Axel Hacke beschäftigt die Frage, die auch mich umtreibt: Was wird aus einer Gesellschaft, wenn die einen fit und gesund aus der Krise gekommen sind, weil sie die Zeit für Sport, Gartenarbeit und besonders gesunde Ernährung nutzten, während die anderen erschöpft wieder ins Büro kriechen, weil sie gleichzeitig Kinder erziehen, kochen, putzen, arbeiten und sich Sorgen machen mussten.“
(Axel Hacke, Kolumne „Das Beste aus aller Welt“ vom 15.5.20: Die Korona-Krise könne man nur gemeinsam bestehen, hieß es. Dabei hat sie deutlich gemacht, wie wenige Gemeinsamkeiten es in unserer Gesellschaft noch gibt)
Und dabei sind wir zwanglos bei den Frauen. Nicht nur bei ihnen, klar doch. Aber besonders bei ihnen.
„Frauen leisten die Mehrarbeit“
so ist eine kleine Notiz in der Süddeutschen Zeitung vom 15.5.20 überschrieben: „Die in der Corona-Krise zusätzlich anfallende Betreuung von Kindern wird hauptsächlich von Frauen geleistet. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. ‚Die Pandemie legt nicht nur problematische Ungleichheiten in den wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten offen, sie verschärft sie auch noch…. Es sind der Studie zufolge vor allem die Frauen, die ihre Arbeitszeit reduzieren, um dieser Aufgabe [Kinderbetreuung und Unterrichtung] nachzukommen.“
Da schließt sich nahtlos die Meldung an:
„ Die Corona-Pandemie trifft nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Frauen am Arbeitsmarkt deutlich härter als Männer.
„Wie das DIW in Berlin mitteilte, zeigen erste Zahlen, dass Frauen eher ihren Arbeitsplatz verlieren als Männer. Das liege vor allem daran, dass Unternehmen mit hohem Frauenanteil Kurzarbeit beantragten oder Beschäftigte entließen. Betroffen seien etwa Branchen wie das Gastgewerbe sowie die Bereiche Kunst, Unterhaltung und Erholung. Laut DIW wurde im Gastgewerbe für 96 Prozent der Beschäftigten Kurzarbeit beantragt. Erheblich sei der Anteil mit 71 Prozent auch im Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung.“
Frauen, werdet Mechanikerinnen, Installateurin, Fliesenlegerin, Elektronikerin aber geht auf keinen Fall in die Gastronomie (höchstens zum Essen), werdet nicht Friseurin, geht nicht in die Pflege – und merke: Kunst ist nur was zum Angucken und Anhören – nichts zum krisensicheren Geldverdienen!
„Gestärkt aus der Krise hervorgehen“
– das tun dann andere. Das hat auch die Süddeutsche (15.5.20 S. 9) kapiert: „Gerade in Corona-Zeiten ist die Managersprache hilfreich. Sie lehrt uns, dass man schlimme Krisen am besten überwindet, indem man ‚gestärkt daraus hervorgeht‘. Und zieht das Fazit angesichts den geplanten 8000 Entlassungen bei TUI: „Wirklich stark ist am Ende der Mächtige nur allein“. Betonung vermutlich auf „nur allein“.
Was die Schweden angeht bzw. den „schwedischen Sonderweg“ so zeichnet sich ein bisschen eine Wende ab.
Das wirklich lesenswerte, da ruhig und sachlich geführte Interview:
Corona in Schweden: „Schulen zu schließen ist überflüssig“
Schwedens Corona-Stratege im Interview https://www.spiegel.de/politik/ausland/corona-in-schweden-schulen-zu-schliessen-ist-ueberfluessig-a-5ecd3311-4531-416d-9daa-67e773e1b96e
mit dem Direktor der schwedischen Behörde für Volksgesundheit ist aus mehreren Gründen empfehlenswert zu lesen. Nicht nur weil da in der Einleitung die Bemerkung steht: „Neben Bewunderung für den schwedischen Weg gab es auch harte Kritik…“ Eine Formulierung, die mich lächeln lässt, angesichts des Schweden-Bashing gerade auch durch den Spiegel. Sondern mehr noch wegen der Feststellung dass Schweden „nun wahrscheinlich weniger Angst vor einer zweiten Welle haben muss als die Nachbarn.“ Weil die schwedische Strategie eben auch auf „Herdenimmunisierung“ abzielte (vermutlich haben sich schon um die 20 % der Schweden angesteckt und sind infolgedessen aller Wahrscheinlichkeit nach immun).
Das oft zu hörende Argument, in Schweden experimentiere man mit der Bevölkerung kontert Carlson:
„SPIEGEL: Kritiker in Schweden sagen, Sie würden mit der Bevölkerung experimentieren. Haben sie recht?
