Der Präsident des Weltärztebundes Montgomery fiel nicht nur mir in der Vergangenheit durch … hm… sagen wir mal: bemerkenswerte Äußerungen auf. Das Handelsblatt , hinter dem ich mich verstecke (um nicht selbst allzu „zugespitzt“ zu werden), benannte das dezent: „Ulrich Montgomery ist für Zuspitzungen bekannt.“ Und gibt dafür ein Beispiel: „In einer Talkshow sprach er kürzlich von einer „Tyrannei der Ungeimpften“.
Vor ein paar Tagen nun bewies er, dass es bei „Zuspitzungen“ eine nach oben offene Skala gibt. In einemInterview in der Welt vom 27.12.21 äußerte er auf die Frage des Interviewers Thomas Vitzthum „Steht Freiheit dem Gesundheitsschutz in jedem Fall hintan?“
Das hätte eigentlich als Einladung zu einer abwägenden Antwort verstanden werden können. Aber Frank Ulrich Montgomery geht in die Vollen:
„Ich stoße mich daran, dass kleine Richterlein sich hinstellen und wie gerade in Niedersachsen, 2G im Einzelhandel kippen, weil sie es nicht für verhältnismäßig halten. Da maßt sich ein Gericht an, etwas, das sich wissenschaftliche und politische Gremien mühsam abgerungen haben, mit Verweis auf die Verhältnismäßigkeit zu verwerfen. Da habe ich große Probleme. Es gibt Situationen, in denen es richtig ist, die Freiheitsrechte hinter das Recht auf körperliche Gesundheit – nicht nur der eigenen Person, sondern Aller – einzureihen. Und eine solche Situation haben wir.“
„Kleine Richterlein“: Das ist nicht nur Arroganz in reinster Form, was für sich schon bemerkenswert wäre. Es ist auch nicht nur dummes Geschwätz auf unterem Stammtischniveau. Sondern es ist Extremisten-Sprech, und um keinen Deut besser als Demokratiedemontage von rechts.
Demokratieverständnis? Fehlanzeige!
Es geht hier nicht um ‚Richterschelte‘, die jedem und jeder zusteht. Es gibt in der Tat Urteile, da kann man nur den Kopf schütteln. Ich habe das in der Vergangenheit mehr als einmal wortreich getan. (Übrigens eine hübsche Vorstellung: Ich schüttle wortreich den Kopf!)
Es mag auch dahingestellt sein, ob das Obervewaltungsgerichts-Urteil aus Niedersachsen der Weisheit letzter Schluss war. Aber wem nur „Anmaßung“ einfällt, wenn ein Gericht etwas verwirft, was „sich wissenschaftliche und politische Gremien mühsam abgerungen haben“, den sollte sich der Verfassungsschutz mal genauer anschauen. Denn es verrät eine Geisteshaltung, dass „wissenschaftliche und politische Gremien“ der gerichtlichen Überprüfung entzogen sind. Wie weiland bei Ludwig XIV und Konsorten. „In einer absolutistischen Monarchie gelten die Gesetze für den König nicht – er vertritt die Auffassung, dass er keinem anderen Menschen, sondern allein Gott Rechenschaft schuldig sei,“ heißt es in einem Lexikon für Kinder.
Mein Blick schweift zurück zu dem, was Montgomerys „wissenschaftliche und politische Gremien“ in den letzten zwei Jahren geleistet haben oder sollte ich besser schreiben ’sich in den letzten zwei Jahren geleistet haben‘? Oder sollte ich den Blick zurück doch lieber bleiben lassen. Ne,ne, war wirklich nicht alles schlecht. Und es war und ist eine extrem schwierige Situation. Aber genau deshalb muss diskutiert werden. Von Richterlein und sonstigen Menschlein.
Ich denke an Benjamin Franklins Satz: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“
Nein, Herr Dr. Montgomery, Benjamin Franklin ist nicht in der FDP, der sie „Freiheitsgesäusel“ (vgl. Interview in der Welt) attestieren. Googeln sie einfach mal!
Und die Mitglieder des Weltärztebundes????
Wenn der Vorsitzende des Weltärztebundes sich so unqualifiziert und respektlos äußert und damit mit allem, was ihm zur Verfügung steht, zur weiteren Spaltung beiträgt, die er dann vermutlich wieder als unter „Tyrannei der Ungeimpften“ verbucht… also wenn der Vorsitzende des Weltärztebundes derart Öl ins Feuer gießt, dann frage ich mich schon, wie sich die ÄrztInnen dazu positionieren. „Wie der Herr, so ‘s Gscherr“?. Das ist jetzt süddeutsch und heißt: Wie der Herr, so das Gesinde. (Ich kann’s auch lateinisch. Hm. Auch ich google: „Plane qualis dominus, talis et servus“)
Okay, okay, die Mitglieder des Weltärztebundes sind nicht Herrn Dr. Montgomerys Gesinde. Aber genau deshalb wäre mit einigem Recht ein etwas hörbarerer Aufschrei zu erwarten gewesen.
