Die Maskenpflicht, der KV-Vorstand und ich. Eine Korrespondenz mit Einschränkungen

https://www.aend.de/article/206584Zunächst mal: Die Maskenpflicht für PsychotherapeutInnen und Ihre PatientInnen ist innerhalb von zwei Tagen zurückgenommen worden. Schön!

 

Ich habe mein nachfolgende Schreiben zu der „Maskenfrage“ an den Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg  zwar schon unter unter „Jetzt hat es uns doch erwischt: Maskenpflicht für „Psychos“ in Baden-Württemberg!“ eingestellt, aber weil die Geschichte inzwischen weiterging, führe ich es hier nochmal an.

Am 4.6.20 schrieb ich also:

Sehr geehrter Herr Dr. Fechner, sehr geehrter Herr Dr. Metke,
dass die Ärzteschaft – wie von Ihnen behauptet – die Maskenpflicht begrüßt, kann ich als Psychotherapeutin nicht beurteilen. Allerdings scheinen mir die Reaktionen, die ich lese, ein deutlich anderes Bild zu zeigen.
Es wäre viel zu Ihrer obrigkeitshörigen Beflissenheit zu sagen – aber da bin ich sicher, dass das andere tun. Und was die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten angeht, da werden Sie ganz gewiss außer meiner Kritik noch andere „abweichende Meinungen“ zur Kenntnis nehmen können.
Ich selbst finde es allerdings den Gipfel an Unkollegialität und mangelndem Demokratieverständnis, wenn Sie in Ihrem Rundschreiben kundtun: „…Dass eine Verordnung des Landes in Bezug auf eine Selbstverständlichkeit notwendig geworden ist, mag auch daran liegen, dass einzelne Kolleginnen und Kollegen sich öffentlichkeitswirksam, selbstverständlich nicht aus Gründen der eigenen Profilierung, gegen gesteigerte Hygienemaßnahmen in Praxen ausgesprochen haben.“
Das ist einfach unglaublich! Es ist die Argumentation autoritärer Eltern und Lehrer der 50er Jahre: „Seht Ihr, Kinder, weil der Fritz und der Franz frech waren und Widerworte gaben, müsst Ihr leider alle nachsitzen. Bedankt Euch bei denen!“
Sie sprechen damit mündigen Bürgerinnen und Bürgern (und zudem fachlich vermutlich nicht ganz unversierten Kolleginnen und Kollegen) faktisch das Recht ab, eine eigene Meinung zu haben und die gar noch kundzutun. Klar, da muss die Obrigkeit einschreiten und Ordnung schaffen…. bei 856 offiziell Infizierten (seit gestern 9 Personen mehr) und 11 Millionen Einwohnern im Ländle.
Mit sehr eingeschränkt freundlichen Grüßen
Ursula Neumann

 

Am 5.6. antwortete einer der Vorstände der KV, Herr Dr. Metke, ausführlich.

Dieses Schreiben kann ich nicht zitieren, da es den Betreff hat: VERTRAULICH! – Ihre heutige Anfrage; KV-Vorstand und Maskenpflicht

Ich wüsste zwar nicht, warum dieses Schreiben vertraulich sein soll, aber ich möchte das respektieren. Allerdings habe ich darum gebeten (s.u.), diese Kennzeichnung als „vertraulich“ nochmal zu überdenken. Mir wäre das sehr lieb.

Am 15.6. kam tatsächlich eine Antwort. Hatte ich eher nicht damit gerechnet: Auch wenn sich Dr. Metke bei unserem Mailwechsel fast an eine Brieffreundschaft erinnert fühlt, möchte er diese doch nicht weiterführen – und vertraulich bleibt’s. Ach ja: Und wenn ich gleich von Anfang an etwas konstruktiver gewesen wäre….  Mit freundlichen Grüßen.

 

Ebenfalls allerdings heißt dies ja nicht, dass ich nicht meine Antwort vom 6.6. auf Dr. Metkes Schreiben auch nicht auf die Homepage stellen dürfte. Sondern über die Veröffentlichung von etwas, was ich geschrieben habe, entscheide ich selbst. 

