Im Spiegel (hinter der Bezahlschranke) war am 24.9.21 vorgestern der Artikel »Viele Zögernde werden von Impfgegnern unter Druck gesetzt« In der Einleitung heißt es: „Sogar Kinder werden bepöbelt: Im Erzgebirge halten Impfgegner offenbar Unentschlossene vom Impfen ab – nirgendwo holen sich so wenige Menschen die schützende Spritze. Experten entwickeln Strategien, um das zu ändern.“
Keine Frage: Leute, die sich impfen lassen wollen zu belästigen oder gar unter Druck zu setzen: Das geht gar nicht!
Die Strategienvielfalt des sächsischen Sozialministeriums (woanders sieht es meist auch nicht besser aus)
Der zweite Teil der Einleitung „Nirgendwo holen sich so wenige Menschen die schützende Spritze. Experten entwickeln Strategien um das zu ändern“ scheint bei den meisten Leserinnen und Lesern untergegangen zu sein. Über diese Strategien heißt es:
„Das sächsische Sozialministerium hat anhand von Hitschfelds Empfehlungen Flyer entwickelt, die in ausgewählten Postzustellbezirken im Erzgebirge eingeworfen wurden, außerdem gibt es eine Kampagne in sozialen Medien. Auf Faltzetteln, in YouTube-Videos und auf Instagram werben nun etwa ein Berufsschullehrer aus Zwickau und ein Reiseveranstalter aus Schwarzenberg fürs Impfen….In Marienberg ist diese Strategie allerdings nicht aufgegangen. Die wenigen, die sich in der Baldauf Villa spritzen lassen und über ihre Motivation sprechen, haben sich eigenen Angaben zufolge nicht von Facebook-Posts oder Faltzetteln überzeugen lassen. Sondern vom Sohn, einer Freundin, der Terminankündigung in der Lokalzeitung.
Fazit:
Ob die Empfehlungen von Uwe Hitschfeld und seinem Team noch einmal für mehr als für Flyer und Facebook-Kampagnen benutzt werden, ist fraglich. Das Sozialministerium hat außer der laufenden Werbekampagne derzeit keine weiterreichenden Pläne.“
Klingt jetzt nicht gerade kreativ und engagiert. Wenn Flyer nicht wirken – so (das unterstelle ich jetzt einfach mal) bleibt nur noch, den Druck auf die Unbotmäßigen zu erhöhen. Oder?
Die Spiegel-Community – ein Spiegel der Spaltung unserer Gesellschaft
Mehr Zwang, das wäre ganz im Sinne der SPIEGEL-Community, will mir scheinen. Diese machte sich im Forum keine Gedanken über eine bessere Impf-Strategie, sondern betrieb Sachsen-Bashing: Dazu hat der in dem Spiegel-Artikel geäußerte Zusammenhang zwischen AfD und Impfgegnerschaft sicher auch was beigetragen. Kurz gesagt, man wollte die DDR zurück und zwischen „denen da“ und „uns“ eine Mauer, gegenüber der die Berliner Mauer ein Spielzeug gewesen ist.
Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie motivierend das auf LeserInnen aus dem Osten, speziell aus Sachsen wirken mag.
