In einem Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 7./8.3.20 (https://www.sueddeutsche.de/politik/lammert-bundestag-afd-interview-1.4831450?reduced=true) meint Norbert Lammert zur Meinungsfreiheit:
„…. Wenn mit Billigung ordentlicher deutscher Gerichte beinahe beliebige Beleidigungen gegen beliebige Personen in beliebiger Anzahl und Verbreitung vorgetragen werden können, dann ist die Meinungsfreiheit nicht verengt, sondern in groteskem Maß überdehnt.
Sie denken an Renate Künast und ihren Kampf gegen Beleidigungen im Internet.
Natürlich. Und ich bin ihr dankbar, dass sie ein Problem, das sie ja nicht exklusiv hat, exemplarisch durchkämpft. Ich sehe mit großem Unbehagen, dass sich die Justiz oft vor der Rolle drückt, die sie allein spielen kann: nämlich die Frage des Zulässigen und Unzulässigen im konkreten Einzelfall auszuloten. Statdessen werden die meisten Verfahren eingestellt oder gar nicht eröffnet. Und das zum Teil mit der absurden Begründung, es handele sich um eine virtuelle Bedrohung und nicht um eine tatsächliche. Das legt die beinahe zynische Vermutung nahe, dass die Strafbarkeit erst offenkundig wird, wenn der Regierungspräsident tatsächlich und nicht virtuell erschossen wird… Im Fall Künast sind Richter zu dem Schluss gekommen, dass ‚alte perverse Drecksau‘ keine Beleidigung ist, jedenfalls von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wenn das keine Beleidigung ist, dann ist der vom Gesetzgeber definierte Straftatbestand der Beleidigung von der Justiz abgeschafft. Dafür habe ich kein Verständnis.“
Die Gerichte sind das eine. Selbstverständlich sind sie besonders in der Verantwortung, weil sie die Maßstäbe setzen. Früher nannte man das mal „die sittenbildende Kraft des Strafrechts“ und ich fand das irgendwie komisch. Aber es ist was Wahres dran.
Trotzdem: Egal welch merkwürdigen Urteile Gerichte fällen – jeder und jede von uns ist in die Pflicht genommen, nicht nur sorgfältig mit seiner eigenen Sprache umzugehen, sondern auch den Mund aufzumachen, wenn jemand beleidigende, diskriminierende, menschenverachtende Äußerungen von sich gibt. Die Besinnung auf die Tugend der Zivilcourage und den etwas altmodischen Satz „das gehört sich nicht“ tut not.