(Das in meiner Antwort zitierte Interview des änd mit BÄK-Präsident Reinhardt vom 3.6. „Wir müssen dringend zur Normalität zurück“ findet sich unter https://www.aend.de/article/206584 ist aber vermutlich nur für „Eingeschriebene“ aufrufbar.)

 

Meine Antwort an Dr. Metke vom 6.6.

Sehr geehrter Herr Dr. Metke,

Ihre umgehende Antwort auf mein Schreiben vom 4.6. hat mich in mehrfacher Hinsicht erstaunt. Zunächst werte ich es als Zeichen der Wertschätzung. Andererseits war ich mir beim Lesen nicht sicher, ob es tatsächlich mein Schreiben war, auf das Sie geantwortet haben.

Erstaunt hat mich außerdem, dass dieses Schreiben den Vermerk „vertraulich“ trägt. Was steht darin, das andere nicht lesen dürfen? Selbstverständlich werde ich mich an die gewünschte Vertraulichkeit halten. Aber ich bitte Sie, Ihre Entscheidung nochmals zu überdenken. Ich hoffe auch auf Ihr Verständnis, dass mein Respekt vor Ihrem Wunsch nicht so weit geht, diese, meine Antwort nicht auf meiner Homepage einzustellen (www.ursula-neumann.de. Dort ist auch mein erstes Schreiben an Sie zu finden). Es wäre mir allerdings lieber, die Leserinnen und Leser könnten sich ein vollständiges Bild über Ihre Zeilen machen. Das gehört zu meinem Verständnis der Gepflogenheiten eines demokratischen Diskurses. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie sich dieser Argumentation anschließen könnten und mir die Erlaubnis zur Veröffentlichung geben.  

Zu Ihren Ausführungen:

