„Was dem Menschen dient zum Seichen,
Damit schafft er seinesgleichen.“
( Heinrich Heine)
(bei Sigmund Freud zitiert gefunden!)
….Stets um meine Bildung bemüht, höre ich im Moment beim Spazierengehen… ach was, Spazierengehen: heute bin ich 15 km gelaufen. Das war doch kein Spaziergang!…. Also: ich höre beim Spazierengehen oder Wandern aktuell den alten Freud. Schriften, ganz von den Anfängen, also aus den 90er Jahren des vor-vorigen Jahrhunderts und vom Anfang des zwanzigsten. Es ist gut, sich mal wieder auf seine analytischen Wurzeln zu besinnen. Freud ist genial und literarisch beeindruckend. Das heißt nicht, dass manches, was er damals an Hypothesen oder „Erkenntnissen“ äußerte, ziemlicher Unsinn ist. Aber ich bitte Sie: Für welchen Wissenschaftler, sei er Physiker, Philosoph oder Medizinier (ach ja, jetzt sollte ich eigentlich die weibliche Form hinzufügen…), der vor über 100 Jahren forschte, würde das nicht gelten? Was ich im übrigen durchgängig bei Freud finde, ist ein hohes Ethos (z.B. wenn er sich mit der Frage auseinandersetzt, wie „der Arzt“ mit der Übertragungsliebe seiner „Patientin“ umgehen soll. Da ist er glasklar). Bei ihm fand ich obigen Satz von Heine zitiert (wobei das ganze Gedicht lesenswert ist). Und zur Freude meiner Leserinnen und Leser gebe ich diese vermutlich generell nicht ganz unbekannte Erkenntnis weiter.
Nachdem ich von einem Leser der Seite darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ich die Quelle falsch angegeben habe (nicht „das Hohelied“ sondern „zur Teleologie“) sage ich zwar einerseits: in dem Hörbuch zu Freud war das die Quellenangabe – und ich habe sie leichtsinnigerweise übernommen. Andererseits tue ich jetzt Buße und kopiere das gesamte Gedicht hier:
Heinrich Heine: Nachgelesene Gedichte 1845 – 1856
[Zur Teleologie]
Beine hat uns zwei gegeben Gott der Herr, um fortzustreben, Wollte nicht, daß an der Scholle Unsre Menschheit kleben solle. Um ein Stillstandsknecht zu sein, Gnügte uns ein einzges Bein. Augen gab uns Gott ein Paar, Daß wir schauen rein und klar; Um zu glauben was wir lesen, Wär ein Auge gnug gewesen. Gott gab uns die Augen beide, Daß wir schauen und begaffen Wie er hübsch die Welt erschaffen Zu des Menschen Augenweide; Doch beim Gaffen in den Gassen Sollen wir die Augen brauchen Und uns dort nicht treten lassen Auf die armen Hühneraugen, Die uns ganz besonders plagen, Wenn wir enge Stiefel tragen. Gott versah uns mit zwei Händen, Daß wir doppelt Gutes spenden; Nicht um doppelt zuzugreifen Und die Beute aufzuhäufen In den großen Eisentruhn, Wie gewisse Leute tun - (Ihren Namen auszusprechen Dürfen wir uns nicht erfrechen - Hängen würden wir sie gern. Doch sie sind so große Herrn, Philanthropen, Ehrenmänner, Manche sind auch unsre Gönner, Und man macht aus deutschen Eichen Keine Galgen für die Reichen.) Gott gab uns nur eine Nase, Weil wir zwei in einem Glase Nicht hineinzubringen wüßten, Und den Wein verschlappern müßten. Gott gab uns nur einen Mund, Weil zwei Mäuler ungesund. Mit dem einen Maule schon Schwätzt zu viel der Erdensohn. Wenn er doppeltmäulig wär, Fräß und lög er auch noch mehr. Hat er jetzt das Maul voll Brei, Muß er schweigen unterdessen, Hätt er aber Mäuler zwei, Löge er sogar beim Fressen. Mit zwei Ohren hat versehn Uns der Herr. Vorzüglich schön Ist dabei die Symmetrie. Sind nicht ganz so lang wie die, So er unsern grauen braven Kameraden anerschaffen. Ohren gab uns Gott die beiden, Um von Mozart, Gluck und Hayden Meisterstücke anzuhören - Gäb es nur Tonkunst-Kolik Und Hämorrhoidal-Musik Von dem großen Meyerbeer, Schon ein Ohr hinlänglich wär! - Als zur blonden Teutolinde Ich in solcher Weise sprach, Seufzte sie und sagte: Ach! Grübeln über Gottes Gründe, Kritisieren unsern Schöpfer, Ach! das ist, als ob der Topf Klüger sein wollt als der Töpfer! Doch der Mensch fragt stets: Warum? Wenn er sieht, daß etwas dumm. Freund, ich hab dir zugehört, Und du hast mir gut erklärt, Wie zum weisesten Behuf Gott den Menschen zwiefach schuf Augen, Ohren, Arm' und Bein', Wahrend er ihm gab nur ein Exemplar von Nas und Mund - Doch nun sage mir den Grund: Gott, der Schöpfer der Natur, Warum schuf er einfach nur Das skabröse Requisit, Das der Mann gebraucht, damit Er fortpflanze seine Rasse Und zugleich sein Wasser lasse? Teurer Freund, ein Duplikat Wäre wahrlich hier vonnöten, Um Funktionen zu vertreten, Die so wichtig für den Staat Wie fürs Individuum, Kurz fürs ganze Publikum. Zwei Funktionen, die so greulich Und so schimpflich und abscheulich Miteinander kontrastieren Und die Menschheit sehr blamieren. Eine Jungfrau von Gemüt Muß sich schämen, wenn sie sieht, Wie ihr höchstes Ideal Wird entweiht so trivial! Wie der Hochaltar der Minne Wird zur ganz gemeinen Rinne! Psyche schaudert, denn der kleine Gott Amur der Finsternis, Er verwandelt sich beim Scheine Ihrer Lamp - in Mankepiß. Also Teutolinde sprach, Und ich sagte ihr: Gemach! Unklug wie die Weiber sind, Du verstehst nicht, liebes Kind, Gottes Nützlichkeitssystem, Sein Ökonomie-Problem Ist, daß wechselnd die Maschinen Jeglichem Bedürfnis dienen, Den profanen wie den heilgen, Den pikanten wie langweilgen, - Alles wird simplifiziert; Klug ist alles kombiniert: Was dem Menschen dient zum Seichen, Damit schafft er seinesgleichen Auf demselben Dudelsack Spielt dasselbe Lumpenpack. Feine Pfote, derbe Patsche, Fiddelt auf derselben Bratsche, Durch dieselben Dämpfe, Räder Springt und singt und gähnt ein jeder, Und derselbe Omnibus Fährt uns nach dem Tartarus.
2. Mai 2020
The two-line quotation from Heine is NOT from Das Hohelied, bt from his poem Zur Teleologie
2. Mai 2020
Thank you so much. You are right….