Immerhin: ein anderer ärztlicher Vorsitzender, nämlich Dr. Gassen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung fand klare Worte zu Montgomerys Äußerungen. Sie seien „nicht akzeptabel und unerträglich“.
Bin gespannt, wessen Stuhl mehr wackelt. Zeiten sind das, wenn sowas eine Frage ist!
Niedersachsens Justizministerin: „Eine solche Äußerung dürfte den Beifall derjenigen hervorrufen, die sich von der Idee unseres Rechtsstaates ohnehin schon verabschiedet haben.“
Und weil ein guter Schluss alles hiert, die Stellungnahme der Niedersächsischen Justizministerin Havliza:
Gerichte verwerfen regelmäßig Entscheidungen politischer Gremien, die sich diese vorab mühsam abgerungen haben. Diese Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist keine Anmaßung, sondern die Kernaufgabe unserer hochqualifizierten Verwaltungsrichter. Eine solche Prüfung gehört zum Fundament unserer Gewaltenteilung. Ich empfehle die Lektüre von Artikel 19 Absatz 4 unseres Grundgesetzes.
Gerade die Corona-Pandemie hat uns sehr deutlich vor Augen geführt, welchen Stellenwert die Justiz für stabile Verhältnisse in unserer Gesellschaft hat. Sich derart im Ton zu vergreifen, ist respektlos und unverantwortlich. Eine solche Äußerung dürfte obendrein den Beifall derjenigen hervorrufen, die sich von der Idee unseres Rechtsstaats ohnehin schon verabschiedet haben.“
Da ich dem Service-Gedanken zutiefst verpflichtet bin, liefere ich Artikel 19 Absatz 4 GG gleich frei Haus:
„Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.[…].
Nachklapp von 16.06 Uhr: „Es gibt noch Ärzte…“…. Geballte KollegInnen-Kritik an Montgomery
Den Müller bei Friedrich dem Großen voller Vertrauen sagte „Es gibt noch Richter in Berlin“, sollte ich mir vielleicht doch etwas mehr zum Vorbild nehmen und nicht gar so skeptisch sein…
16.05 Uhr veröffentlichte ich diesen Artikel. 16.06 Uhr trudelte die E-Mail der Ärztezeitung ein. Und da war unter anderem der Artikel: „Kleine Richterlein“-Äußerung – BÄK-Spitze geht Montgomery scharf an. Sogar von „Zorn“ ist die Rede.
BÄK – das ist die Bundesärztekammer. Und weil vermutlich die „Ärztezeitung “ ein elitärer Zirkel ist, wo nicht jeder nachlesen darf, zitiere ich ein bisschen aus der Montgomery-Schelte.
„Die Arbeit ‚hochqualifizierter Richter an den Verwaltungsgerichten‘, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt sowie den BÄK-Vizepräsidenten Dr. Ellen Lundershausen und Dr. Günther Matheis, trage maßgeblich dazu bei, ‚das Vertrauen und die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger in die Corona-Eindämmungsmaßnahmen von Bund und Ländern zu erhalten und zu fördern‘.
Die Bundesärztekammer als Vertreterin der Ärzte verwahre sich daher „’usdrücklich gegen eine Herabwürdigung der Arbeit von unabhängigen Richterinnen und Richtern in Deutschland‘, betonen Reinhardt, Lundershausen und Matheis (…).
Montgomery sei […] ‚keineswegs von der deutschen Ärzteschaft mandatiert, den gesundheitspolitischen Meinungs- und Willensbildungsprozess in Deutschland zu kommentieren und so den Eindruck zu erwecken, für die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland zu sprechen‘, erklärt die BÄK-Spitze. […]
Mit Empörung reagierte auch der Landesvorstand der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN). Man verurteile Montgomerys Äußerung auf das Schärfste, teilte die Kammer am Mittwoch mit.
‚Wer an hervorgehobener Position unqualifiziert und respektlos Kritik an unseren föderalen Strukturen und dem Prinzip der staatlichen Gewaltenteilung übt, der stellt damit de facto auch unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage‘, erklärte der ÄKN-Vorstand. „So provoziert man im Übrigen eher Beifall von Corona-Leugnern und Impfgegnern.‘
Gut, damit ist nicht alles gut, aber erleichtert bin ich schon.