  1. Welche Beschimpfung meinen Sie, wenn Sie von „pauschaler ‚Elitenbeschimpfung‘“ sprechen. Zugegeben: ich habe meiner Empörung in deutlichen Worten Ausdruck verliehen – aber Beschimpfung? Konkret ging es um zwei Punkte. a) Die sachlich absolut unnötige (und nach allem, was ich höre: auch nicht den Tatsachen entsprechende) Behauptung, die Ärzteschaft „begrüße“ die Verordnung der Landesregierung. b) Die geäußerte Vermutung, die „öffentlichkeitswirksam“ vorgebrachte kritische Einstellung von KollegInnen sei ursächlich für diese Verordnung des Landes. Selbst wenn Sie dafür Anhaltspunkte hätten, wozu soll ein solcher Satz in einem offiziellen Schreiben dienen? Gedankenlosigkeit will ich Ihnen nicht unterstellen – da bleiben dann wenig Möglichkeiten außer Diskreditierung und Disziplinierung.         
  2. Wen meinen Sie mit „Elite“? Adressaten meines Schreibens waren Sie und Herr Fechner.
  3. Ich nehme es als charmantes Kompliment, wenn Sie glauben, ich sei „wesentlich jünger“ als Sie. Tatsächlich bin ich vier Jahre älter. Was auch bedeutet: ich bedarf schon allein aus diesem Grund keiner Belehrung über die Geschichte der Bundesrepublik und das, was Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte bedeuten, die Sie mir angedeihen lassen wollen. Die von Ihnen hergestellte Kausalität, das Dritte Reich sei trotz demokratischer Strukturen der Weimarer Republik gekommen, weil „dennoch jeder machte was er wollte, die Rechten das, die Linken dies – Ergebnis bekannt. Dies führte dann zu Ereignissen 1933 und danach“, erscheint mir allerdings als ein  – vorsichtig ausgedrückt – interessantes Erklärungsmodell.    
  4. Ich habe Ihnen kein „mangelndes Demokratieverständnis“ unterstellt, wie Sie mir unterstellen. Den Unterschied zwischen der Zuschreibung eines Adjektivs zu einer Person oder aber zu einer Aussage dieser Person darf ich als bekannt voraussetzen. Der fragliche Satz lautet „Ich selbst finde es allerdings den Gipfel an Unkollegialität und mangelndem Demokratieverständnis, wenn Sie in Ihrem Rundschreiben kundtun:..“ Zugegeben, das ist scharf formuliert – und deshalb hoffe ich, Ihnen entgegenkommen zu können, indem ich korrigiere: „Ich selbst finde es allerdings ausgesprochen unkollegial und es zeugt meiner Meinung nach nicht von ausgeprägtem Demokratieverständnis…“
  5. Vielen Dank, dass Sie mir „Allgemeinwissen“ zubilligen. Ich denke, das habe ich auch. Genau deshalb hat mich etwas irritiert, dass Sie ausgerechnet Platon zum Beleg für Ihren Satz „Die Demokratie vernichtet der, der sie nicht achtet“ anführen. Wobei ich das von Ihnen als Beleg angeführte Platon-Zitat „Der größte Feind der Freiheit ist die Freiheit“ nicht verifizieren konnte. In der „Politeia“ fand ich lediglich: „So kommt denn natürlicherweise die Tyrannei aus keiner andern Staatsverfassung zustande als aus der Demokratie, aus der übertriebensten Freiheit die strengste und wildeste Knechtschaft.“ (Politeia 564a). Platon erweist sich hier wie überhaupt als ein ausgesprochener Gegner der Demokratie! Es wäre natürlich vermessen von mir, wenn ich unterstellte, dass z.B. die Auseinandersetzung Poppers mit den totalitaristischen Vorstellungen Platons (in „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“) an Ihnen vorbeigegangen wäre. Ich selbst halte es übrigens eher mit Kant (auch kein „lupenreiner Demokrat“, aber immerhin einer, dem das Recht auf eigene, auch abweichende Meinung wichtig und die Skepsis gegenüber den Etablierten ein Herzensanliegen ist): „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“     
  6. Genau deshalb verfängt Ihre nur geringfügig kaschierte Unterstellung bei mir nicht, wer gegen Maskenpflicht sei, unterstütze die These vom lebensunwerten Leben. („dass sich Teile der Gesellschaft erneut anmaßen… zu diskutieren. Was ist lebenswert und was nicht.“)  Und es ist allzu einfach, „Abweichler“ in einen Topf mit Boris Palmer zu werfen. Mit dem mich übrigens nicht mehr verbindet, als dass ich bei seinem Vater auf dem Tübinger Wochenmarkt Spargel gekauft habe. Diese Art zu argumentieren erscheint mir wenig seriös. Sie läuft  (geringfügig überspitzt gesagt) nach dem Motto: Wer nicht alles „begrüßt“, was ‚Experten‘ und Regierungen (meinetwegen „Eliten“, wenn Ihnen das wichtig ist) meinen und anordnen, der bringt auch seine Oma um. Nochmal zur Erinnerung: in meinen Zeilen von gestern ging überhaupt nicht um eine „Ablehnung der Maskenpflicht“. Sondern ich verwahrte mich gegen die Beschränkung einer sachlichen Diskussion zu diesem Thema. Es gibt sehr wohl ernstzunehmende Argumente – die auch Ihnen nicht entgangen sein dürften – die Sinnhaftigkeit einer Maskenpflicht zu bezweifeln, zumal zum jetzigen Zeitpunkt.
  7. Aber hier kommen wir zu einem zentralen Punkt. Sie schreiben „Ob Sie eine mündige Bürgerin sind, aufgrund Ihres Menschenbildes und aufgrund Ihrer Überlegungsweise, lasse ich dahin gestellt.“ Verehrter Herr Dr. Metke: Was wissen Sie über mein Menschenbild? Ziemlich viel Unterstellung auf einmal! Zu Ihrer Information: Sie können es zwar noch lediglich als berufspolitisches Engagement verbuchen, dass ich Mitglied der Vertreterversammlung Südbaden und der Psychotherapeutenkammer war, dass ich mich mehrere Jahre federführend bei der Verbandszeitschrift des  bvvp betätigte (und da vor allem zu sozialpolitischen Themen schrieb). Aber dass ich seit Jahrzehnten engagiertes Mitglied u.a. der Humanistischen Union bin, dort auch im Bundesvorstand  war – das könnte vielleicht schon die Vermutung nahelegen, ich könne womöglich doch eine „mündige Bürgerin“ sein. Was mein Menschenbild angeht, so könnten Sie Näheres in meinem 2019 erschienen Bändchen mit gesammelten Aufsätzen „Tätiger Humanismus“ nachlesen. Da ich außer dem Psychologiestudium noch über ein Diplom in katholischer Theologie verfüge, bin ich vielleicht doch etwas vertraut und trainiert sowohl in Fragen der Philosophie, aber eben gerade auch hinsichtlich der Problemstellungen der Ethik und Moralphilosophie. Auch wenn man zu dem Fach Theologie stehen kann, wie man will, immerhin hat es den Vorteil, dass man recht früh z.B. mit Fragen der Verhältnismäßigkeit oder der Abwägung zwischen moralischen Gütern gleichen Ranges konfrontiert wird.
  8. Aber vielleicht wirkt dieser Ausflug in meine Biografie selbst ‚elitär‘. Deshalb ist es mir wichtig zu betonen: Gerade zur Zeit erlebe ich so viele Menschen ohne Abitur und Studium, die differenzierter denken und argumentieren als manche, die sich als „Elite“ dünken.  
  9. Aber es gibt selbstverständlich auch unter MedizinerInnnen viele, denen keineswegs das (mitmenschliche) Denken in größeren Zusammenhängen abgeht.  Hier darf ich Ihren Kollegen, den Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Reinhardt, zitieren, der vor einigen Tagen in einem Interview auf die FrageWelche Rolle spielte der Lockdown? atwortete:

