Die restriktiven Maßnahmen des Shutdowns, mit denen wir derzeit konfrontiert sind, werden damit begründet: Die Kurve der Neuinfektionen muss abflachen, sonst bricht unser Gesundheitssystem zusammen.
Auf einer Website der Europäischen Union (https://cordis.europa.eu/article/id/415751-flatten-curve/de) lese ich:
Wissenschaft im Trend: Warum ist das „Abflachen der Kurve“ im weltweiten Kampf gegen das Coronavirus zum Mantra der öffentlichen Gesundheit geworden?
Wikipedia definiert „Mantra …. bezeichnet eine heilige Silbe, ein heiliges Wort oder einen heiligen Vers. Diese sind „Klangkörper“ einer spirituellen Kraft, die sich durch meist repetitives Rezitieren im Diesseits manifestieren soll….“ Naja. Das ist schon eine zutreffende Definition, für das, was im Moment von Politik und Medizin runtergebetet wird. Aber ob es das ist, was ich mir an rationalem Vorgehen wünsche – ich weiß nicht, ich weiß nicht.
Wenn die Ressourcen und Kapazitäten im Gesundheitswesen bei uns in Deutschland und Europa so sind, wie sie sind (was jetzt nicht unbedingt mit Corona zusammenhängt, sondern es ist eher so, dass es durch Corona offenbar wird), dann macht es schon Sinn, die Zahl der Ansteckungen „zu strecken“. Einverstanden! Und ich denke durchaus dankbar an das Krankenhauspersonal und die Leute „an vorderster Front“, die zum Teil am Rand ihrer Kräfte sind (aber waren sie nicht schon vorher ziemlich nahe dran?).
Aber ich hätte da doch eine Frage:
„Es droht der Zusammenbruch/ der Kollaps des Gesundheitswesens, wenn nicht… und deshalb…“ heißt es.
Als Psychotherapeutin bin ich durchaus vertraut mit Horrorvisionen, die einem nur bis zum Grauen sehen lassen und keinen weiteren Gedanken ermöglichen: TINA – There is no alternative :
- Wenn ich durch die Prüfung falle, ist alles aus.
- Wenn mein Freund sich trennt, hat mein Leben keinen Sinn mehr.
- Wenn mir meine Mutter nicht die Schulden bezahlt, kann ich mich nur noch umbringen.
Gemach, gemach. Es ist Panik, die die Menschen in diesen Situationen überwältigt und die keinen Platz für Relativierung, für den Gedanken an Alternativen lässt: Sondern ALLES, wirklich ALLES ist aus, ALLES hängt von dieser einen Sache ab.
In solchen Fällen frage ich genau nach. Zum Beispiel: Was meinen Sie mit „ALLES“? Und ich bemühe mich, geduldig durchzugehen: Ist wirklich „Alles“ von diesem Problem abhängig? Allein das hilft manchmal schon, zu sehen: Keineswegs „Alles“ ist aus, keineswegs hängt der ganze Sinn des Lebens nur von der als einzig für möglich gehaltenen Lösung dieses einen Problems ab. Damit wird aus Panik ordinäre – aber realitätsgerechtere Angst. Die Situation wird dann keineswegs als rosig gesehen, aber es wächst das Vertrauen: Lösungen sind möglich, der Blick erweitert sich wieder.
So. Und nun frage ich: Was bedeutet der „Zusammenbruch des Gesundheitssystems“ (mal abgesehen davon, dass mir auf Anhieb wenigstens 10 Länder einfallen, die glücklich wären über ein zusammenbrechendes Gesundheitssystem – weil sie nämlich gar keins haben). Heißt das: Alle Apotheken haben sieben Tage in der Woche geschlossen, weil es kein einziges Medikament mehr gibt? Alle Ärztinnen und Ärzte sind von Corona dahingerafft? Keine Krankenschwester ist weit und breit mehr zur Verfügung? Niemals mehr wird eine Blinddarmoperation stattfinden? Nie mehr kommt ein Sanka, wenn man danach telefoniert?
Ich möchte jetzt genau wissen, was diejenigen mit Zusammenbruch/Kollaps des Gesundheitssystems meinen, die permanent davon reden.
Und dann können wir weiter reden. Über Angemessenes und Unangemessenes. Über Verhältnismäßiges und Unverhältnismäßiges.