Mein Kommentar und die Folgen
Ich schrieb im Forum:
Ein ganzer Artikel zum unbestreitbar inakzeptablen Druck, den Impfgegner auf Impfwillige ausüben! Jetzt warte ich auf einen Artikel zum nicht weniger akzeptablen Druck, der auf Menschen ausgeübt wird, die sich nicht impfen lassen wollen. Der Ton sei rauer geworden, heißt es in dem Artikel. Das liegt nun wirklich nicht nur an militanten Impfgegnern: Einer von mehreren Fällen aus meiner psychotherapeutischen Praxis: Eine Frau berichtet fast weinend, sie werde von ihren KollegInnen gemieden, ja beschimpft „wegen dir müssen Leute sterben“. Sie hatte sich (seriös) informiert und will sich aktuell nicht impfen lassen. Ihre Gründe kann ich teils nachvollziehen, teils nicht. Aber ich wette: Sie hat sich mehr informiert als die meisten, die sich impfen lassen, um problemlos wieder ins Restaurant oder nach Spanien zu können. Ich bin selbstverständlich dafür, dass Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, auch einen Preis zahlen müssen z.B. durch Tests. Aber wenn diese Tests nicht zum Selbstkostenpreis zu haben sind, sondern gezielt teuer gemacht werden, dann ist das wie vieles andere schikanöser Druck und unterscheidet sich nicht so sehr, was durch die „Impfgegner“ in Sachsen passiert. Die, die jetzt sagen „jeder kann sich ja impfen lassen – wenn nicht, muss er die Folgen tragen“ möchte ich mal sehen, wenn es keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall mehr gibt, weil jemand keine Grippeimpfung, keine Impfung gegen FSME usw. hat. Die Entsolidarisierung wird weiter gehen: warum soll ich für RaucherInnen, Übergewichtige, AlkoholikerInnen blechen, wenn sie Lungenkrebs, Kreislauferkrankungen Diabetes kriegen… hätten sich doch bloß zusammenreißen müssen! Wer sich nicht ständig mit einer Gesundheits-App rumläuft, der soll gefälligst höhere Versicherungsbeiträge zahlen.
Eine moderate Stellungnahme, dachte ich und war bass erstaunt, als nach ein paar Minuten 40 Downvotes (und drei oder vier Likes) zu sehen waren. Zunächst fragte ich mich, was die Leute gestört hat, die die Downvotes abgaben. Nun, das konnte ich ziemlich schnell an den Kommentaren erkennen (die alle überwältigend mehr Likes als Dislikes bekommen haben).
Ich zitiere
„typische antwort eines impfgegners : da wird einfach alles durcheinandergeworfen und ausschließlich an sich selber gedacht. nein, rauchen und uebergewicht sind was anderes, denn die sind weder akut noch ansteckend ! dafuer ist eder selbst verantwortlich. mit corona angesteckt wird man aber von denen, die nicht geimpft sind.“
Darauf gab ich zurück:
Erstens: ich bin eine Frau. Zweitens: ich bin zweifach geimpft.
Insgesamt: Hübscher Versuch – aber was ein rationaler Diskurs ist, das hat sich bis zu Ihnen noch nicht rumgesprochen. Und dass etliche Krankenversicherungen damit liebäugeln, Beiträge für RaucherInnen, etc. zu erhöhen, ist wohl auch an Ihnen vorbeigegangen. Im Übrigen: Schon mal was über den volkswirtschaftlichen Schaden durch ungesunde Lebensweise gelesen? Wohl eher nicht, sonst würden Sie nicht so schreiben.
Es kam ein weiterer Beitrag (vnt bin ich, weil mein Profilname so anfängt) :
„ Sachargumente sind weder bei ihnen GDS noch bei vnt… zu finden.
Bei vnt… handelt es sich darüber hinaus um ein kleines Sammelsurium von Scheinargumenten, aus dem »Querdenker«-Milieu der leer denkenden Impf- und Maßnahmen-Gegner.“
Jemand schrieb:
Wenn man sich den Text von vnt… durchliest, kann man nur zu einem Fazit kommen, da ist jemand aus dem »Querdenker«-Milieu der leer denkenden Impf- und Maßnahmen-Gegner am Werk, außer man gehört zu diesem und bewegt sich selbst in diesem Milieu.
Von wegen aus seiner psychotherapeutischen Praxis!
Er mag zwar schon welche von innen gesehen haben, aber ganz sicher nicht als Therapeut.
Weiteres Beispiel:
„Einer von mehreren Fällen aus meiner psychotherapeutischen Praxis?
Die Ausbildung zum Psychotherapeut heißt zwar Ausbildung, ist aber nur mit einem Studium möglich.
Diese Ausbildung ist nach dem Psychotherapeutengesetz nur für Absolventen nach dem Diplom oder Master der Psychologie zugänglich.
