wahr oder unwahr. Schwarz oder weiß. So funktioniert das Leben, die Realität nur ausnahmsweise. Bei Entscheidungen gibt es in der Regel mehr oder weniger richtige und mehr oder weniger falsche Entscheidungen. Eigentlich sollte dieser Gedanke etwas Entlastendes haben. Wenn etwas gar nicht möglich ist, muss ich mich auch nicht anstrengen, es doch fertig zu kriegen.
Wenn sich jemand trotzdem drauf kapriziert „die“ richtige Entscheidung zu finden, ist das Zeitverschwendung, nichts anderes al, den Regenbogen in Tüten fangen zu wollen. Geht nicht.
Der Aberglaube: „Nur wenn ich die richtige Entscheidung getroffen habe, muss ich es hinterher nicht bereuen.“
Warum ist „die“ richtige Entscheidung vielen trotzdem so wichtig? Weil der Gedanke mit der Illusion verbunden ist: Wenn ich die richtige Entscheidung getroffen habe, bin ich hinterher zufrieden und alles ist gut. Wenn nicht, mache ich mir Vorwürfe bis ans Ende meiner Tage. Nebenbei: das ist die Crux bei eigenen Entscheidungen, dass ich nur mir selbst Vorwürfe machen und leider niemand anderem die Verantwortung zuschieben kann. Da hatten und haben es die Untertanen aller Couleur leichter. Sie sind entlastet.
Natürlich ist es doof, sich hinterher sagen zu müssen „hätte ich nur, wäre ich bloß…“ Aber der Denkfehler dabei ist, ich bliebe mir nach einer getroffenen scheinbar „optimalen“ Entscheidung ein für allemal sicher, dass es die richtige war. Was für ein Aberglaube! Angenommen, Sie haben unter den aktuell 1 104 112 Gebrauchtwagen (laut SZ) schließlich den besten, den perfekten ausgewählt (und vermutlich am anderen Ende der Republik abgeholt), können Sie ausschließen, dass sich da keine innere Stimme zu Wort meldet und sagt: Ob nicht doch das Modell soundso besser gewesen wäre? Dasselbe gilt für den Wohnzimmerschrank, die neue Arbeitsstelle und auch für die Partnerwahl: Nichts kann Sie sicher machen, dass unter den Milliarden möglicher Lebenspartner Ihr Fritz genau der einzig Wahre und Richtige ist! Vielmehr können Sie sicher sein, dass es irgendwo auf der Welt einen schöneren, günstigeren Wohnzimmerschrank, eine tollere Arbeitsstelle und einen optimaleren Partner gibt.
Das Prinzip der “good enough mother”
An dieser Stelle kommt die „good enough mother“ ins Spiel, die „ausreichend gute Mutter“ – Den Begriff prägte ein Psychoanalytiker, Donald Winnicott. Er meinte damit: Damit ein Kind gedeiht, ist eben nicht die perfekte Mutter nötig, sondern sie muss „good enough“ sein. Genauso wie eine Pflanze nicht optimale Licht-, Boden- Niederschlagsverhältnisse braucht, sondern es muss alles gerade mal „ausreichend“ vorhanden sein – das genügt, damit sie wunderschön blühen kann!
Notwendig ist also nicht die „richtige“, die „perfekte“ Entscheidung, sondern sie muss für Sie „good enough“ sein. Das entlastet. Der nur in der Fantasie vorkommenden „einzig richtigen Entscheidung“ steht ein ganzer Pool von Entscheidungen gegenüber, die alle „good enough“ sind.
Nur wenn sich herausstellt, dass man eine Entscheidung getroffen hat, die nicht „good enough“ ist, besteht Anlass zum Bereuen – aber bitte mit Milde: Shit happens. Das Bereuen sollte kurz sein: Der Blick zurück lohnt nur, wenn man daraus was lernen kann oder wenn einem Selbstquälerei Spaß macht. Ansonsten: Blick nach vorn: Entscheidungen lassen sich fast immer revidieren. Es gibt einen neuen Wohnzimmerschrank, eine neue Arbeitsstelle, einen neuen Partner.
Nichts ist umsonst. Nur der Tod. Und der kostet das Leben
Was ich immer wieder beobachte: Entscheidungen sollen nichts kosten, kein Wermutstropfen darf dabei sein. Aber wenn ich mich von meinem Freund trenne, dann geht das nicht schmerzlos. Wenn ich unbedingt den Wohnzimmerschrank mit dem superedlen Design haben will, muss ich dafür löhnen. Wenn ich die neue Arbeitsstelle will, habe ich einen Anfahrtsweg von 40 km. Alles eine Kosten-Nutzen-Relation. Vor den zu schluckenden Kröten bewahrt einem keine gute Fee. Auch nicht vor der Kröte, die da heißt: Jede Entscheidung bedeutet gleichzeitig den Verzicht auf hundert andere Möglichkeiten. Das kann man doof finden, aber deshalb wird sich die Welt nicht ändern.
Wieviel Zeit darf es kosten, bis ich mich entscheide?
Inzwischen hat sich rumgesprochen, dass es einen Punkt gibt, an dem Informationen aufhören, zu einer guten Entscheidung beizutragen, sondern jede zusätzliche Information verwirrt nur. Die Gleichung „mehr Information = bessere Entscheidung“ stimmt nicht. Wenn ich zu viele Informationen habe, kriege ich keine bessere Entscheidung sondern einen Vogel. Hach, was sage ich jetzt auf die Frage: „Und wann bitteschön ist dieser Punkt erreicht?“ Das weiß ich auch nicht. Aber ich behelfe mich mit Folgendem:
Ich weiß so ungefähr, wieviel Euro meine Arbeitsstunde wert ist. Dann frage ich mich: Wieviel Euro ist mir die Entscheidungsfindung in dieser Sache wert? Zum Beispiel den Gegenwert für eine Stunde Arbeit. Daran halte ich mich. Nach einer Stunde des Überlegens, der Recherche fällt die Entscheidung. Konsequent. Gehört ein bisschen Disziplin dazu, schon wahr. Ich könnte natürlich auch an einer Weggabelung stehen bleiben und weiter hin und her überlegen. Vielleicht kommt einer und stellt eine Bank hin, damit ich bequememer abwägen kann.
Ja, ich weiß, das ist für manche Menschen einfacher gesagt als getan. Wenn Sie eine bessere Alternative haben, teilen Sie sie mir bitte mit. Ich korrigiere mich… vielleicht nicht gern, aber durchaus.