Carlson: Eine Maßnahme wie das wochenlange Einsperren der Menschen in ihrer Wohnung haben wir vermieden – eine beispiellose Maßnahme, die ich für ein großes Experiment mit der Bevölkerung halte.“
Ja, ich vergesse nicht, dass Schweden eine höhere Todesrate hat als z.B. Deutschland. Wobei man noch sehen muss, wie die Rechnung am Schluss aussieht, ob Schweden nicht schon „durch“ ist, wenn wir noch weitere Todesfälle zu beklagen haben. Aber andererseits: Belgien (mit sehr starkem Lockdown) hat verhältnismäßig deutlich höhere Todeszahlen – das wird dann unter „Rätsel“ rubriziert, während man – mindestens bislang – bei den Schweden ganz genau wusste. Dass deren „Sonderweg“ verantwortlich ist.
Carlson nimmt auch Stellung zu den unhaltbaren Zuständen in Schwedischen Altenheimen. (Und ich gestehe – es bestätigt mich mal wieder in meiner Behauptung, dass bestimmte Bereiche einfach nicht so leicht privatisiert gehören, mindestens darf „Gewinnmaximierung“ nicht das A und O sein.
Dazu gab es zuvor auch einen ausführlichen Artikel der Tagesschau:
Corona-Sonderweg Kritik an Schwedens Altenpflege https://www.tagesschau.de/ausland/corona-alte-stockholm-101.html
Stand: 12.05.2020 07:42 Uhr
„Das schwedische System der seit Jahren zunehmend privatisierten Altenpflege steht jetzt in der Kritik. Dazu Johan Carlsson, Chef der Gesundheitsbehörde:
‚Dass dieser Sektor schwächer ist als das Gesundheitssystem, haben wohl alle gesehen. Ich bin aber überrascht, wie groß der Unterschied zwischen den verschiedenen Altersheimen ist. Mancherorts fehlt es an der richtigen Leitung und Kompetenz, auch wenn das Personal sein Bestes tut.‘
Das Personal wird tatsächlich kaum kritisiert. Stattdessen sind es die Betreiber der Heime und mobilen Pflegedienste, die Pflegekräfte oft ohne feste Arbeitsverträge beschäftigen.
… Man habe es nicht geschafft, die Älteren hinreichend zu schützen, räumte Regierungschef Stefan Löfven von den Sozialdemokraten ein. Seine Sozialministerin Lena Hallengren zog jetzt nach:
‚Wir als Gesellschaft tragen gemeinsam die Verantwortung dafür, dass dieser Sektor nicht besser gerüstet war. Wir haben zu wenig auf die Mitarbeiter geschaut, auf ihre Arbeitsbedingungen und das Ansehen ihrer Arbeit. Aber man muss schon auch die Verantwortung der Arbeitgeber betonen, was die mangelnde Krisenbereitschaft angeht. Wen stellt man ein, unter welchen Bedingungen und mit welcher Ausbildung?‘
Nochmal zurück zum schwedischen Sonderweg: Hier wurde auf Eigenverantwortung gesetzt. Dass das nicht immer klappt, ist klar. Aber dieses paternalistische (oder maternalistische) Bei-der-Hand-Nehmen, diese Bevormundung und dieses Misstrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern – ob das à la longue besser funktioniert, zu mehr Gemeinsinn und Verantwortungsgefühl beiträgt – ich bezweifle das.
Hierzulande wird häufig auf die Disziplin in asiatischen Ländern verwiesen und unter anderem lobend beschrieben, wie selbstverständlich da Mundschutz immer und überall getragen wird und ein Musterbeispiel der Rücksichtnahme sei.
Dazu ein kleiner Bericht aus Japan
„Jagd auf Nummernschilder – wie Covid-19 den Alltag in Japan verändert“
(von Sayaka Murata, Süddeutsche Zeitung, 15.5.20), S. 11:
„… Als ich mich online mit einer Freundin unterhielt, erzählte sie mir, bei Freunden von ihr sei die Selbstbeschränkungspolizei gewesen.“ Die habe denen einen Zettel mit „Mörder“ an die Tür geklebt.
„Selbstbeschränkungspolizei“ – das ist eine hübsche Wortschöpfung. Eine Polizei, die überwacht –nein, nicht etwa ob ich die verordneten Beschränkungen einhalte, sondern ob ich mich selbst ordentlich beschränke. Dabei handelt es sich wohl um so was wie eine Vereinigung „engagierter“ Bürger, die nach dem Rechten schauen – in des Wortes doppeltem Sinn… oder eher in dem einen Sinn. Naja, kennen wir ja auch so ein bisschen von Deutschland, wenn Leute sich aktuell berufen fühlen, dem Staat bei der Durchsetzung der Bestimmungen kräftig unter die Arme zu greifen.
Frau Murata fährt fort: „Offenbar werden zahlreiche Geschäfte und Lokale von diesen Leuten drangsaliert…. Betrüblich sind Berichte über die sogenannte Jagd auf Nummernschilder anderer Präfekturen, bei der nicht-einheimische Fahrzeuge aufgespürt werden.“
Wenn das unser Ideal ist?