Ausgehend von dem, was Sie vnt… hier zum Besten gegeben haben, haben sie weder den einen geschweige denn den anderen Abschluss.“
Ob zurecht oder nicht, das wollte ich denn doch nicht so stehen lassen:
„Ach gnädige Frau, ich habe zwei Universitätsdiplome, darunter den einer Diplompsychologin. und ich habe an einem anerkannten Institut meine Ausbildung zur analytischen Psychotherapeutin gemacht und bin approbiert (ich denke, Sie wissen, was das Wort bedeutet) und laufe bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg ganz ordnungsgemäß als Psychologische Psychotherapeutin. Ferner war ich mehrere Jahre Mitglied der Vertreterversammlung meiner KV und der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg und dort unter anderem im Qualitätssicherungsausschuss tätig.
Aber ich bin sicher, das überzeugt Sie nicht. Nun, als Diplompsychologin und approbierte Psychotherapeutin mache ich mir meinen Reim auf Ihre ahnungslosen Zeilen… Wie wär’s jetzt mit einer Entschuldigung für Ihre von jeder Kenntnis freien Unterstellungen.“
Antwort habe ich noch keine, war auch erst vor zwei Stunden, aber immerhin ein Downvote.
Nachtrag am 28.9.21: Gestern hab ich nochmal gepostet:
0 Antworten 0 Reaktionen
Das Ganze bestätigt mich einerseits, wie groß die Spaltung in unserer Gesellschaft ist. Statt Brücken zu bauen, werden Mauern gefordert.
Vielleicht bin ich vorausschauender als ich hoffte oder: was ich 2017 zur Gefahr einer Gesundheitsdiktatur schrieb
Eigentlich wollte ich heute ein bisschen über meinen Artikel von 2017 „Von der Selbstverwirklichung zur Selbstoptimierung nachdenken (hier 2019 veröffentlicht und dass der doch ganz schön aktuell ist. Ich zitiere (aber habe nichts dagegen, wenn man ihn ganz liest):
„Im aktuellen Heft der Stiftung Warentest (Dezember 2017, S.42-47) werden Fitnessarmbänder getestet. „Hochmodern, aber extrem neugierig“ seien sie. Bei der Datenschutzerklärung von Apple heißt das zum Beispiel: „Apple gibt personenbezogene Daten an Unternehmen weiter, die Dienstleistungen erbringen, wie zum Beispiel Kreditgewährung.“ Stiftung Warentest schreibt dazu: „Besitzer der Apple Watch erhalten später vielleicht einen überteuerten oder gar keinen Kredit und wissen nicht einmal warum.“ Denkbar wäre etwa, dass eine Bank aufgrund der Daten auf Disziplin oder Gesundheitszustand des potentiellen Kunden schließt.
Aber derlei Daten sind für Versicherungsunternehmen von viel größerem Interesse. Daher wundert es nicht, dass sie ihre eigenen Fitnessbänder und entsprechende Programme entwickeln. Beispiel „Generali Vitality“ (https://www.generali-vitalityerleben.de/#Schritte ) von Generali-Versicherungen. Hier werden die vom Fitness-Armband erhobenen Daten an die Gesellschaft weitergegeben. „Schritt für Schritt binden Sie immer mehr kleine und große Aktivitäten in ihren Alltag ein. Das fängt schon damit an, einfach mal die Treppe statt des Aufzugs zu nehmen. Denn bei Generali Vitality zählt wirklich jeder Schritt und bringt wertvolle Vitality Punkte. Die bestimmen später die Höhe Ihrer Belohnungen und können jederzeit über die App und online eingesehen werden. Und schon wird sprichwörtlich jeder Schritt zum Fortschritt.“….