„Das werden Analysen noch zeigen müssen. Spanien und Italien haben ja viel früher als wir deutliche Verbote ausgesprochen. Die haben nicht immer viel gebracht. Man wird in Ruhe später analysieren müssen, was die Maßnahmen bei uns bewirkt haben.

Ich bin auch gespannt, was die Analysen in zwei bis drei Jahren – denn früher wird man kein seriöses Fazit ziehen können – über das Modell Schweden aussagen. Dort setzt man eher auf den Appell an die Vernunft der Menschen und nicht so sehr auf Verbote und Kontaktsperren. Auch werden Schulen und andere Einrichtungen offengehalten.

Es heißt aber, dass die Zahl der Corona-Toten dort höher ist…

Wenn man auf die ersten Zahlen schaut, ist man in der Tat erst einmal geneigt, das zu denken. Aber da muss wirklich einmal geschaut werden, was in der Gesamtbilanz rauskommt. Wir wissen nicht, welche „Kollateralschäden“ die Corona-Maßnahmen in Deutschland verursacht haben, zum Beispiel weil Menschen nicht in die Klinik gekommen sind und nicht behandelt wurden. Diese Rechnung ist natürlich schwer zu führen. Aber es gibt von Wissenschaftlern den Hinweis darauf, dass die Zahlen nicht zu unterschätzen sind. Die muss man zu den Corona-Toten addieren, wenn man bewerten will, was man alles getan hat. Denken wir auch an die sozialen Auswirkungen, die der Lockdown zur Folge hat: Existenzvernichtung von Menschen, die wirtschaftlich selbstständig sind, Verschuldungen, soziale Verwerfungen, eingeschränkte Bildung von Kindern und Jugendlichen… Die Liste ist lang. Das sind auch Dinge, die wir bei einer Gesamt-Risikobewertung nicht vergessen dürfen.“

Sehr geehrter Herr Metke, dem ist von mir nichts hinzuzufügen. Außer dass ich froh bin, dass es in Ihrer Profession doch eine große Anzahl nachdenklicher und abwägender Kolleginnen und Kollegen gibt.

Auch wenn Sie mir „freundliche Grüße“ – selbst eingeschränkte –  verweigern, so hindert mich das nicht, mich dieses Mal aufzuraffen und Ihnen freundliche Grüße zu senden. Völlig uneingeschränkt!

Ursula Neumann

Kommentare

  1. Marion Battke
    7. Juni 2020

    Spannende Auseinandersetzung. Danke für die hervorragende (und außerdem noch witzige) Argumentation!
    Marion

    Antworten

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