Corona. Was Frankreich und Schweden gemeinsam haben

Frage: Was haben Schweden und Frankreich gemeinsam?

Antwort: Die Zahl der Corona-Toten pro 100 000 Einwohner. Die ist in beiden Ländern 59 (Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 6.11.20, Seite 16). (wobei ich diesmal die wichtige Unterscheidung  „an oder mit Corona gestorben“ weglasse.)

Das ist aber auch so ziemlich die einzige Gemeinsamkeit zwischen beiden Ländern.  Die Kennzahl der Neuinfizierten in den sieben Tagen vor dem 6.11. beträgt in Frankreich 68,3, in Schweden 27.2..

So. Und nun ein weiß Gott nicht ganz unwesentlicher Unterschied zwischen Schweden und Frankreich: Frankreich hatte einen rabiaten Lockdown bis in den Sommer. Zur Erinnerung:  „Die Ausgangssperre in Frankreich wird bis zum 11. Mai verlängert. Das gab Staatspräsident Emmanuel Macron am Montagabend in einer Fernsehansprache. Die Regelungen gelten bereits seit dem 17. März und wurden bereits einmal verlängert. Die Französinnen und Franzosen dürfen nur das Haus verlassen, wenn es unbedingt nötig ist. Spaziergänge, Gassigehen oder Sport sind nur eine Stunde pro Tag im Radius von einem Kilometer zur Wohnung erlaubt.“

Von allen anderen Einschränkungen mal abgesehen: Schulschließungen, geschlossene Fabriken und Büros, Abriegelung der Heime.

Und? Was hat’s gebracht?

In Schweden blieben das ganze Frühjahr und den ganzen Sommer bis heute die Schulen offen, die Restaurants, man ging weitgehend normal seiner Arbeit nach.

Die deutschen Medien hatten Schaum vor dem Mund, wenn sie über Schweden redeten. Sie verkündeten in kurzen Abständen, dass die „laxe“ Strategie der Schweden vor dem Zusammenbruch stehe, dass in den nächsten Stunden mit einem Kurswechsel zu rechnen sei.

Das setzt sich bis heute fort. Tagesschau.de meldete heute (11.11.20) im  Liveblog zum Coronavirus: ++ Schweden verschärft Corona-Maßnahmen ++

Huch! Was passiert jetzt? Werden die Schweden endlich „vernünftig“ und schwenken auf den Mainstream ein?

Genauer hinschauen hilft: „Der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven hat angekündigt, dass im Zuge der steigenden Infektionszahlen der Verkauf von Alkohol ab 22 Uhr verboten wird.“

Na, das ist jetzt aber wirklich dramatisch-drastisch! Schweden am Abgrund!

Man verzeihe mir die Ironie, aber wie anders soll ich auf eine seit Monaten derart schiefe Berichterstattung reagieren? Wo war im Frühjahr der Aufschrei, die Solidarisierung mit ein paar Millionen Parisern und Pariserinnen, die in meist engen, wenig komfortablen Wohnungen eingesperrt wurden?  

Und ja: In Schweden wurden Fehler gemacht, Fehler, für die manche mit dem Tod bezahlten. Der entscheidenste Fehler: Es wurden durch Corona die Folgen offenbar, die eine Billig-Billig-Betreuung der Menschen in Alters- und Pflegeheimen hat. Wenn nur noch „Kunden“ gesehen werden.

Im Übrigen: das wurde nicht nur in Schweden offenbar! Dort allerdings in schlimmem Umfang. Die vor wenigen Jahren so hoch gepriesene „Privatisierung“, die alles besser und billiger macht, hat sich als das erwiesen, was damals nur eine kleine Minderheit vorhergesagt hat: Wenige verdienen sich eine goldene Nase und die, um die’s geht, nämlich die zu Pflegenden und die, die pflegen, haben das Nachsehen. Ich sage es mit Bitterkeit: gerade auch von den Medien wurden diese mahnenden Stimmen als „von vorgestern“ bezeichnet.)

Ich gehe jede Wette ein: Wenn die schwedischen und französischen Zahlen überhaupt verglichen werden, dann wird munter argumentiert: naja, Schweden sei so (relativ) glimpflich davon, weil es so dünn besiedelt sei. In Frankreich (wo’s auch viele dünn besiedelte Gegenden gibt) sei das ganz anders. Und daher sei der Lockdown in Frankreich absolut richtig gewesen und der Nicht-Lockdown in Schweden ein Verbrechen an den alten Menschen.

Ich wette: die „Leitmedien“ stellen garantiert nicht die Frage: „Könnte es vielleicht sein, dass die Verbreitung/das Stoppen des Virus  womöglich gar nicht – mindestens nicht in erster Linie – mit den Maßnahmen zu tun hat, die wir ergriffen oder nicht ergriffen haben? Vielmehr ist die Logik: Wenn die Zahlen runtergehen oder passabel sind, dann ist das die Folge von strengen Maßnahmen. Wenn die Zahlen nicht runtergehen oder beunruhigend sind, ja dann heißt es „Hm. Merkwürdig. Keine Ahnung, womit das jetzt zu tun haben könnte. Vermutlich waren unsere Maßnahmen noch nicht streng genug.“   

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