Beim Zähneputzen heute hörte ich das Kalenderblatt des Deutschlandfunks (Empfehlung zum Nachhören oder Nachlesen! )
Zwanzig Jahre ist das erst her?
Das Thema Homosexualität eignet sich hervorragend, um deutlich zu machen „und sie bewegt sich doch!“ Oder, wie ich einmal einen Artikel über katholische Lehr-Eigentümlichkeiten überschrieb „Von der begrenzten Haltbarkeit ewiger Wahrheiten“. Der Blick zurück hilft mir – und könnte auch anderen helfen, nicht zu resignieren, sondern Vertrauen zu haben: Es gibt auch Entwicklung zum Guten. Was vor nicht allzu langer Zeit „unumstößlich“, Gesetz, Mainstream, „wissenschaftlich erwiesen“ war, dass finden wir heute wahlweise nur noch kurios oder empörend.
Rückblick auf die Zeit des „Hundertfünfundsiebziger“
Ich bin zur Zeit des „175er“ aufgewachsen – jenes Paragraphen des Strafrechts, das homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. Auf der Seite des Bundesverteidigungsministeriums lese ich zum § 175 StGB:
„Entschärft wurde er 1969 und dann noch einmal 1973. Seitdem wurden einvernehmliche homosexuelle Handlungen nur noch dann bestraft, wenn einer der Beteiligten unter 21, später unter 18 Jahre alt war. Erst im Jahr 1994 wurde der § 175 StGB auf Beschluss des Bundestags ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.“
Dass das beim Bundesverteidigungsministerium steht, ist kein Zufall. Denn homosexuelle Soldaten wurden als „Sicherheitsrisiko“ angesehen: „Später wurden homosexuelle Offiziere von Führungsaufgaben entbunden, sobald ihre sexuelle Orientierung aktenkundig wurde. Auch bestanden homosexuelle Soldaten die Sicherheitsüberprüfung in der Regel nicht: Ihr Lebenswandel mache sie erpressbar und damit zu einem generellen Sicherheitsrisiko, argumentierte der Militärische Abschirmdienst. Auch diese Ansicht vertrat die Bundeswehr nicht exklusiv: Eine entsprechende Regelung aus dem Innenministerium galt für alle Ressorts der Regierung gleichermaßen.“
1983 wurde der Vier-Sterne-General Kießling der Homosexualität bezichtigt und entlassen. Also es ging nicht: um homosexueller Handlungen, nicht um sexuelle Gewalt, Verführung Minderjähriger, nicht um Ausnützen seiner Vorgesetzten-Funktion usw., sondern nur um seine angebliche sexuelle Ausrichtung. Nachdem sich der „Vorwurf“ der Homosexualität als haltlos erwiesen hatten, wurde er schnell wieder eingestellt, damit man ihn umgehend mit „Großem Zapfenstreich“ verabschieden konnte. „Kießling war zeit seines späteren Lebens ein von den Generalen des Heeres gemiedener ehemaliger Soldat. Zum Jubiläum der Bundeswehr 1985 war Kießling als einziger Viersternegeneral nicht eingeladen.“
Dazu fällt mir nur der Film von 1970 ein: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt.“ Wohl wahr!
Die WHO strich 1991 Homosexualität von der Liste der Krankheiten. Irgendwer sagte, noch nie sei ein solcher Heilungserfolg an einem einzigen Tag erzielt worden.
Kurzgeschichte der „Eingetragenen Lebenspartnerschaft“
Die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ war ein von den Grünen betriebenes und in der rot-grünen Koalition unter Schröder gegen CDU/CSU und FDP (!) in abgespeckter Form durchgesetztes Projekt.
Das Bundesverfassungsgericht wies die Klage der Unionsgeführten Bundesländer am 17.7.2001 mit der knappen Mehrheit von 5 zu 3 Stimmen zurück. Diese hatten argumentiert, das Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft richte sich gegen Ehe und Familie, die doch laut Grundgesetz Art 6 unter dem besonderen Schutz des Staates stehe. Das Bundesverfassungsgericht folgt dieser Auffassung nicht, sondern denkt logisch: Wenn der Staat eine Gruppe unter seinen besonderen Schutz stellt und dann eine neue auch, so wird dadurch die erste nicht benachteiligt: „Das Gesetz entzieht der Ehe keine Förderung, die sie bisher erfahren hat. Es nimmt lediglich eine andere Lebensgemeinschaft unter rechtlichen Schutz und weist ihr Rechte und Pflichten zu.“ Damit kann das Gesetz am 1. August 2001 in Kraft treten.
Zitate von damals – lehrreich für heute
Kirchliche „Verteidigung der Schöpfungsordnung“
Vieles ist heute nicht mehr vorstellbar und gehört genau deswegen ins Gedächtnis gerufen.
Zum Beispiel was der damalige Erzbischof von Fulda, Johannes Dyba, in einem Spiegel-Streitgespräch mit dem bekennenden Schwulen und MdB Volker Beck am 16.7. 2000 äußerte …. Dass der liebe Gott seinen Diener eine Woche zu sich holte,, mag man so oder anders deuten. Oder auch gar nicht.