… Die Moral von der Geschicht? Hier wird sie offensichtlich. Wie üblich geht es um die Guten und die Bösen. Die Guten, die den mühseligen, schmalen Pfad zum Himmelreich gehen und die Bösen, die den bequemen, breiten Weg wählen, der ins Verderben führt. „Wenn ihr es wirklich wollt“ – es ist Willenssache, ob man körperlich fit ist und bleibt. Wer hinter dem von wem auch immer festgelegten Ziel gesundheitlicher, beruflicher, sozialer Selbstoptimierung zurückbleibt, dem fehlt es eben an Leistungswillen. Sollen die Guten das noch unterstützen? Ist es nicht recht und billig, wenn die Underperformer bei Versicherungsbeiträgen kräftig zur Kasse gebeten werden oder gar keine Verträge bekommen?
Sich gar explizit dem Ziel der Selbstoptimierung zu verweigern – darauf steht die Strafe der Exkommunikation. Wir werden es erleben. Es sei denn, wir wehren uns.
Wie gesagt, eigentlich wollte ich da ein bisschen drüber nachdenken zum Beispiel welche Folgen die Corona-Spaltung hat und ob sich die Leute, die jetzt „Hurra, ein Hoch auf den Zwang “ nicht demnächst über die Folgen ihres Beifalls sehr wundern werden…
Deutschland ist Spitze! Manchmal auch etwas weniger!
Fußnote: In der aktuellen Ausgabe des Ärzteblatts für uns Psychos (Nr. 9 2021 S 400-402, 400) lese ich über „Ärztliche Tabakentwöhnung“:
„Jährlich sterben etwa 127 000 Menschen in Deutschland an den Folgen ihres Tabakkonsums … Mit 23, 5 Prozent rauchenden Erwachsenen belegt Deutschland im europäischen Vergleich lediglich einen Platz im Mittelfeld, während in Ländern wie den Niederlanden und Großbritannien (12 Prozent) oder in Schweden (7 Prozent) die Prävalenz Rauchender deutlich niedriger ausfällt… Deutschland hat sich 2004 mit Unterzeichnung des Rahmenkontrollabkommens der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu umfänglichen Maßnahmen der Tabakkontrolle verpflichtet. Davon ist bislang jedoch nur ein Teil umgesetzt worden, sodass es auf der Tobacco Control Scale, die anhand von sechs Handlungsdimensionen ein Ranking der europäischen Länder hinsichtlich ihrer Tabakkontrollaktivität erstellt den letzten Platz belegt.“ .
Übertrumpft von den Niederlanden und Großbritannien und gar von Schweden!!! Naja, man kann halt nicht nach jeder Muck schlagen….
Sie haben sich mir gegenüber in drei Posts beleidigend geäußert und mich ohne die geringste Grundlage als Lügnerin hingestellt. Ihr Stil unterscheidet sich in nichts von dem Stil derjenigen, die in dem Spiegel-Artikel mit Recht kritisiert werden. Ich schrieb Ihnen, dass ich für dieses pöbelharte Verhalten eine Entschuldigung von Ihnen erwarte. Dafür habe ich Ihnen einen Tag lang Zeit gelassen. Keine Reaktion. Obwohl Sie ja ansonsten mit „deutlichen“ Worten recht schnell bei der Hand sind, haben Ihre armen Eltern es offensichtlich nicht vermocht, Ihnen die Mindeststandards einer „guten Kinderstube“ zu vermitteln.
Aber da kommt mir gerade: Vielleicht sind Sie gar keine „sehr geehrte Frau H.“ sondern verdienen sich als Putins Troll ein paar Rubel, indem Sie kräftig dran arbeiten durch Beleidigung und Lügen die Gesellschaft zu spalten zum Schaden unserer Demokratie.
Andere Leserinnen und Leser im Forum bitte ich herzlich, nicht zu vergessen: Jemand, der eine andere Meinung hat und diese in zivilisierter Form äußert, ist kein Feind. Niemand von uns hat die Wahrheit gepachtet! Ich nicht und Sie auch nicht! Was wir im Augenblick dringend brauchen ist: Respekt voreinander.
Voltaire hat mal gesagt: „ Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sies sie äußern dürfen“. Ganz so weit müssen wir ja nicht gehen, aber die Richtung stimmt!