Dyba also, der von „importierten Lustknaben“ gesprochen hatte, wurde vom Spiegel auf diese Äußerung angesprochen und erwiderte:
„Man muss sich doch schon blind stellen, wenn man den gewaltigen Umfang an Menschenhandel und -missbrauch, den deutsche Männer im In- und Ausland in Gang halten, nicht zur Kenntnis nehmen will. Mein Thema ist ein ganz anderes. Mein Thema ist die Schöpfungsordnung, mein Thema ist das Grundgesetz, und mein Thema ist die Degeneration.“
Beck: Ich würde eigentlich von Ihnen erwarten, dass Sie sich für Äußerungen, die Sie in diffamierender Weise gegen Homosexuelle regelmäßig vortragen, entschuldigen und eine andere Tonlage anschlagen……
Dyba: Ich würde vorschlagen, dass Sie sich erst mal dafür entschuldigen, dass Sie mir Diffamierung vorwerfen. Sie haben ein Problem mit den Tatsachen. Sie sind ein typischer Vertreter dieser Empörungsterminologie. Man kann aber einen Brand nicht dadurch löschen, dass man den Feuermelder kaputtschlägt. Das versuchen Sie dauernd….. Sich verletzt zu fühlen ist bei Ihnen Methode. Sie gefallen sich immer in einer Opferrolle…. aber solange ich die Lehre der katholischen Kirche vertrete, dass die homosexuelle Praxis der Schöpfungsordnung widerspricht und damit auch der Menschenwürde, werden Sie mir immer Diskriminierung vorwerfen.
Zugegeben: Dyba war ein Hardliner – aber mir wäre nicht bekannt, dass einer seiner damaligen Kollegen im Bischofsamt ihm öffentlich widersprochen hätte. Und heute sieht es nicht deshalb ein bisschen anders aus, weil die Kirche „die Schöpfungsordnung“ anders interpretiert, sondern weil sie ein gesamtgesellschaftliches Kopfschütteln befürchten müsste.
PolitikerInnen äußern ihre felsenfeste Überzeugung … und ändern sie (manchmal)
Aber auch bei PolitikerInnen finden wir bemerkenswerte Zitate.
Angela Merkel (2000) Der Gesetzentwurf [über eingetragene Lebenspartnerschaften. U.N.] ist ein „gesellschaftspolitischer Irrweg und ein inakzeptabler Einschnitt in die gesellschaftlichen Grundvorstellungen“ Gegen das Projekt müsse „auf allen Ebenen gekämpft werden.“ (TAZ vom 31.7.2000)
MdB Norbert Geis (CSU) (2009 „In der Ehe und bei heterosexuellen Paaren liegt die Zukunft. Und nicht bei irgendwelchen Fehlentwicklungen.“
Der Süddeutschen kommt das Verdienst zu, 2017 solche Zitate aus drei Jahrzehnten gesammelt zu haben:
Wolfgang Zeitlmann (CSU), damals innenpolitischer Sprecher der Union, 1998: „Sie verletzen doch die Gefühle vieler Menschen, die in ganz normalen ehelichen Verhältnissen leben. Was soll denn zum Beispiel eine Familie mit Kindern sagen, wenn anstelle von ihr eine lesbische Frau mit ihrer Freundin in den Genuß einer Sozialwohnung kommt? Da entsteht doch eine ganz andere Schieflage.“ (TAZ)
Die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), 1991: „… Eine Eheschließung wie zwischen Mann und Frau kann es für homosexuelle Paare nicht geben. Aber – und das sage ich ganz bewußt – es gibt in diesem Bereich Dinge, die neu zu regeln sind.“ (Bunte)
Der damalige Bundestagsabgeordnete Norbert Geis (CSU), 2012: „Das Grundgesetz versteht unter Ehe die Ehe von Mann und Frau. Wir verstehen seit mindestens 2000 Jahren unter Ehe ‚Mann und Frau‘, wenn wir die Römer dazunehmen, sind es mindestens 2500 Jahre. Das soll man ändern, nur weil es ein paar Leuten einfällt?“ (Main-Echo)
Edmund Stoiber (CSU), damals bayerischer Innenminister, 1991: „Wenn ich über steuer- und erbrechtliche Anerkennung von homosexuellen Paaren diskutiere, dann kann ich gleich über Teufelsanbetung diskutieren.“ (zitiert nach dem Spiegel) Immerhin ist er vernünftig genug, sich gut ein Jahrzehnt später (2002) der Realität zu stellen: „In diesen elf Jahren haben sich die gesellschaftlichen Anschauungen verändert. Wenn ich jetzt immer noch auf der Position von 1991 beharren würde, dann wäre ich reaktionär, dann wäre ich nicht veränderungsbereit.“ (zur Frage des Spiegel, wie sein Teufelsanbetungs-Zitat von 1991 mit einer neueren Äußerung zusammenpasst, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden soll).
Ganz ähnlich Der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU), 2012: „Ich war einer derjenigen, die nach Karlsruhe gegangen sind. Heute weiß ich: Die systematische Diskriminierung der Homosexuellen war eine schlimme Verirrung.“ (SZ Magazin)
Übrigens hat sich auch Frau Merkel was getan: Der Spiegel betitelt ein Interview 2017 mit ihr: Merkel rückt vom Nein zur Ehe für alle ab.
Das sind für mich Beispiele der Ermutigung: Wir können etwas bewirken, egal auf welchem Gebiet. Das ist alles andere als einfach, gegen den Strom zu schwimmen, diffamiert zu werden, scheinbar hoffnungslose Minderheit zu sein. Aber was ist, muss nicht so bleiben: Es kann passieren, dass gerade einer der am lautesten tönte, eingestehen muss: Ich war damals reaktionär.